Zur Lage der Natur

Bundestagsrede am 19.05.2006

In diesen Tagen begehen wir 100 Jahre Naturschutz als Staatsaufgabe. Einige Schlaglichter aus den Anfängen: 1906 nimmt in Danzig die „Staatliche Stelle für Naturdenkmalpflege in Preußen" ihre Arbeit auf. Die 1911 nach Berlin verlegte Stelle soll Naturschätze dokumentieren, forschen und beraten. Zuständig für die Behörde war übrigens das Kultusministerium. Der Leiter Hugo Conwentz baute ab 1907 allmählich ein weit gespanntes Netzwerk aus ehrenamtlichen Mitarbeitern auf, die in Provincial-, Bezirks- und Kreis-Komitees tätig sind. Diese werden später zu „Stellen für Naturdenkmalpflege", im Dritten Reich schließlich zu „Stellen für Naturschutz".
1919 wird im Artikel 150 der Weimarer Verfassung das vage Ziel verankert, dass „Denkmäler der... Natur sowie der Landschaft... den Schutz und die Pflege des Staates" genießen. 1921 wird das erste Naturschutzgebiet, das berühmte Neandertal bei Düsseldorf ausgewiesen. Das erste deutsche Naturschutzgesetz 1935 gilt bis zum Bundesnaturschutzgesetz von 1976 fast unverändert weiter.
Etliches ist erreicht worden, seit der Staat den Schutz der Natur als seine Aufgabe begreift.
In Deutschland gibt es 14 Nationalparke, 14 Biosphärenreservate und 93 Naturparke. Sie nehmen ca. ein Viertel der Landesfläche ein. In diesen Gebieten gibt es eindrucksvolle Beispiele nachhaltiger Wirtschafts- und Lebensweisen, die einen wichtigen Beitrag zur Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen leisten.
Nachhaltige Regionalentwicklung
Rund 400 Regionalmarken stehen in Deutschland mittlerweile für regionale Wirtschaftskreisläufe. Regionalkonzepte, gerade auch in Großschutzgebieten, kommen beim Verbraucher gut an, denn wer ein Produkt aus der Region kauft, kauft ein Stück Heimat und stärkt bewusst die regionale Wertschöpfung. Ein Garant für Arbeitsplätze sind Regionalmarken zwar nicht, aber sie sorgen für Stabilität. Der Tourismus ist dabei sicher als weiterer wichtigen Wirtschaftszweig zu nennen. Durch den Tourismus entstanden allein im Nationalpark Müritz insgesamt rund 630 Arbeitsplätze. Auch in anderen Nationalparken kam es zu einem tourismusbedingten Beschäftigungszuwachs.
Im Rahmen des Programms „Regionen Aktiv" des Bundesministeriums für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft (BMVEL) werden in 18 Regionen zahlreiche innovative Projekte für die nachhaltige Regionalentwicklung verwirklicht.
Die Arbeit des deutschen Nationalkomitees für das UNESCO-Programm „Der Mensch und die Biosphäre -- MAB", dem ich angehören darf, ist für die Weiterentwicklung von regionalen Strategien und Konzepten besonders wichtig. Ziel dieses UNESCO-Programms ist es, ein weltumspannendes Netz von Biosphärenreservaten als Modellregionen für nachhaltige Entwicklung aufzubauen. Diese Modellregionen sollten aus zwei Zonen bestehen; der nutzungsfreien Kernzonen als Wildnisgebietund den Entwicklungszonen. In den letzteren soll beispielhaft aufgezeigt und erprobt werden, wie die Menschen von einer intakten Natur profitieren und naturverträgliche Wirtschafts- und Lebensweisen verwirklicht werden können.
Natura 2000
Zur Umsetzung der Europäischen Vogelschutz-Richtlinie und der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (FFH) wird derzeit EU-weit das Schutzgebietsnetz NATURA 2000 aufgebaut. Die NATURA 2000-Gebiete umfassen ca. 13 Prozent der Fläche Deutschlands.
Es ist nicht zu bestreiten, dass die Umsetzung des EU Naturschutzrechtes auch mit Konflikten und in manchen Regionen auch mit erheblichen Sorgen bei der Bevölkerung und der regionalen Wirtschaft verbunden war. Ich halte daher einen kooperativen und dialogorientierten Ansatz bei der Umsetzung des EU Naturschutzrechtes für entscheidend wichtig.
Ziel muß es sein, den Verlust an biologische Vielfalt bis zum Jahr 2010 zu stoppen, entsprechend dem EU Ratsbeschluss von Göteborg 2001.
