Klimaverschiebung und wirtschaftliche Folgen

Bundestagsrede am 24. September 2004

Sie können sich hier den Videomitschnitt der Rede ansehen.

Das Weltklimaabkommen, 1997 in der japanischen Stadt Kioto abgeschlossen, verpflichtet die Industrieländer, ihren Ausstoß von klimaschädlichen Gasen bis 2010 um 5 % zu senken. Im Dezember 2004 findet nun eine Folgekonferenz statt, um Bilanz zu ziehen. Bei der vorbereitenden Debatte im Plenum des Bundestages sprach Josef Göppel als Hauptredner der Union über die bisher recht bescheidenen Erfolge und die Möglichkeiten zur Einbeziehung der Entwicklungsländer. Hier das Wortprotokoll seiner Rede. Der im Text mehrfach erwähnte Abgeordnete Kelber (SPD) hatte unmittelbar vor Göppel gesprochen.



Josef Göppel (CDU/CSU):
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, hier ist ein Kontrastprogramm angesagt. Es geht um die Frage, wie wir zu einem Klimaschutz und zu einem Weltklimaabkommen kommen, an dem auch die Entwicklungsländer ein finanzielles Interesse haben.
Ich habe vor zwei Tagen an der öffentlichen Sitzung des Nachhaltigkeitsrates teilgenommen.
(Dr. Peter Paziorek(CDU/CSU): Herr Kelber war nicht da!)
Der Vorsitzende, Volker Hauff, schloss die Sitzung mit den Worten: „Kioto ist keine tragfähige Lösung zur Stabilisierung des Weltklimas.“
Die Union und ich sind anderer Meinung. Wie soll jemand den Mut zu einem anderen, besseren Konzept fassen, wenn wir das vorhandene, mühsam errungene Konzept bereits auf halbem Wege als nutzlos bezeichnen?
(Beifall bei derCDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Insofern stellt sich die Frage, wo wir stehen: 144 Staaten haben das Kioto-Protokoll ratifiziert. Diese Staaten erzeugen 44 Prozent der gesamten Klimagase. Russland erzeugt 17 Prozent; das ergibt zusammen 61 Prozent. Die Schwelle liegt bei 55 Prozent.
Ich habe ebenso wie Sie, Herr Kelber, mit Freude die Nachricht vernommen, dass Herr Putin die Ratifizierung des Abkommens eingeleitet hat. Aber das ist uns schon zweimal angekündigt worden. Das ist das Problem.
(Dr. Peter Paziorek (CDU/CSU): So ist es!)
Ich sage Ihnen in allem Ernst: Der Bundeskanzler muss bei seinem Freund Putin sein volles politisches Gewicht in die Waagschale werfen, damit Russland das Abkommen tatsächlich ratifiziert!
(Beifall bei derCDU/CSU sowie der Abgeordneten Birgit Homburger (FDP) – Dr. Peter Paziorek(CDU/CSU): Das tut er aber nicht!)
Wir wollen, dass dieses Abkommen nicht scheitert, sondern ein Erfolg wird.
Wo stehen wir heute beim weltweiten Ausstoß von klimaschädlichen Gasen? Für das Abkommen von Kioto gilt das Basisjahr 1990. Damals betrug der Ausstoß klimaschädlicher Gase weltweit 30 Milliarden Tonnen. Im Jahr 2000 – zehn Jahre später – waren 35 Milliarden Tonnen zu verzeichnen.
Das heißt, dass in den letzten zehn Jahren keine Senkung erfolgt ist. Im Gegenteil: Es gab eine Steigerung um 17 Prozent. An diesen 35 Milliarden Tonnen haben die Industrieländer einen Anteil von 21 Milliarden Tonnen. Der Ausstoß inden Industrieländern ist allerdings in den letzten zehn Jahren durch die Rückgänge in Russland, die die Zuwächse in den Vereinigten Staaten ausgeglichen haben, in etwa gleich geblieben. Die Europäische Union hat ihren Ausstoß in den letzten zehn Jahren um immerhin 2 Prozent senken können. Aber ihre Verpflichtung, den Ausstoß um 8 Prozent zu senken – Herr Kollege Kelber, wir sind jetztan einer wichtigen Stelle, denn Sie haben der Union unterstellt, dass sie entsprechende Maßnahmen lieber woanders als in Deutschland durchführen möchte - hat sie nicht erfüllen können. Deshalb sage ich ganz klar: Wir müssen in der Europäischen Union und insbesondere in Deutschland noch eine Menge tun, um unser Ziel zu erreichen.
Ich gebe aber zu bedenken: Selbst wenn das Abkommen von Kioto Erfolg hätte und alle Industrieländer ihre Verpflichtungen erfüllen würden, würde der weltweite Ausstoß bis 2010 auf über 40 Milliarden Tonnen steigen. Die Folgen einer solchen Entwicklung können wir uns schon heute täglich im Fernsehen anschauen. Es ist schon fast symbolisch gewesen, dass die Bilder von Haiti im Wasser watende Menschen zeigten, überflutete Dörfer und im Hintergrund kahl geschlagene Berghänge. Schon aus diesem Grund muss es uns ein elementares Anliegen sein, dass die Entwicklungsländer ein finanzielles Interesse daran bekommen, klimaverträglich und nachhaltig zu wirtschaften.
