"Ich bin erstaunt, dass konservative Kräfte die Energiewende nicht stützen."

Der bayrische CSU-Politiker Josef Göppel ist ein Exot in seiner Partei. Der konservative Bundestagsabgeordnete ist ein flammender Befürworter der Energiewende. Selbst für die Initiative „Bern erneuerbar“ schwärmt der Umweltobmann.

Herr Göppel, die Initiative «Bern erneuerbar» will bis 2050 auf erneuerbare Energien beim Heizen und beim Warmwasser sowie bis 2035 beim Strom umstellen. Wie würden Sie stimmen?

Josef Göppel: Aus voller Überzeugung mit Ja. Wegen der Erfahrungen in Deutschland mit der Energiewende.

Sie sind CSU-Bundestagsabgeordneter Bayerns und Umweltobmann. Hätte «Bern erneuerbar» bei Ihren Wählern eine Chance?

In Bayern gäbe es dafür eine Mehrheit. Wir sind mit der Energiewende schon weit fortgeschritten.

Auch Gaskraftwerke dürften mit der Initiative keine Energie mehr in den Kanton Bern liefern. Sie aber sprechen sich für stadtnahe Gaskraftwerke aus.

Gas erfüllt im deutschen Energiekonzept eine Übergangsfunktion, wenn Sonne und Wind keinen Strom liefern. Der Streit geht nicht darum, ob Gas sinnvoll ist, sondern ob es große oder kleine Kraftwerke braucht. Das Ziel in Deutschland ist, bis 2050 den Energiebedarf zwischen 80 und 95 Prozent durch erneuerbare Energien zu decken.

Warum schrauben Sie die Ziele nicht gleich auf 100 Prozent hoch – wie bei «Bern erneuerbar»?

Ich bin vorsichtig, wenn ich 100 Prozent höre. Weil es in der Realität immer Sonderlösungen gibt. Ob es nun 85 oder 95 Prozent sind, ist auch ökologisch unerheblich. Letztlich bleibt immer ein kleiner Rest, der mit nicht erneuerbarer Energie abgedeckt werden muss. Wegen der Sanierungspflicht gab es bei uns nirgends eine Revolution oder Klagen.

Das spricht aber gegen die Initiative – die ist absoluter und fordert 100 Prozent.

100 Prozent sehe ich als politisches Ziel. Naturwissenschaftlich betrachtet gibt es immer Nischen. Auch heute fahren Kutschen auf den Strassen, es gibt nicht 100 Prozent Autos. Zudem betrifft «Bern erneuerbar» nur die Heizenergie und den Strom, nicht aber die Mobilität.

Die Initiative könnte zu einer Sanierungspflicht von Öl- und Gasheizungen führen. Finden Sie als CSU-Politiker das gut?

Da müssen die Berner nur nach Baden-Württemberg blicken: Die frühere konservative CDU-Regierung hat eine Sanierungspflicht auch für bestehende Gebäude eingeführt. Und es gab nirgends eine Revolution oder Klagen, weil diese Maßnahmen auch mit einer öffentlichen Förderung unterlegt sind. Der Verlauf in Baden-Württemberg ermutigt uns, diese Pflicht nun auch bundesweit für die Altbauten vorzusehen.

Die Mieter haben wenig Freude, wenn sie mehr zahlen müssen.

Finanziert werden die Sanierungen in Deutschland über Vorschusskredite der Energieversorger, die dann über echte Energieeinsparungen abgezahlt werden. Die Mieter werden also nicht zusätzlich belastet. Ich halte auch die Ängste des Schweizerischen Mieterverbands wegen «Bern erneuerbar» nicht für gerechtfertigt. Die Erfahrungen bei uns sind anders. Die deutschen Mieterverbände tragen die Energiewende mit.

Hierzulande sind die Bedenken offenbar größer.

Ja. Ich habe in der Podiumsveranstaltung am Dienstag in Bern gespürt, dass viele Berner Bürger sorgenvoll auf den Umstieg schauen. All diese Bedenken gab es in Deutschland 2010 auch. Aber der bisherige Verlauf der Energiewende hat diese Ängste zerstreut. Jetzt kämpfen in Deutschland eigentlich nur noch die großen Stromkonzerne gegen die Energiewende.

Probleme gibt es bei der Photovoltaik: Weil die Netze überlastet sind, kann der Strom zuweilen nicht mehr eingespeist werden.

Die Behauptung, in Deutschland gehe viel Strom verloren, weil er nicht eingespeist werden könne, relativiert sich, wenn Sie sich die Zahlen vergegenwärtigen. Wir haben zurzeit eine sogenannte Abregelung von 1 Prozent. Das heißt, je 1 Prozent des Sonnen- und Windstroms dürfen nicht eingespeist werden.

In Deutschland wurden zwar die erneuerbaren Energien stark gefördert. Aber man hat vergessen, die Netze auszubauen.

