Wen retten die Rettungsschirme?

Josef Göppel:

Das Marktversagen auf dem Finanzsektor ist die wesentliche Ursache der gegenwärtigen Krise. Der deregulierte Finanzmarkt ist der politischen Gestaltung entglitten. Täglich wird an den Börsen der Welt das 80-fache des Produktionswerts aller Güter und Dienstleistungen gehandelt. Solche Summen können mit Steuererträgen aus der Realwirtschaft nicht mehr aufgefangen werden. Neue Anleihen für zusätzliche Rettungsschirme treiben vielmehr die Schuldenspirale weiter an und bieten Ansatzpunkte für neue spekulative Angriffe.

Der beste Beweis dafür ist der Zwang zu fortlaufenden Erhöhungen der Bürgschaftssumme in den Jahren seit 2008. Wenn das bloße Verlangen nach immer höheren „Brandmauern“ eine ganze Staatengemeinschaft vor sich hertreiben kann, dann liegt ein offenkundiger Systemfehler vor. Das Kapital dominiert die Politik.

Auch der Anstieg der Staatsschulden geht zum großen Teil auf die Bankenrettungsschirme des Jahres 2008 zurück. Steuergelder aus der Realwirtschaft mussten damals für die spekulative Gier von Banken und anderen Finanzakteuren einstehen.

Deshalb sind weitere Rettungsschirme ohne rechtliche Regulierung des Finanzsektors nutzlos und nicht verantwortbar. Wir brauchen eine Finanzmarktordnung, die spekulative Überhitzungen eingrenzt, hoch riskante Geschäfte verbietet und Finanzakteure zur persönlichen Haftung heranzieht. Der Finanzsektor muss seine Rettungsschirme in Zukunft selbst finanzieren! Die Bankenabgabe in Deutschland ist dafür ein Anfang. Der wirksamste Schritt zur Stabilisierung des Finanzsektors ist international die Finanztransaktionssteuer. Sie muss für die Eurozone vor weiteren Bürgschaften beschlossen werden, damit Rettungsaktionen nicht immer wieder verpuffen. Die Studie der Finanzwissenschaftler Griffith-Jones und Persaud vom Mai 2012 belegt, dass die oft behauptete Verlagerung aller Finanzgeschäfte aus Europa bei Einführung einer Finanztransaktionssteuer wirksam eingegrenzt werden kann. Der Ertrag der Steuer läge bei 60 Mrd Euro jährlich. Damit würden endlich wieder Mittel für die Staatsaufgaben im sozialen, kulturellen und ökologischen Bereich frei.

 

Dazu ein Artikel von Thomas Fricke in der Financial Times Deutschland vom 25. Mai 2012:

 

Kämpft die Kanzlerin gegen die falsche Krise?

Symptom Staatsschulden


So beliebt die Krisendiagnose hierzulande auch sein mag: Gut möglich, dass sie gar nicht stimmt. Die Staatsschulden sind in fast allen betroffenen Ländern erst nach Ausbruch der Finanzkrise drastisch gestiegen - nicht vorher. Was die gängige Erklärung deutscher Krisendeuter ziemlich absurd erscheinen lässt. Denn dann können die Staatsschulden logisch auch nicht Ursache gewesen sein.

Als die Jahrhundertfinanzkrise Mitte 2007 ihren Lauf begann, lag die Staatsverschuldung in Irland, einem späteren Chefkrisenland, bei 28,6 Prozent der Wirtschaftsleistung - spektakulär niedrig. Ähnliches gilt für Spanien mit 42 Prozent. Oder bei höheren Altschulden im Langjahresvergleich sogar für Italien. Da war Griechenland eher die Ausnahme von der Regel. Und selbst dort gilt, dass die große Explosion erst danach kam - und es auch noch andere Gründe geben muss, warum sich die Krise anschließend so verselbstständigt hat.

Alles in allem lag die Staatsverschuldung in der Euro-Zone 2007 so niedrig wie seit zwei Jahrzehnten nicht. Warum sollte da gerade eine Staatsschuldenkrise ausbrechen? Absurd. Trotz der angeblich so furchtbaren Reform des Stabilitätspakts waren selbst die laufenden Strukturdefizite mit nur noch zwei Prozent auf Langzeittief. Mehr noch: Die Quoten lagen damals wie heute niedriger als im Rest der OECD. Auch das passt irgendwie nicht zur Story von den Schulden, die gerade Europa in die Krise gestürzt haben. Per se gilt auch für USA wie Großbritannien: Die Staatsschulden waren vor Ausbruch der Krise historisch eher niedrig. Das passt einfach nicht zum Gequatsche.

Wenn in allen möglichen Ländern, die vom Finanzchaos getroffen wurden, die Staatsschulden seit 2008 hochgeschnellt sind, liegt der Verdacht nahe, dass das an den Banken liegt, nicht umgekehrt: Weil Banken mit Steuergeldern gerettet werden mussten, Regierungen gegen die drohende Depression Konjunkturpakete auflegten und Wachstumsverluste für neue Löcher in Staatshaushalten sorgten. Selbst in Deutschland ist die Schuldenquote seit 2008 ja sprunghaft um 20 Punkte gestiegen. Was für ein dummes Gequassel, dass (nur) Politiker nicht mit Geld umgehen können. Achtung, Bankenkonkurrenz. Die Schulden sind nicht zufällig just in einem Land wie Schweden gesunken, das seine Bankenkrise lange hinter sich und den Finanzsektor seitdem unter Kontrolle hat.

Der Kern der Krise ist nach aller Wahrscheinlichkeit das Platzen einer Finanz- und Kreditblase, deren logischer Schluss darin lag, dass es eine Menge Leute gab, die 2007 ziemlich hoch verschuldet waren oder sich dank hochspekulierter Vermögenswerte nur reich fühlten. Als das aufflog, versuchten alle, ihre Schulden zurückzuzahlen, und da sind - zum Glück - die Staaten eingesprungen, weil so viel kollektiver Ausgabenverzicht rasch in die Depression führt.

Es gehört zu den Standarddramen historischer Finanzkrisen, dass sie irgendwann zu Staatsschuldenkrisen führen - zumal wenn mit einem Schlag weltweit ein derart erhöhter Bedarf an Schuldenfinanzierung entsteht. Eine Frage von Angebot und Nachfrage. Und da trifft es als Erste die, die das schwächste Glied in der Kette sind: Sagen wir Griechenland. Was den Schein erhält, die Schulden, die es dort tatsächlich gibt, seien die Ursache - und von den wahren Ursachen ablenkt. Die Bank dankt.

In solchen Post-Bubble-Zeiten ist sicherzustellen, dass es angesichts chronisch labiler Finanzmärkte zu keiner Abwärtsspirale kommt, wo die Angst die Angst nährt und bei der erste Zweifel an der Solvenz zu höheren Zinsen und höhere Zinsen zu höheren Schuldennöten führen, was irgendwann in Pleitepanik mündet.

Genau hier liegt die Erklärung, warum all das (nur) die Euro-Zone in eine existenzielle Krise gestürzt hat. Nicht, weil die Schulden besonders hoch waren. Unsinn. Sondern weil das Krisenmanagement aufs Kurieren von Symptomen gesetzt hat - statt darauf, die Finanzkrise zu beheben und die fatale Eigendynamik eines angeschlagenen Bankensektors zu stoppen.