Agenda 21 - Aktionsprogramm für das 21. Jahrhundert

Die ZEIT bezeichnete die Agenda 21 vor wenigen Tagen als "einen Wunschzettel, den kaum jemand zur Kenntnis nimmt." Was früher Wirtschaftswachstum hieß, werde heute nachhaltige Entwicklung genannt. Im übrigen gehe alles nach dem selben Strickmuster weiter - alte Politik mit neuen Namen.

Angesichts dieser Kritik ist es lohnend, sich in Erinnerung zu rufen, was die Agenda eigentlich will und wie sie entstanden ist. Das in der deutschen Sprache ungewohnte Wort Agenda verweist auf das lateinische agere = etwas vorantreiben, in Bewegung setzen. Die Agenda 21 ist schlicht eine Liste dessen, was für das 21. Jahrhundert zu tun ist. Bei der Riokonferenz 1992 unterschrieben 179 Regierungschefs dieses völkerrechtliche Übereinkommen. Es ist etwa 300 Seiten stark und hat 40 Kapitel.

Die Agenda 21 hat zwar nur den Charakter einer unverbindlichen Absichtserklärung. Sie ist an vielen Stellen vage formuliert. Sie stellt aber dennoch einen umwelt- und entwicklungspolitischen Rahmen dar, an dem sich die Arbeit aller Regierungen nun messen lassen muss. Für viele Staaten ist dieses Übereinkommen auch der erste Ansatz einer Umweltpolitik.

Die Agenda 21 bedeutet nicht, dass der Umweltschutz bei uns neu erfunden werden muss. Kommunale Umweltprogramme haben viele Städte schon in den 80er Jahren erstellt. Die verschiedenartigen Ansätze kommunaler Umweltpolitik sollen nun aber unter dem Schirm einer lokalen Agenda systematisch zusammengefasst und gebündelt werden. Es sollen auch Aspekte eingehen, die bisher die kommunale Umweltpolitik nur am Rande berührten, wie wirtschaftliche und soziale Fragen oder der gezielte umweltpolitische Diskussionsaustausch mit Partnergemeinden.

Ein Blick in den Originaltext des Kapitels 28, das sich mit den Kommunen befasst, zeigt, dass die Agenda weit mehr werden soll, als wir Deutsche mit unseren zahlreichen verwaltungsmäßig erstellten Programmen gewöhnt sind: "Da viele der in der Agenda 21 angesprochenen Probleme auf Aktivitäten der örtlichen Ebene zurückzuführen sind, ist die Mitwirkung der Kommunen ein entscheidender Faktor. Als Politikebene, die den Bürgern am nächsten ist, spielen sie eine entscheidende Rolle bei der Mobilisierung der Öffentlichkeit für eine nachhaltige und umweltverträgliche Entwicklung.

Jede Kommunalverwaltung soll in einen Dialog mit ihren Bürgern, örtlichen Organisationen und der Privatwirtschaft eintreten und eine kommunale Agenda 21 beschließen. Durch den Konsultationsprozess wird das Bewusstsein der einzelnen Haushalte für Fragen der nachhaltigen Entwicklung geschärft.

Alle Kommunen in jedem Land sollen dazu angehalten werden, Programme durchzuführen, deren Ziel die Beteiligng von Frauen und Jugendlichen an Planungsprozessen ist."


Das Wesen des Agendaprozesses ist durch seine Verfahrenskultur gekennzeichnet. Bürgerbeteiligung und Nachhaltigkeit sind die beiden gleichrangigen Leitmotive der Agenda 21. Als bildlicher Vergleich für diesen Weg können die großen mittelalterlichen Kathedralbauten dienen. Alle Gruppen in der Stadt halfen mit und das über Generationen hinweg. Sie hatten ein klares Ziel vor Augen. Die Pläne waren von Anfang an da, aber sie wurden aufgrund neuer Erkenntnisse, zum Beispiel in der Statik oder im Stilempfinden, immer wieder angepasst. Mit dieser Flexibilität entstanden schließlich großartige Gesamtkunstwerke.

