Unfall befeuert Debatte über Atomausstieg

Der Tagesspiegel vom 13. März 2011

Der Reaktorunfall im japanischen Fukushima hat in Deutschland eine heftige Debatte über politische Konsequenzen ausgelöst. Kanzlerin Merkel beruft einen Krisengipfel ein.

Berlin - SPD, Grüne und Linke erinnerten am Samstag an die im Herbst beschlossene Laufzeitverlängerung für Atommeiler und betonten, die Kernkraft sei auch hierzulande nicht beherrschbar. Verbände und Initiativen forderten, die deutschen Anlagen baldmöglichst abzuschalten. Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) lehnte eine schnelle politische Diskussion zu dem Thema ab. Bundeskanzlerin Angela Merkel berief für Samstagabend in Berlin ein Krisentreffen mit wichtigen Kabinettsmitgliedern ein. Mit allen Fraktionsvorsitzenden im Bundestag plante Merkel am Abend eine Telefonkonferenz.

Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel warnt davor, „das Leid der Japaner“ für den „innenpolitischen Streit“ zu instrumentalisieren.

„Heute muss ein Tag des Innehaltens sein, nicht der parteipolitischen Auseinandersetzung“, sagte er. Zugleich betonte er, die Katastrophe zeige, dass der Mensch die Natur nicht beherrschen kann. In den kommenden Tagen werde genügend Gelegenheit sein, über die Zukunft der Atomenergie zu streiten, sagte der SPD-Chef.

Grünen-Fraktionsvorsitzende Renate Künast forderte ein internationales Hilfskonzept. „Die Kombination aus Erdbeben, Tsunami und Kernschmelze ist ein Supergau“, sagte sie dem Tagesspiegel. Deutschland und die EU müssten technische Hilfe nach Japan entsenden. Es müsse auch alles getan werden, um das Atomkraftwerk Fukushima nach der Kernschmelze so gut wie möglich abzusichern. Als politische Konsequenz fordert Künast „ein klares Nein zu Atomkraftwerken in Erdbebengebieten“. Mittelfristig werde die Katastrophe in Japan auch Europa als Wirtschaftsraum betreffen. Künast widersprach Aussagen des Umweltministers, wonach den Menschen in Deutschland keine Gefahr von einem japanischen Gau drohe. Radioaktivität gelange bekanntlich in die Nahrungskette. Röttgens Aussage sei „nicht die ganze Wahrheit“, meinte sie. In einer globalisierten Welt habe eine solche Katastrophe nicht nur Auswirkungen auf Japan.

Der CSU-Bundestagsabgeordnete Josef Göppel forderte eine Untersuchung und gegebenenfalls eine Nachrüstung deutscher Kernkraftwerke. „Es muss ausgeschlossen werden, dass die Notkühlsysteme im Ernstfall ähnliche Probleme mit der Stromversorgung bekommen“, sagte der Obmann der CDU/CSU-Fraktion im Umweltausschuss dem Tagesspiegel. Die Kernschmelze in Japan stelle die von der Koalition beschlossene Laufzeitverlängerung infrage, sagte der Umweltpolitiker: „Der Druck wird steigen, Kernkraftwerke älterer Bauart planmäßig vom Netz zu nehmen.“ Göppel gehört zu den fünf Unionsabgeordneten, die gegen die Laufzeitverlängerung gestimmt hatten.

Der Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen (EKvW), Alfred Buß, nannte die Nutzung von Kernenergie ein „Zeichen menschlicher Verantwortungslosigkeit“. „Wir können keine Verantwortung für etwas übernehmen, was kein Mensch beherrscht“, sagte Buß. Fast 25 Jahre nach Tschernobyl würden die Menschen auf schreckliche Weise daran erinnert, dass die Risiken der Kernenergienutzung nicht beherrschbar seien, erklärte Buß: „Das Unglück von Fukushima führt uns die katastrophale Überheblichkeit vor Augen, die menschliche Selbstüberschätzung, die davon ausging, das tödliche Risiko könne kontrolliert werden.“ Das Mitgefühl und die Gebete gelten den Opfern der Katastrophe in Ostasien, deren Ausmaß jetzt noch nicht abzusehen sei. Was jetzt schon bekannt sei, rufe Entsetzen, Trauer und Solidarität hervor, betonte Buß. (mit dpa/dapd)