Kulturgut Alleen als Straßen der Zukunft

Göppel:

Vorauseilender Gehorsam hat in Ländern zu Abholzungen geführt

Kulturgut und Sicherheitsrisiko: Eine interfraktionelle Parlamentariergruppe setzt sich dafür ein, den deutschen Alleenbestand an Landes- und Bundesstraßen mit einem erhöhten Maß an Sicherheit zu vereinbaren. Foto: BS/Bemd Kasper, plxelio.de

(BS) Er ist das "grüne Gewissen" seiner Partei: Der 66-jährige Bundestags- abgeordnete Josef Goppel setzt sich wie kein anderer in der CSU-Fraktion für den Erhalt von Natur und Umwelt ein. Zusammen mit Mitgliedern aus allen anderen Parlamentsfraktionen und der Unterstützung mehrerer Verbände kämpft der frühere Förster aus Mittelfranken für den Erhalt der deutschen Alleen - auch um die Verkehrsadern von Bund und Ländern zukunftsfest zu machen. 

Die Fragen stellte Julian Einhaus.

 

Behörden Spiegel: Herr Göppel, warum setzen Sie sich für den Erhalt der Alleen in Deutschland ein?  

Göppel: Alleen sind in erster Linie ein kulturelles Erbe unseres Landes. Die Baumreihen bieten spätestens seit dem 18. Jahrhundert Orientierung im Raum. Man spricht heute auch von der "selbsterklärenden Straße“, die durch optische Führung lenkenden Einfluss auf das Fahrverhalten nimmt. Darüber hinaus stellen Alleen wichtige ökologische Rückzugsflächen dar: Die Zahl der Lebewesen ist hier erheblich höher als in der Umgebung. Ausschlaggebend dafür ist sicherlich, dass keine chemischen Mittel verwendet werden und die Bäume zumeist ein sehr hohes Alter erreichen. Schließlich schützen Bäume auch vor klimatischen Einflüssen wie Staubverwehungen.    

Behörden Spiegel: Kritiker werfen ein, dass die straßennahen Bäume bei Verkehrsunfällen viele Todesopfer mit sich bringen? Ist abholzen nicht doch gesünder?   

Göppel:  Das ist die Schule der "fehlerverzeihenden Straße", deren Vertreter sich ein tabula rasa wünschen. In anderen Worten: Alles soll abgesägt werden, damit Unfallautos von der Straße hinausschießen können aufs freie Feld. 

Heutige abfedernde Leitplanken sind so gut entwickelt, dass selbst Motorradfahrer auf der Fahrbahn gehalten werden. Diese Schutzmaßnahmen sind problemlos zwischen Baumreihen und Straße anzubringen und bieten dadurch erheblich mehr Sicherheit.  

Behörden Spiegel: Das Risiko schwerer Unfälle ist aber weiterhin weit höher als auf Straßen ohne dicht bepflanzter Bäume.   

Göppel:  Ein höheres Maß an Sicherheit kann vor allem durch Geschwindigkeitsbegrenzungen erreicht werden. Manch einer mag einwenden, dass man bei Aufprällen mit 80 statt 100 km/h auch sterben könne. Die Wahrscheinlichkeit von der Straße abzukommen sinkt allerdings deutlich. Außerdem vermindern sich riskante Überholmanöver bei Strecken mit Geschwindigkeitsbegrenzungen. Ein zusätzliches Plus an Sicherheit werden neue technische Entwicklungen bringen. 

Behörden Spiegel: Was meinen Sie damit genau? 

Göppel: Das selbstfahrende Auto, das eine angepasste Geschwindigkeit einhalten und damit besser in der Spur bleiben wird. Bis dahin müssen Tempolimits und Radarkontrollen dafür sorgen, dass Autofahrer nicht zu Schaden kommen. 

Behörden Spiegel: Wo befinden sich die verbliebenden Alleen in der Bundesrepublik? 

Göppel: Die meisten bestehen in Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Thüringen. In den alten Bundesländern findet man sie am ehesten in Schleswig-Holstein und Niedersachsen – hier dienen sie auch dem Schutz der Verkehrsteilnehmer vor Wind. In Bayern existieren Alleen vor allem noch im Alpenvorland, dem sogenannten Oberland. In Schwaben und Franken ist die bayerische Straßenverwaltung leider rigoroser vorgegangen und hat viele Baumreihen abgeholzt – damit ging erhebliches Kulturgut verloren!       

Behörden Spiegel: Wie erklären Sie sich diese unterschiedliche Herangehensweisen – auf welcher rechtlichen Grundlage sind solcher Kahlschläge in der Vergangenheit erfolgt?     