Die frühere Bundesregierung hat im Mai 2004 in der deutschen ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) zehn Natura 2000-Meeresschutzgebiete an die EU-Kommission gemeldet. Sie umfassen ca. 31 Prozent des deutschen Meeresanteils an der AWZ. Damit ist Deutschland das erste Mitgliedsland, das seinen EU-Verpflichtungen zum Aufbau Des Netzes NATURA 2000 mit einer umfassenden Gebietskulisse jenseits der küstennahen Gewässer nachgekommen ist. Für Investoren (z. B. Offshore-Windenergienutzung) in der AWZ wurde damit die Rechts- und Planungssicherheit verbessert.
An Forderungen verbleiben nun noch:
Zügiger Abschluss der Gebietsmeldungen, um Planungssicherheit zu gewinnen
Förderung des Dialogs zwischen Naturschutz und Wirtschaft in Regionen mit besonderem Konfliktpotenzial
Nationales Naturerbe
Eine dringende nationale Aufgabe bleibt weiterhin die Erhaltung des nationalen Naturerbes in Deutschland. Viele naturnahe Gebiete stehen nicht unter dem geetzlichen Naturschutz. Die vorige Bundesregierung konnte ihr Vorhaben 100 000 ha nationales Naturerbe zu sichern, nicht erreichen. Nur 30 000 ha aus dem BVVG Vermögen wurden an private Stiftungen, Verbände oder die Länder übertragen.
Die neue Regierung hat sich der Aufgabe sofort angenommen. Der Koalitionsvertrag sieht daher eine unentgeltliche Übertragung von 80-125 000 ha Naturschutzflächen des Bundes an die Länder oder eine Bundesstiftung (vorzugsweise DBU) vor. Wir arbeiten zügig an diesem Vorhaben zur Sicherung der wertvollsten Naturschutzflächen im Bundeseigentum.
Am 13.Januar 2006 hat die Bundesregierung einen befristeten Verkaufsstopp für wertvolle Naturschutzflächen in Bundesbesitz verhängt.
Dem Verkaufsstopp unterliegen alle gesamtstaatlich repräsentativen Naturschutzflächen, die sich im Besitz der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben, der Bodenverwertungs- und Verwaltungsgesellschaft und der Lausitzer und Mitteldeutschen Bergbau-Verwaltungsgesellschaft befinden. Dazu gehören auch die Flächen des früheren innerdeutschen Grenzstreifens. Ein Verkauf von land- und forstwirtschaftlichen Flächen, die Eigentum des Bundes sind, erfolgte nur unter Einbeziehung der Länder.
Die Weitergabe an private Stiftungen und Gebietskörperschaften muß ebenfalls möglich sein. Private Stiftungen und Verbände haben durch ihre Vorarbeiten nicht unwesentlich dazu beigetragen, dass wir jetzt so zügig an die Umsetzung gehen können.
Wir sind auf einem sehr guten Weg zur Sicherung des nationalen Naturerbes und schaffen damit auch Planungssicherheit für die weiteren Veräußerungen von land- und forstwirtschaftlichen Flächen des Bundes.
Flächenüberbauung
Die Flächeninanspruchnahme ist in Deutschland weiterhin ein großes Problem. Sie verringert Zahl der Freiflächen und führt zum Verlust an Lebensräumen und zur Zerschneidung von Biotopen. Die durchschnittliche tägliche Flächeninanspruchnahme für Siedlung und Verkehr ist zwar in den letzten Jahren leicht zurückgegangen, lag aber mit 93 ha im Jahr 2003 immer noch zu hoch. Der Rückgang ist wohl mehr auf die schwache konjunkturelle Entwicklung zurückführen als auf erfolgreiche Flächensparpolitik. Es gibt aber auch erste Fortschritte beim Flächenmanagement und beim Flächenrecycling der Städte, das will ich durchaus auch anerkennen.
Wir müssen an dem Ziel festhaltn, bis zum Jahr 2020 die tägliche Flächeninanspruchnahme für Siedlung und Verkehr auf 30 ha zu reduzieren. Ein Volk, das schrumpft muss nicht ständig neue Flächen überbauen. Das schmälert unser Naturpotenzial und belastet uns mit Folgekosten.
Internationaler Naturschutz
Meine Damen und Herren,
am kommenden Montag, dem 22. Mai findet wie jedes Jahr zu diesem Datum der internationale Tag der biologischen Vielfalt statt. Dieses Datum markiert den Tag, an dem das Übereinkommen über die biologische Vielfalt als eine der drei Rio-Konventionen in Kraft getreten ist. Diese Konvention unter dem Dach des Umweltprogramms der Vereinten Nationen UNEP ist das zentrale Instrument für das Management der Natur auf globaler Ebene. Diese Konvention gilt es zu stärken.
