Gruhl's zeitlose Mahnungen

Dankesrede von MdB Josef Göppel zur Verleihung des Herbert-Gruhl-Preis
am 13. September 2003 in Nürnberg

Am Beginn soll der Dank stehen an die Herbert-Gruhl-Gesellschaft für die Verleihung Ihres Preises 2003 an mich. Ich nehme ihn gerne entgegen. Er ist für mich ein Ansporn, nicht nachzulassen im Ringen um ein naturverträgliches Leben und Wirtschaften.

Das Vermächtnis

„Ein Planet wird geplündert“ – dieses Buch hat mich aufgewühlt wie kein anderes. Ich war gerade ein Jahr zuvor in den Bezirkstag von Mittelfranken gewählt worden und begann in diesem Gremium die Ideen Gruhls umzusetzen. Das ist auch ganz gut gelungen. Zu nennen wäre hier die Ökologisierung der Landwirtschaftlichen Lehranstalten Triesdorf, die Triesdorfer „Flurbereicherung“, die Schaffung des mittelfränkischen Umweltfonds, die Solare Wasserstoffgesellschaft, die Gründung des Landschaftspflegeverbandes Mittelfranken und schließlich die Begründung der Stiftung „Natur-Kultur-Struktur“.

Als Förster waren mir die Gedanken von Herbert Gruhl nicht fremd. Sie fielen sozusagen auf fruchtbaren Boden. In seiner ersten Bundestagsrede 1970 sprach Gruhl davon, dass die Umweltvorsorge obersten Stellenwert bekommen müsse, damit Schäden möglichst gar nicht erst entstünden. Wenn man bedenkt, dass wir noch weit in die 80er Jahre hinein Umweltschutz als Reparaturbetrieb erlebten, dann kann man ermessen, wie weit Gruhl seiner Zeit voraus war. Vielleicht nur Alois Glück ist ihm da noch ebenbürtig. Das Vermächtnis Gruhls hat mich im Bezirkstag und später im Bayerischen Landtag bis heute in den Bundestag begleitet.

Wertkonservativ

Zunächst ist da die Verankerung im christlichen Glauben.Wer glaubt, dass er selbst nur ein Geschöpf ist, einem Höheren verantwortlich, der sieht und akzeptiert auch die Grenzen, die uns als Menschen gesetzt sind.„Grenzüberschreitung“ ist heute ein Modewort. Die Natur brachte dagegen ineinem langen Ausleseprozess fein ausbalancierte Grenzen hervor. Diese Grenzen sind durchlässig, aber nicht unkontrolliert durchlässig. Unser eigener Körper ist aus vielen eigenständigen Zellen aufgebaut, in denen ein Teil der Lebensvorgänge selbständig abläuft. Wer auf die Idee käme, die Zellwände als Handelshemmnisse für die Ionen des Stoffwechsels zu „deregulieren“, also zu beseitigen, der würde in kürzester Zeit den gesamten Organismus zerstören. Wir brauchen ein gewisses Maß an Regulierung, wenn wir Ordnung erhalten wollen. Die Kräfte des Marktes brauchen Regeln, die sie begrenzen.

Sodann geht es um die wertkonservative Grundhaltung. Solche Menschen stehen auf einem festen ethischen Fundament. Selbst natürlich nicht frei von Fehlern, kehren sie aber doch immer wieder zu ihrem inneren Kompass zurück. Dieser Kompass zeigt vor allem stets auf das rechte Maß. Wertkonservative sind zunächst skeptisch gegen Neues, prüfen es gründlich und möchten nur das übernehmen, was wirklich zur Besserung der Verhältnisse führt. Der schnelle Durchsatz an Meinungen, an Moden, an Beziehungen und an Konsumartikeln ist ihnen zu wider. Der Gedanke der Nachhaltigkeit kommt ihrem Wesen am besten entgegen. Man mag das für unmodern halten, aber lang dauernde Kulturen waren in der Geschichte immer an solchen Prinzipien ausgerichtet.

Gruhl hatte es da schwerer als wir Heutigen. Konservativ war in den 70er Jahren ein Schimpfwort. Jetzt stellen sich die forschesten Typen als neoliberal, ja sogar als neokonservativ dar. Doch Vorsicht! Mit Marktwirtschaft auf den Lippen kommen die Protagonisten eines schrankenlosen Wettbewerbs daher. Das alte Gesetz des komparativen Kostenvorteils wird bemüht, um sogenannten unrentablen Strukturenden Garaus zu machen: Bäuerliche Landwirtschaft, regionales Handwerk, kleiner Einzelhandel. Bei Gütern des täglichen Bedarfs ist das ein Irrweg. Viel zu viele mittelständische Existenzen gehen dabei zugrunde.