(Beifall bei derCDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Das Ziel von Kioto ist, zu verhindern, dass die Erdmitteltemperatur nicht mehr als 2 Grad im Vergleich zum vorindustriellen Wert ansteigt. Wenn der weltweite Ausstoß auf mehr als 40 Milliarden Tonnen steigt, dann steigt die Erdmitteltemperatur – so schätzt das IPCC, ein internationales Wissenschaftlergremium für Klimafragen – um 3 bis 5 Grad. Die Folgen wären – ich nenne nur die wirtschaftlichen – Verlust fruchtbarer Tieflandgebiete, Verschiebung von Klimazonen mit volkswirtschaftlichen Schäden und ernst zunehmende Wanderungsströme. Wir dürfen also nicht an der Frage vorbeigehen, wie wir für die Entwicklungsländer einen Rahmen schaffen können, der dafür sorgt, dass auch sie ein wirtschaftliches Interesse haben, mehr Klimaschutz zu betreiben.
Es gibt dafür bereits Konzepte. So haben Wissenschaftler schon vor einigen Jahren in Großbritannien das Modell „Contraction and Convergence“ entwickelt, das auf die Verringerung und die Annäherung der Pro-Kopf-Ausstöße bei den klimaschädlichen Gasen abzielt.
Der deutsche Wissenschaftler Lutz Wicke hat im Rahmen des Nachhaltigkeitsrates der baden-württembergischen Landesregierung ein weltweit wirksames Anreizsystem mit handelbaren Zertifikaten entwickelt. Danach wird jedem Menschen auf der Welt ein Ausstoß von 5 Tonnen pro Jahr zugestanden. Das wärenbei 6 Milliarden Menschen etwa 30 Milliarden Tonnen, also das Niveau von 1990.Länder, die darüber liegen, müssten zukaufen und Länder, die darunter liegen, könnten finanzielle Anreize für ihre wirtschaftliche Entwicklung bekommen. – Sie lachen vielleicht zu Recht, wenn es um die Frage geht, ob sich so etwas durchsetzen lässt. Immerhin will die Europäische Kommission auf der nächsten Folgekonferenz in Buenos Aires im Dezember dieses Jahres ein Dreistufenkonzept einbringen, das in der ersten Stufe eine freiwillige Verpflichtung zur Erhöhung der Wirkungsgrade von Anlagen in Entwicklungsländern, in der zweiten Stufe den verbindlichen Ersatz alter Anlagen, so dass etwa 1 Tonne Stahl mit weniger klimaschädlichen Abgasen erzeugt wird und erst in der dritten Stufe verbindliche Länderobergrenzen vorsieht.
Es ist natürlich noch offen, ob ein solches Modell eine Mehrheit finden kann; denn die entscheidenden Länder sind China und Indien. Man hört in Brüssel, dass sie für ein solches Mehrstufenmodell Sympathie zeigen; aber der Erfolg ist noch lange nicht sicher.
Die so genannten flexiblen Maßnahmen im jetzigen Kioto-Abkommen – Clean Development Mechanism, also umweltverbessernde Maßnahmen in den Entwicklungsländern und die so genannten Joint Implementations in den osteuropäischen Ländern; damit ist im Grunde dasselbe gemeint – betreffen den Export klimaschützender Technologien. Ich bin schon der Meinung, dass die jetzige Grenze von 6 bis 8 Prozent willkürlich gewählt ist. Es gibt für sie weder eine wirtschaftliche noch eine naturwissenschaftliche Begründung. Das war vor einem Jahr der Grund dafür, den Antrag einzubringen, über den wir heute reden.
(Beifall beiAbgeordneten der CDU/CSU)
Ich bin der Meinung, dass es sinnvoll ist, den Entwicklungsländern mehr Technologietransfer bereitzustellen und auf diese Art und Weise das wirtschaftliche Interesse dort in Gang zu bringen. Das ist aber noch keine über das jetzige Abkommen hinausweisende Lösung. Das müssen wir alle gemeinsam erkennen.
Ich fasse zusammen: Fortschritte beim weltweiten Klimaschutz sind davon abhängig, dass die Entwicklungsländer ein wirtschaftliches Interesse daran entwickeln. An einem solchen Konzept muss die Bundesregierung mit größerem Nachdruck als bisher arbeiten. Schön, dass Minister Trittin hier ist.Herr Minister Trittin, wir brauchen Ihre Initiativen auf internationaler Ebene! Vor allen Dingen brauchen wir auch die Initiativen des überall so geschätzten Außenministers Joschka Fischer auf diesen Sektoren. Ich habe solche Initiativenbisher noch nicht wahrgenommen. Ich bin sehr gespannt. Nötig sind Initiativen zu einer sinnvollen Weiterentwicklung des Abkommens von Kioto von unserer deutschen Bundesregierung. Sie ist hier ganz besonders gefordert.
(Beifall bei der CDU/CSU)