In Bayern arbeiten inzwischen etwa 10 Prozent aller Städte und Gemeinde an einer kommunalen Agenda. Schwabach gehört hier zu den Pionieren. Der Geist von Rio hat in der Stadt Schwabach schon vor längerer Zeit Einzug gehalten. Beispielhaft erwähne ich das Projekt Ökologische Stadtentwicklung mit dem Bundesbauministerium, die große Flussrenatuierung inmitten der Stadt und die Arbeit des Landschaftspflegeverbandes zusammen mit Landwirten, die naturnahe Lebensräume für Pflanzen und Tiere und zugleich ein attraktives Wohnumfeld für die Menschen schaffen soll, in dem man sich wohlfühlt.

Der Artikel 28 der Agenda wendet sich zunächst unmittelbar an die Verantwortlichen der Stadt, den Oberbürgermeister, die Stadträte, die Verwaltung. Sie sollen dem Agendaprozess einen Rahmen geben. Inhaltliche Anstöße dazu können aber von jedem Bürger kommen. Es sollen Gesprächsforen als runde Tische eingerichtet werden. Die Sprecher der einzelnen runden Tische sollen sich in einem Lenkungskreis zusammenfinden. Wichtig ist ein dauerhaft verantwortlicher Ansprechpartner in der Verwaltung. Größere Städte haben eigene Agendabüros eingerichtet.

Ich halte es für sinnvoll, den Agendaprozess auf etwa 2 Jahre zu begrenzen. Wichtig ist auch die regelmäßige Rückkopplung der Gesprächsforen mit den verantwortlichen Kommunalpolitikern um das finanziell Machbare im Auge zu behalten. Am Anfang steht immer eine umfassende Bestandsaufnahme der Situation in der Stadt. Das Herzstück des Agendaprozesses ist aber die Erarbeitung eines Konsenses über konkrete Maßnahmen in einzelnen Handlungsfeldern. Der von den Foren erarbeitete Entwurf einer kommunalen Agenda wird dann in der Regel dem Stadtrat zur Beschlussfassung vorgelegt. Er darf eben kein unverbindlicher Wunschkatalog sein, sondern ein finanziell abgesichertes Aktionsprogramm mit klaren zeitlichen Vorgaben und regelmäßigen Berichtspflichten.

Unter den Gemeinden in Deutschland, die bisher an einer kommunalen Agenda arbeiten, haben sich drei Handlungsfelder eindeutig herauskristallisiert: Siedlungsökologie, Klimaschutz und Verkehr. In dem Leitfaden "Die umweltbewusste Gemeinde" des Bayerischen Umweltministeriums sind zu diesen drei zentralen Aufgabenfeldern zahlreiche Handlungsbeispiele aufgeführt. Daneben werden auch alle anderen Aspekte der Kommunalpolitik detailliert abgehandelt.
Hier einige Beispiele:

Siedlungsökologie:

  • In der Stadtplanung auf möglichst kurze Wege zwischen Wohnen, Arbeiten und Freizeiteinrichtungen achten
  • Innenentwicklung vor Neuausweisung von Bauflächen
  • Gezieltes Bauflächenrecyclingprogramm
  • Auf Erholungsmöglichkeiten mit dem Fahrrad oder zu Fuß achten. Ein Hang zum Schlittenfahren oder der Weg für den Sonntagnachmittagspaziergang sind genauso wichtig wie Erschließungsstraßen! Das Wohnumfeld kam bisher oft zu kurz.

Klimaschutz:

  • Kommunale Energieeinsparungspläne für die bestehende Bausubstanz
  • Mitarbeit in der regionalen Energieagentur
  • Hausmeister zu Energiesparmeistern fortbilden
  • Kommunales Förderprogramm zur Energieverbrauchssenkung und zum Einsatz erneuerbarer Energien
  • Kostendeckende Einspeisevergütung
  • Bau von Blockheizkraftwerken wo immer möglich

Verkehr:

  • Senkung des Verkehrsbedarfs zum Prinzip der Bauleitplanung machen
  • Vorrang für Lärmschutz und Sicherheit vor Geschwindigkeit bei der Verkehrsplanung
  • Gezieltes Programm zur Erleichterung der Fahrradbenützung in der Stadt. Zwei Drittel aller Autofahrten sind kürzer als 5 Kilometer!
  • Einen großen Einfluss auf das Verkehrsverhalten hat die Weglänge von der Haustür zum geparkten Auto
  • Wohngebäude und Stellplätze entkoppeln

Eine Fülle von Einzelschritten muss getan werden. Entscheidend ist, dass sie sich alle an der Richtschnur der Nachhaltigkeit ausrichten. Was bedeutet Nachhaltigkeit?