Soziale Marktwirtschaft gegen schrankenlose Liberalisierung

Ludwig Erhardt hat mit dem Konzept der sozialen Marktwirtschaft einen Weg gewiesen, der den erwirtschafteten Wohlstand breit verteilte und die Mittelschicht des Volkes stabilisierte. Jetzt drohen diese Errungenschaften auf dem Umweg über die Globalisierung wieder hinweg gespült zu werden. Es ist eine Lüge, dass der Welthandel in der jetzigen Form allen dient. Die Unterschiede zwischen Arm und Reich auf dem Erdball sind in den letzten 30 Jahren größer geworden statt kleiner. Die sogenannte Liberalisierung zerschlägt erst einmal vorhandene Strukturen. Wir brauchen ein Weltwirtschaftsmodell, das bei den Gütern des täglichen Bedarfes auf regionale Kreisläufe und kurze Wege setzt. Gerade in ländlichen Räumen brauchen wir zirkulierendes Kapital, damit die Menschen dort noch Arbeit und Brot finden und nicht in die Ballungszentren ziehen. Wie werden sehen, dass die Entwicklungsländer die Welthandelsrunde in Cancun diesmal platzen lassen. Sie lassen sich nicht mehr mit fernen Heilsversprechen über den Tisch ziehen.

Auch für dieMenschen in den dünn besiedelten Räumen der Industrieländer hat die sogenannte Liberalisierung bisher überwiegend Nachteile gebracht. Die privatisierte Post, die Bahn und privatisierte soziale Dienste ziehen sich immer mehr aus den ländlichen Räumen zurück. Dort wird das Angebot immer schlechter. Die Lebensqualität der Menschen sinkt. Es ist höchste Zeit, die ideologiehaften Auswüchse der Privatisierung zu benennen. Gleichwertige Lebensbedingungen im ganzen Land, so wie es unsere Verfassung fordert, kann es nur mit klaren Rahmenbedingungen eines demokratisch aufgebauten Staatswesens geben. Die wirtschaftlichen Kräfte lassen das außer Acht. Sie konzentrieren sich immer dort, wo die meisten Kunden sitzen.

Die Finanzen der Staaten hat die Globalisierung ebenfalls in eine krasse Schieflage gebracht. Immer mehr Wertschöpfung entzieht sich der Besteuerung durch übernationale Verflechtungen. Gleichsam auf Stelzen steigen die multinationalen Konzerne über die Ländergrenzen weg und bilden ein eigenes Geflecht, auf das die territorial fest gebundenen Staaten keinen Einfluss haben. Den Großteil der Steuerlast tragen so Arbeitnehmer und Mittelständler. Immer lauter ertönt deshalb der Ruf nach einer Steuerquelle, die der neuen Weltsituation Rechnung trägt. So wie für Waren und Dienstleistungen Mehrwertsteuer bezahlt werden muss, so sollen künftig auch Kapitaltransaktionen an den Börsen zur Finanzierung der internationalen Entwicklungszusammenarbeit heran gezogen werden.

Solche Beispielezeigen – wir brauchen einen weltweiten Siegeszug der sozialen Marktwirtschaft und nicht ihren Rückzug! Wir brauchen klar definierte, soziale, ökologische und kulturelle Standardsinnerhalb der Marktwirtschaft, aber nicht schrankenlosen Wettbewerb. Nur die ökologisch weiter entwickelte soziale Marktwirtschaft ist in der Lage, das Zieldreieck der Nachhaltigkeit mit wirtschaftlichem Wohlergehen, sozialer Gerechtigkeit und Rücksicht auf die Natur zur Deckung zu bringen.

Wie können wir mit 20 % des heutigen Energiedurchsatzes gleich gut oder vielleicht sogar besserleben? Unser Planet verbrennt heute fünf Mal mehr Ressourcen, als die Atmosphäre nachhaltig verkraften kann. „Wärmemüll“ häuft sich als nicht mehr nutzbare Energie an. Die Wirkung ist ähnlich wie bei Stoffwechselschlaken einer zu üppigen Ernährung im menschlichen Körper. Nicht zurück in die Steinzeit muss die Parole heißen, sondern mit verfeinerter Technik Rohstoffe und Energie besser nutzen, dem Fortschritt eine neue Richtung geben.