Göppel: Genau das ist die Frage: Es hat nämlich in Bayern keinen Landtagsbeschluss, auch  keinen Bundestagsbeschluss und kein solches Bundesgesetz gegeben – allerdings einen entsprechenden Ministerialerlass aus dem Bundesverkehrsministerium. Dieser "Sachverständigen-Bitte" sind einige Landesverwaltungen in vorauseilendem Gehorsam auch für untergeordnete Straßen gefolgt. Vielerorts wollte man wohl von Anfang an vermeiden, dass den Landestraßenbauämtern bei künftigen Verkehrsunfällen kritische Fragen gestellt würden.     

Behörden Spiegel: Welche Signale erhalten Sie nun aus dem Bundesverkehrsministerium? 

Göppel:  Ich hatte mich schon vor drei Jahren in einem Gespräch mit dem zuständigen Verkehrsstaatssekretär Rainer Bomba über diese Abholzungen beschwert. Seither haben auf meine Initiative mehrere Treffen stattgefunden, darunter ein Runder Tisch zum Austausch zwischen Verkehrsexperten, Versicherungswirtschaft und Umweltverbänden.

Behörden Spiegel: Was wollen, was können Sie mit der neugegründeten Parlamentarier-Gruppe bewirken?

Göppel: Wir wollen mit dieser fraktionsübergreifenden Gruppe weiter auf die unterschiedlichen Verwaltungsebenen einwirken, um die noch vorhandenen Alleen zu erhalten und bei Neubauten von Straßen welche anzulegen. Dafür müssen die "Richtlinien für passiven Schutz an Straßen durch Fahrzeug-Rückhaltesysteme" – kurz RPS-Richtlinie – angepasst werden. Ich glaube auch bei Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt und dem bayerischen Verkehrsminister Joachim Herrmann dafür Gehör zu finden. Mit beiden habe ich auch schon symbolische Neupflanzungen von Alleen vorgenommen.

Behörden Spiegel: Nach der RPS-Richtlinie müssen die Bäume einen seitlichen Abstand von siebeneinhalb Metern zur Fahrbahn haben – wo liegt das Problem? 

Göppel:  Die vom BMVI vorgesehenen Abstandsregeln für neue Straßenbäume können nicht akzeptiert werden, denn sie bedeuten das faktische Aus für neue Alleen. Nachpflanzungen müssen in die Linie der Altbäume gesetzt werden und dürfen nicht als Neupflanzungen gelten. 

Behörden Spiegel: Je dichter an der Fahrbahn, desto gefährlicher…  

Göppel:  Der Seitenabstand von Neupflanzungen muss flexibel nach den örtlichen Verhältnissen festgelegt werden. Vielfach kann die kinetische Energie von der Fahrbahn abkommender Fahrzeuge durch einen Graben oder die Böschung abgefangen werden. Das Anbringen von Schutzeinrichtungen muss generell Vorrang vor Baumfällungen bekommen. Das Entfernen von Gehölzen darf nur als letztes Mittel zulässig sein, wenn die Verkehrssicherheit nicht auf andere Weise gewährleistet werden kann. 

Behörden Spiegel: Welche Probleme stellen sich bei wirklichen Neupflanzungen von Baumreihen etwa bei Straßenerweiterungen?  

Göppel:  Bei Neupflanzungen von Alleen muss der Grunderwerb von Flächen für neue Alleen von Anfang mit geplant werden. Geschieht dies, kann man mit Kosten von acht bis zehn Euro pro Quadratmeter rechnen – eine überschaubare Summe. Muss allerdings im Nachgang zu einem Straßenbau oder einer Fahrbahnerweiterung über diese Bepflanzungsflächen verhandelt werden, entsteht ein zeitaufwändiges und kostenträchtiges Hin und Her mit vielen privaten Besitzern und Landwirten. Dann kommt keine neue Allee mehr zustande.      

Behörden Spiegel: Die deutschen Alleenlandschaft scheint vor allem föderal geprägt. Braucht es für die künftige Bewirtschaftung einen übergeordneten Ansatz oder reicht das Kleinklein auf Länderebene?    

Göppel: Wir bitten die Straßenbauverwaltungen der Länder darum, eine bundesweite Kartierung von Alleebäumen zu unterstützen. Daraus sollen Alleenmanagementkonzepte entstehen, an denen neben der Straßenbauverwaltung auch Umweltverbände mitarbeiten. Von der Bundesseite fordern wir, die Pflege von Straßengehölzen in den Haushalten ausreichend einzuplanen. Die Mittelzuweisungen an die Straßenbauämter für die Unterhaltung von Bundesstraßen müssen dem Umfang des jeweiligen Baumbestandes entsprechen.