Wir begrüßen die Einladung der Bundesregierung an die Staaten der Welt zur nächsten Konferenz über die bilogische Vielfalt im Jahre 2008 in Deutschland. Wir stehen damit vor der Weltöffentlichkeit in der Pflicht, alles in unseren Kräften mögliche zu tun, damit diese Konferenz ein Erfolg wird. Als besonders dringlich sehen wir die Umsetzung der Beschlüsse der vergangenen Vertragsstaatenkonferenzen zur Errichtung eines globalen Netzes von Schutzgebieten, zum Schutz der Meere und zum Schutz der Wälder, hier zuvorderst der letzen Urwälder an. Den Beschlüssen und Absichterklärungen müssen zählbare Taten folgen. Deutschland als große Industrienation mit politischem Gewicht hat dabei eine große Verantwortung.
Dank dem starken Engagement der Bundesregierung in den letzten Jahren ist die internationale Zusammenarbeit im Naturschutz verstärkt worden. Dabei steht die Umsetzung der drei Ziele der CBD im Vordergrund: (1) Schutz der biologischen Vielfalt, (2) nachhaltige Nutzung ihrer Bestandteile und (3) gerechter Ausgleich der sich aus der Nutzung von genetischen Ressourcen ergebenden Vorteile. In diesem Zusammenhang ist der Beschluss des Weltgipfels für Nachhaltige Entwicklung in Johannesburg (WSSD) aus dem Jahr 2002 zur starken Reduktion der gegenwärtigen Verlustrate der biologischen Vielfalt bis zum Jahr 2010 von besonderer Bedeutung. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen neben der Schaffung eines weltweiten Schutzgebietsnetzes auch die nachhaltige Nutzung sowie ein gerechter Vorteilsausgleich auf der Tagesordnung stehen.
Die Bundesregierung muss in den folgenden Jahren ihre Bemühungen zum internationalen Naturschutzes fortsetzen und das 2010-Ziel konsequent umsetzen.
In der bilateralen deutschen Entwicklungszusammenarbeit wurden in den letzten zehn Jahren pro Jahr ungefähr 20 neue Projekte im Bereich Erhalt und nachhaltige Nutzung von biologischer Vielfalt gestartet.
Deutschland muss sich dabei künftig noch verstärkt um den Schutz der tropischen Wälder kümmern. Wenn die EU Regelungen nicht ausreichen, müssen wir national nachsteuern! Für unsere Tempo-Taschentücher dürfen nicht länger Urwälder abgeholzt werden!
Föderalismus
Im Koalitionsvertrag haben die Regierungsfraktionen vereinbart, durch eine Föderalismusreform die Voraussetzungen für ein einheitliches Umweltgesetzbuch zu schaffen. Herzstück soll demnach die Überwindung verschiedener Genehmigungsverfahren für ein Vorhaben durch eine integrierte Vorhabengenehmigung sein.
Der vorliegende Gesetzentwurf würde allerdings die Zersplitterung umweltrechtlicher Kompetenzen im Grundgesetz noch weiter verstärken. Die vorgesehene Abweichungsgesetzgebung für Teile des Umweltrechtes brächte erhebliche Rechts- und Planungsunsicherheiten für Unternehmen. Derart weitreichende Abweichungsrechte wären auf diesem Rechtsgebiet nicht sachgerecht. Sie würden zu vermehrten gerichtlichen Auseinandersetzungen und Konflikten mit europäischen Vorgaben führen.
Probleme würden sich insbesondere bei der integrierten Vorhabensgenehmigung ergeben. Mit diesem Instrument sollen die bestehenden Genehmigungsstrukturen für Unternehmen und andere Betroffene einfacher und transparenter gestaltet werden. Wirtschaftsrelevante Vorhaben sollen danach in einem Verfahren unter allen Umweltgesichtspunkten umfassend geprüft und zugelassen werden.
Das Ziel der Vereinfachung des umweltbezogenen Zulassungsrechtes kann nach meiner Meinung nur erreicht werden, wenn die naturschutzfachlichen und verfahrensrechtlichen Zulassungsanforderungen im Bundesgebiet einheitlich geregelt sind.
Gerade für den Naturschutz ist es wichtig, das die Länder von den naturschutzrechtlichen Regelungen des Bundes auch dann nicht abweichen können, wenn es sich dabei um eine vorhabenbezogene Regelung handelt.
Erneuerbare Energien und die Landschaft
Die globale Klimaerwärmung ist eine grosse Gefahr für die biologische Vielfalt. Dementsprechend ist Klimaschutz auch Naturschutz. Mit der Förderung erneuerbarer Energien und der Erhöhung der Energieeffizienz will Deutschland seinen Beitrag zur Erfüllung des Kyoto-Protokolls leisten.