Der Agenda 21 liegt inhaltlich der Begriff Nachhaltigkeit zugrunde. Nachhaltigkeit ist das klassische Prinzip der deutschen Forstwirtschaft. Es darf nicht mehr Holz eingeschlagen werden als nachwächst. Goethe erkannte schon, dass dieser Gedanke umfassender anzuwenden ist. Er formulierte: "Unsere ganze Aufmerksamkeit muss darauf gerichtet sein, der Natur ihr Verfahren abzulauschen, damit wir sie durch zwängende Vorschriften nicht widerspenstig machen, uns dagegen aber auch nicht durch ihre Willkür vom Zweck entfernen lassen."

In der Ökonomie hat sich das Prinzip der Nachhaltigkeit am klarsten bei der Nutzung von Stiftungsvermögen durchgesetzt. Der Kapitalstock muss immer erhalten bleiben. In der betriebswirtschaftlichen Praxis ist der angemessene Rückhalt zur Erneuerung des verbrauchten oder veralteten Produktionskapitals eine Selbstverständlichkeit. Genau das unterbleibt aber bisher bei der Nutzung des Naturvermögens. Dabei kommt sogar noch hinzu, dass Naturgüter nicht beliebig ersetzbar sind, wie es die vorherrschende neoklassische Schule der Ökonomie gern unterstellt.

In der englischen Übersetzung sustainable development tritt die Nachhaltigkeit aus ihrem lodengrünen Schattendasein heraus. 1987 forderte der Brundtland-Bericht der Weltkommission Umwelt und Entwicklung den Gedanken der Nachhaltigkeit zum Grundprinzip der Politik zu machen. In Rio 1992 setzte er sich allgemein durch. Die Nutzung der Naturgüter durch den Menschen muss immer einen genügend großen Grundbestand erhalten. Die Ansprüche künftiger Generationen dürfen nicht gefährdet werden.

Weniger bekannt ist, dass zum Begriff der Nachhaltigkeit noch ein zweites Element gehört. Ökonomische, soziale und ökologische Belange sind miteinander in Einklang zu bringen. Eine Maßnahme ist dann nachhaltig, wenn sie diese drei Ziele gleichermaßen im Auge hat und ihnen gerecht wird. Dieses Zieldreieck der Nachhaltigkeit bedeutet, dass eine neoliberale Wirtschaftspolitik, die nur die Kräfte des Marktes wirken lassen will, nicht nachhaltig ist. Shareholder Value, der Blick auf den höchsten Aktienertrag ohne Bindungen an soziale und ökologische Verantwortung ist nicht nachhaltig. Eine neue Schnellstraße garniert mit ökologischen Ausgleichsflächen ist nicht nachhaltig.

Hier wird auch sichtbar, dass viele gute kommunale Initiativen Stückwerk bleiben, wenn in der nationalen Politik der Rahmen fehlt. Viel zuwenig wird beispielsweise in der Diskussion um die Steuerreform die gemeinsame Wurzel von Arbeitsmarktproblemen und Umweltproblemen gesehen. Unser Steuersystem mit seiner überholten Schwerpunktsetzung auf den Faktor Arbeit zwingt fast dazu, den Anteil der menschlichen Arbeit immer mehr zurückzudrängen und mit Maschinen und damit Energie zu ersetzen. Der Faktor Arbeit musste 1996 67 % der gesamten Steuern und Abgaben erbringen. Vor 25 Jahren waren es noch 45 %. Ich sage es noch einmal: Die überholte Schwerpunktsetzung unseres Steuersystems trägt massiv zur Arbeitslosigkeit bei und verschärft die Umweltprobleme.

Die allmähliche Umschichtung der Steuerlast von der Arbeit auf den Ressourcenverbrauch wird in der aktuellen Diskussion um die Steuerreform mit allen möglichen Ausflüchten verdrängt. Unabänderlich ist sie aber dennoch. Die naturwissenschaftlichen Fakten werden sie erzwingen. Je später wir aber die Wende einleiten, desto schmerzlicher wird sie sein.