Fragen der Strategie

Unser Wirtschaftssystem ist auf immer neues Wachstum gerichtet. Ohne Wachstum kein Abbau der Arbeitslosen und keine soziale Sicherheit heißt es. Gibt es immer währendes Wachstum? In der Natur gibt es das nicht. Vielleicht hilft ein Blick auf das Wachstum unseres menschlichen Gehirns, um einen Ausweg zu zeigen.

Unsere Kopfschaleerreicht schon im Kindesalter ihre endgültige Größe. Das quantitative Wachstumist damit abgeschlossen. Weiteres Wachstum vollzieht sich als Differenzierung. Die Verknüpfung der Gehirnzellen zu neuen Lösungen ist praktisch unbegrenzt.

Darin liegt auch fürganze Volkswirtschaften ein gangbarer Weg. Schon heute gibt es einen Trend zur Individualisierung bis hin zur „Losgröße 1“. Individuelle Problemlösungen,die Bereitstellung eines Produktes, Service und Finanzierung über Nutzungsgebühren umfassen, setzen sich immer mehr durch. Das führt zu langlebigeren Produkten, denn derVermieter einer Sache hat Interesse an möglichst langer Nutzungszeit.

Wie lässt sich diese Kurskorrektur erreichen? Vor einer Generation hat die Umweltbewegung auf Katastrophenszenarien gesetzt und damit viel erreicht. Die Diskussion um das Waldsterben mag das exemplarisch belegen. Heute wirken solche Mittel kaum mehr.Es gibt aber einen Weg, wieder Mehrheiten für einen aktiven Umweltschutz zuschaffen. Wir müssen vorsorgenden Umweltschutz und Sicherung von Arbeitsplätzen strategisch verknüpfen.

Beispiel 1:

Die Einführung einer Steuervergünstigung für Wärmeschutzmaßnahmen an Altbauten. Dieenergetische Sanierung der Altbausubstanz in Deutschland leistet einerseits den höchsten Einzelbeitrag zur CO2 -Minderungund bringt andererseits einen unmittelbaren Beschäftigungseffekt für das mittelständisch geprägte Bauhandwerk. Das ist ein klassisches und sofort umsetzbares Beispiel für mehr Arbeitsplätze durch vorsorgenden Umweltschutz. Staatliche Direktinvestitionen und Fördermittel müssen in Zukunft mehr nach dem Grad ihrer Beschäftigungswirkung vergeben werden.

Beispiel 2:

Die Besteuerung des Kerosins. Billigflieger entziehen der inländischen deutschen Tourismuswirtschaft inzwischen zweistellige Marktanteile. Die Beseitigung der Steuerfreiheit von Kerosin wirdin der deutschen Fremdenverkehrswirtschaft zahlreiche neue Arbeitsplätze schaffen und besonders wirksam zum Klimaschutz beitragen.

Beispiel 3:

Die allmähliche Umstellung der Stromerzeugung auf dezentrale und vernetzte Einspeiser. Die Stromerzeugung in großen Kraftwerksblöcken ist kapitalintensiv und arbeitsextensiv. Ein System zahlreicher dezentraler Einspeiser, das erneuerbare Primärenergiequellen nutzt, bringt regionalen Handwerkern Aufträge und führt zu einer ausgeglichenen CO2-Bilanz.

Die Umweltpolitikermüssen darüber hinaus heute mehr von den persönlichen Interessen der Menschen herargumentieren. Nicht theoretisch den Flächenverbrauch beklagen, sondern fragen:

  • Wo bleibt Raum für Ihr Kind zum Schlittenfahren?   
  • Haben Sie noch Räume zur Erholung direkt um Ihr Wohnquartier?
  • Können Sie nachts ruhig schlafen?


Mehrheiten bekommt nur, wer die Menschen nimmt wie sie sind und sie dort abholt, wo sie sind. Ich halte Mehrheiten zum Besseren in vielen Fragen für möglich, wenn den aktivsten Teilen der Bevölkerung die Folgen des Nichthandelns für ihr persönliches Lebensumfeld und ihren Geldbeutel sichtbar gemacht werden können. Die kritische Grenze für politische Veränderungen ist ein Drittel des Wahlvolks!

In diesem Sinne möchte ich auch Ihren Preis entgegennehmen. Jede Zeit hat ihre Mittel. Jetzt geht es darum, aus der Umweltbewegung heraus strategische Partnerschaften aufzubauen und so neue Mehrheiten zu finden.