Deutschland hat sich zum Ziel gesetzt, den Anteil an erneuerbaren Energien an der Stromversorgung von 6 Prozent im Jahr 2000 auf mindestens 12,5 Prozent im Jahr 2010 und auf mindestens 20 Prozent im Jahr 2020 zu erhöhen. Bis zum Jahr 2050 soll dieser Prozentsatz auf 50 Prozent erhöht werden. Anlagen zur Gewinnung erneuerbarer Energie nehmen Fläche in Anspruch und stellen damit einen Eingriff in die Natur dar. Ihr Anbau darf nicht das natürliche Gleichgewicht stören.
In Bezug auf die Zusammenhänge von erneuerbaren Energieträgern, biologischer Vielfalt, Bodenschutz und Landschaftsbild besteht noch ein erheblicher Forschungsbedarf. Zur Vermeidung negativer Effekte müssen ökologische Standards eingeführt werden. Nur so ist die dauerhafte naturverträgliche Nutzung erneuerbarer Energien möglich und deren Akzeptanz in der Bevölkerung gesichert.
Grüne Gentechnik
Die weltweite Anbaufläche von gentechnisch veränderten Kulturpflanzen hat sich von 1,7 Mio. im Jahr 1997 auf 81 Mio. ha im Jahr 2004 ausgeweitet. 59 Prozent dieser Flächen liegen derzeit in den USA: Im weltweiten Vergleich fällt der Anteil Europas an der weltweiten Anbaufläche mit weniger als 0,3 Prozent sehr gering aus. Bis zum Jahr 2004 spielten nur vier gentechnisch veränderte Nutzpflanzenarten eine wirtschaftlich bedeutsame Rolle. In der Reihenfolge ihrer weltweiten Anbauflächen sind dies Soja (48,3 Mio. ha), Mais (19,3 Mio. ha), Baumwolle (9 Mio. ha) und Raps (4,3 Mio. ha). Die gentechnische Veränderung wurde in erster Linie zum Ziel der Erhöhung der Herbizidresistenz und der Insektenresistenz unternommen.
Gentechnisch veränderte Organismen können sich in der Umwelt fortpflanzen und sich über grosse Entfernungen ausbreiten. Die Auswirkungen auf die biologische Vielfalt können unumkehrbar sein. Unser Ziel muss die Verhinderung der negativen Auswirkungen auf die biologische Vielfalt sein
Das erste Gesetz zur Neuordnung des Gentechnikrechts, das im Februar 2005 in Kraft getreten ist, sowie das vom Bundestag im März 2005 beschlossene Zweite Gesetz zur Neuordnung des Gentechnikrechts, dienen der Umsetzung wesentlicher Aspekte der EG-Richtlinie 2001/18/EG, der sog. „Freisetzungsrichtlinie", in nationales Recht.
Das Gesetz verbessert den Umweltschutz , u.a. durch Prüfung der Einzelfälle hinsichtlich der Auswirkung des GVO-Anbaus in ökologisch bedeutenden Gebieten. Freisetzung und Nutzung zugelassener GVO soll unterbunden werden, wenn in NATURA 2000 Gebieten mit erheblichen Beeinträchtigungen zu rechnen ist.
Der Schutz von Mensch und Umwelt vor schädlichen Auswirkungen von GVO und daraus hergestellten Produkten wird auch in Zukunft auf der Prioritätenliste der Bundesregierung stehen müssen.
Noch ein Wort zum ehrenamtlichen Engagement im Naturschutz
Es gibt wenig gesellschaftliche Bereiche, in denen staatliches, verbandliches und persönliches Engagement für das Gemeinwohl traditionell so eng miteinander verbunden sind wie im Naturschutz. Das beweisen u.a. die Gründungen von Naturschutzvereinen und -verbänden bereits im 19. Jahrhundert und „100 Jahre Kooperativer Naturschutz in Bayern" (Gründung des Bayerischen Landesausschusses für Naturpflege am 05.03.1906)
Am Brutvogelatlas Bayern haben über 700 Ehrenamtliche mitgewirkt (zum Vergleich in ganz Bayern gibt es etwa 400 staatliche Naturschutzbeamte). Hätte dieses ehrenamtliche Engagement bezahlt werden müssen, so wären Kosten in Höhe von über 20 Mio. Euro entstanden. Tatsächlich konnte er für 261.000 Euro erstellt werden. Diese Hochrechnung lässt sich auf viele andere kooperative Projekte wie Rote Listen, Atlanten, BayernNetzNatur-Projekte, Umweltbildungsangebote wie BayernTourNatur übertragen. Hier macht das Ehrenamt einen dreistelligen Millionenbetrag aus.
Wenn wir Naturschutz so verstehen, dann wird diese Staatsaufgabe ihren Platz in den Herzen der Menschen behalten.