Das Wort «vergessen» trifft nicht zu. Der Netzausbau ist technisch gesehen so oder so nicht mehr die beste Maßnahme. Es gibt neue Lösungen wie den geregelten Ortsnetztransformator. Damit kann der unregelmäßig anfallende Sonnen- und Windstrom geglättet ins Netz gespeist werden.

Trotzdem: Der Ausbau ging schnell. Im Nachhinein hat man gesehen, was noch fehlt.

Wir haben das Netzausbaubeschleunigungsgesetz gleichzeitig mit der Energiewende verabschiedet. Die Umsetzung des Netzausbaus geht aber langsamer, weil die Leute gegenüber oberirdischen Stromleitungen kritisch sind. Wir brauchen neue Systeme für Erdkabel.

Eine weitere Krux von Solarstrom ist die hohe Mittagsspitze. Als Lösung zur Speicherung sollen nun Batterien dienen.

Das ist richtig, in Deutschland ist das ein offizielles Programm. Dank der Batterien kann der überschüssige Strom vom Mittag gespeichert werden. Das Haus kann so die Nacht überbrücken.

Es ist verrückt: Bis vor wenigen Jahren diskutierten wir über Stromlücken. 

Heute wird Strom vernichtet, und in Deutschland werden Batterien gefördert.
Ja. Zuweilen heißt es sogar, der Strom komme uns zu den Ohren raus, weil so viel vorhanden ist. Aber jede andere Volkswirtschaft würde sich doch über diesen Zustand freuen.

Erstaunlich ist, dass Sie als Umweltschützer der ersten Stunde Batterien fördern: Das ist doch ökologischer Blödsinn.

Wir zielen auf Lithium-Ionen-Batterien. Diese haben eine Lebensdauer von fünfzehn Jahren.

Aber zur Herstellung der Batterien brauchen Sie seltene Metalle. Diese kommen aus China und sind endlich.

Das ist richtig. Mit diesem Maßstab funktioniert aber unsere ganze Lebensweise nicht mehr. Was wollen Sie denn? Weitermachen wie bisher? Alle verantwortungsvollen Experten sagen, dass fossile Energien irgendwann nicht mehr bezahlbar sind.

Ich sage nur, die Speicherung des Solarstroms in einer Batterie sei ökologischer Unsinn und teuer.

Das stimmt nur für Großspeicher. In Autos und Wohnhäusern sind Batterien sinnvolle Speichermittel.

Wenn Sie nun aber in Deutschland Batterien unterstützen, konkurrieren Sie die Schweizer Pumpspeicherkraftwerke, die nicht subventioniert werden.

Da kann ich die Schweizer Stromkonzerne beruhigen. Unsere Batteriespeicher sollen von den normalen Hausbesitzern genutzt werden. Gemessen am gesamten Stromverbrauch Deutschlands von 600 Terawattstunden ist dies nur ein Nadelstich. Es geht vielmehr darum, mit dem Programm die Eigenverantwortung zu fördern. In einem Speichersee im Berner Oberland wäre dies bloß ein Tropfen.

Die Subventionen werden letztlich auf den Strompreis umgelegt – für die Konsumenten wird der Strom teurer.

Das stimmt beim Batterie-Förderprogramm nicht. Dazu werden Steuermittel verwendet. Diese Gelder nimmt unser Finanzminister aus Gewinnen von Zinseinnahmen.

Um wie viel Geld geht es?

In einem ersten Schritt geht es nur um 50 Millionen Euro. Das Programm startet im April.

 

Im vergangenen Jahr wurde in Deutschland bei 600.000 Menschen der Strom abgeschaltet, weil sie ihre Rechnung nicht mehr zahlen konnten.

Die 600.000 Abschaltungen sind der Durchschnitt der letzten Jahre. Früher hat dies nur niemanden interessiert. Diese Zahl bewegte sich schon immer in dieser Größenordnung. Nur jetzt wird es als Kampfargument der Energiewende-Gegner verwendet.

Für dieses Jahr wird mit bis zu einer Million Abschaltungen gerechnet.

Das ist eine Schätzung, die durch nichts unterlegt ist. Es gibt im Moment keine Hinweise für einen derart eklatanten Anstieg.

Sie befürworten die erneuerbaren Energien. Sie müssen sich in der konservativen CSU Bayerns wie ein Exot vorkommen.

Manche meiner Parteifreunde sahen mich früher tatsächlich als grünes Feigenblatt. Heute sagt dies aber niemand mehr. Im Übrigen schließen sich ein konservatives Denken und die Energiewende nicht aus. Im Gegenteil: Die Energiewende ist ein Besinnen auf die Naturkräfte im eigenen Land – ein durch und durch konservatives Anliegen. Aus diesem Grund bin ich auch erstaunt, dass die konservativen Kräfte in der Schweiz die Energiewende nicht mittragen.

Dann haben Sie auch nicht mehr das Gefühl, in der falschen Partei zu sein?

Nein, gar nicht. Die Partei hat sich gewandelt.

Interview: Dominik Balmer