Wir haben das Glück, in einer der elastischsten und ökologisch belastbarsten Regionen der Erde zu leben. Durch den ausgeglichenen Kreislauf von Regen und Verdunstung und das intakte grüne Pflanzenkleid haben wir eine natürliche Belastungsgrenze für den zivilisatorischen Energiefluss von 150 kW pro Quadratkilometer Landesfläche. In weiter südlich oder nördlich gelegenen Breitengraden sinkt diese Belastungsgrenze auf weniger als die Hälfte.

Trotzdem haben wir etwa um 1960 unsere natürliche Belastungsgrenze überschritten und sind jetzt beim vierfachen Wert angekommen. Dieser hohe Energiedurchsatz ist nicht nachhaltig und auf Dauer nicht tragbar. Alles was über der natürlichen Belastungsgrenze liegt, reichert sich in der Biosphäre an und führt zu gewaltigen volkswirtschaftlichen Reparaturkosten. Das können Wetterkatastrophen sein, Massenvermehrung von Schädlingen oder Bauschäden.


Wirkungen

Die allmähliche Umschichtung der Steuerlast vom Faktor Arbeit auf den Ressourcenverbrauch ist kein Allheilmittel für alle Probleme. Aber sie wird auf breiter Basis Innovationen zu energiesparenden Verfahren, Produkten und Verhaltensweisen in Gang setzen. Das eröffnet unserem Land auf dem Weltmarkt neue Chancen. In den meisten Ländern der Erde ist menschliche Arbeitskraft im Überfluss vorhanden, aber Energie und gesunde Lebensgrundlagen sind knapp. Auch andere Länder werden sich auf Dauer dem Zwang zu nachhaltigem Wirtschaften nicht entziehen können.

Die stärkere Preisbewertung der Energie wird vom schnellen Materialdurchsatz zu langlebigeren Gütern führen. Das bringt mehr Instandhaltung und Reparaturen und damit mehr handwerkliche Arbeit und Dienstleistungen mit sich. Die stärkere Gewichtung der Transportkosten führt vor allem bei Gütern des täglichen Bedarfs zu mehr regionalen Wirtschaftskreisläufen mit kurzen Wegen zwischen Erzeugern und Verbrauchern. Land- und Forstwirtschaft erhalten eine echte neue Zukunftsperspektive, weil die dezentrale Energiebereitstellung aus nachwachsenden Stoffen dauerhafte Märkte schafft. Unser Schwachholz verkommt bisher immer noch weitgehend ungenutzt in den Wäldern, weil das Preisverhältnis zu den fossilen Energien verzerrt ist. In Schweden hat zum Beispiel die Einführung der CO2/Energiesteuer im Jahr 1992 einen Biomasseboom ausgelöst, der seitdem jedes Jahr die Zuwächse bringt, die beispielsweise Bayern aufsummiert in allen Jahren bisher erreicht hat.

Das Ziel, die Steuer- und Abgabenlast insgesamt zu reduzieren, wird durch eine aufkommensneutrale Umschichtung nicht in Frage gestellt. Selten hat es eine solche Kluft zwischen dem objektiv vorhandenen Problemstau und dem politischen Meinungsklima gegeben. Spitzenpolitiker und Spitzenjournalisten zerhacken sich in Tagesaktualitäten. Die langfristige Orientierung, die den Menschen Mut und Hoffnung gibt, wird kaum sichtbar. Von der Steuerreform muss aber das Signal ausgehen, dass sich Deutschland den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts stellt.

Auf der untersten räumlichen Ebene nehmen alle Probleme von Umwelt und Entwicklung konkrete Gestalt an. Die politischen Rahmensetzungen entfalten hier ihre Wirkungen zum Guten oder Schlechten. Das eröffnet aber auch Einflussmöglichkeiten. Viele Initiativen zu einer nachhaltigen Entwicklung in vielen Gemeinden können die Richtung der Gesamtpolitik sehr wohl beeinflussen. Aus den vielen unspektakulären kleinen Taten für das Notwendige entsteht ein Strom, dem sich niemand mehr entziehen kann.

Zu diesem Aufbruch ermutige ich alle Bürgerinnen und Bürger in Schwabach. Sie arbeiten damit an einem guten und großen Ziel. Sie geben damit ein Beispiel für unser Land.