Josef Göppel kämpft seit 30 Jahren gegen die Atomkraft

Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 5. Juni 2011

Josef Goppel kämpft seit 30 Jahren für die Umwelt und gegen Atomkraft. In seiner Partei war er ein einsamer Rufer. Heute ist er zufrieden.

Der Förster

Für Josef Goppel, 60, gab es in seiner politischen Laufbahn nur ein Thema: den Umweltschutz. 1970 trat er der CSU und dem Bund Naturschutz bei. Bekannt wurde er in der Partei, als er 1982 auf der Landesversammlung der Jungen Union mit einer kranken Fichte gegen das Waldsterben protestierte - ein Jahr bevor die Grünen mit einer ähnlichen Aktion in den Bundestag einzogen. Berufspolitiker wurde der ausgebildete Förster aus Mittelfranken erst, als er 1994 in den Bayerischen Landtag einzog. Acht Jahre später wechselte er in den Bundestag. 2004 stimmte er als einziger CSU-Abgeordneter für die rot-grüne Förderung Erneuerbarer Energien, voriges Jahr gegen die Laufzeitverlängerung der eigenen Regierung.

Herr Göppel, unter den CSU-Abgeordneten waren Sie lange der einzige Atomgegner. Jetzt ist der Ausstieg beschlossen. Sind Sie der Gewinner der Geschichte?

Das sagte mir tatsächlich einer der Freunde der Kernenergie: Du bist ja jetzt der große Sieger. Aber so fühle ich mich nicht.

Sondern?

Ich versuche nur, den richtigen Weg zu finden. Die alte Art der Stromversorgung mit wenigen zentralen Großkraftwerken ist überholt. Im Informationszeitalter ist es möglich, tausende von kleinen Stromerzeugern miteinander abzustimmen. Die Politik vollzieht diese technologische Wende nach.

Wollen die Leute das überhaupt?

Ein Stadtwerke-Chef sagte mir: Wenn ich mit Strom aus dem eigenen Landkreis werbe, bekomme ich mehr Kunden. Die Leute sind bereit, für regional erzeugten Strom ein paar Zehntel Cent mehr zu bezahlen.

Sind sie auch bereit, ein Windrad neben ihrem Haus zu dulden?

Da ist die Bevölkerung gespalten. Aber es gibt genug Menschen, die sich an Bürgerwindrädern beteiligen wollen. Nach der alten Idee von Raiffeisen, das Geld des Dorfes dem Dorfe, gründen sich Energiegenossenschaften. So profitiert nicht nur der Bauer, auf dessen Acker das Windrad steht, sondern viele. Damit wächst die Akzeptanz enorm. Erneuerbare Energien bringen breitgestreutes Eigentum. Stromverbraucher werden Erzeuger. Daraus erwächst ein bewussterer Umgang mit Energie und mehr Eigenverantwortung, alles Grundwerte der Unionsparteien.

Das klingt heimelig. Aber den gesamten Strom bedarf werden Sie damit kaum decken können?

Das ist das größte Missverständnis der Debatte. Wer behauptet, dass wir in Süddeutschland den ganzen Strom von der Küste holen müssen, denkt in den alten Großstrukturen. 56 Prozent des Stroms gehen an Kleinverbraucher, diesen Anteil können wir ortsnah erzeugen. Hochspannungsleitungen für die Industrie brauchen wir, aber nur für die restlichen 44 Prozent. Der bayerische Umstiegsplan sieht vor, die Hälfte der Kapazitäten mit Gaskraftwerken zu bestreiten.

Ist das Klima der Verlierer?

Kapazität bedeutet nicht erzeugte Menge. Die Gaskraftwerke sollen nur die Lücken füllen, wenn etwa der Wind nicht weht. Wir müssen die Gesetze so formulieren, dass der Strom aus erneuerbaren Quellen im Netz Vorrang behält.

Gab es für Sie als Atomgegner ein Erweckungserlebnis?

Das brauchte ich nicht. Ich bin als Zwanzigjähriger gleichzeitig in die CSU eingetreten und in den Bund Naturschutz. Für mich als jungen Förster gab es eine beängstigende Vorstellung - eine Gefahr, die ich mit meinen menschlichen Sinnen nicht wahrnehmen kann.

Damals sagte Franz Josef Strauß: Konservativ zu sein, heißt, an der Spitze des Fortschritts zu marschieren. Daran glaubten Sie nie?

Ich bin nicht gegen den Fortschritt. Aber ich habe ein Problem mit der Denkweise, dass zentralistisch und groß immer besser sein soll als klein und regional. Nehmen Sie die biologischen Vorgänge an einem Seeufer. Nicht der Kampf aller Lebewesen gegen alle ist dort das Überlebensprinzip, sondern die Nischenbildung. Auf die Wirtschaft übertragen: Der Mittelständler, der eine Nische besetzt, ist erfolgreicher als der Konzern, der auf große Stückzahlen setzt.

In Ihrer Partei waren Sie damit für lange Zeit ziemlich allein. Wie hält man das aus?

Da müssen Sie Förster sein. Wir brauchen Geduld, Bäume wachsen in hundert Jahren. In der Politik sind zu viele Kollegen im Tagesgeschäft gefangen. Ständig schauen sie nach einer neuen SMS. Mein Modell ist ein anderes. Ich gehe in den Wald hinaus, setze mich auf den Hochstand und ordne in Ruhe die Gedanken.

Manche Leute sagten früher, Sie sind in der falschen Partei. Ich dachte mir, du bist an der richtigen Stelle. Ich wollte die Leute in einer Volkspartei von innen überzeugen.

Am Ende kam die Wende von außen, mit Fukushima.

Aber sie war vorbereitet. Ohne Vorarbeit wäre die Politik von Söder und Seehofer nicht möglich gewesen.

Haben die Beiden um Rat gefragt?

Das will ich hier nicht ausbreiten.

Seehofer genießt nicht den Ruf, stets von Inhalten her zu denken. Meint er die Energiewende ernst?

Er hat gesehen, dass wir ohne Energiewende schnurstracks in eine Wahlniederlage laufen.

Stimmen zählen, nicht Inhalte? In der Politik bringt die Angst vor dem Machtverlust immer die entscheidenden Veränderungen. Regierungen und Parlamente handeln erst, wenn der Druck aus der Bevölkerung zu groß wird.

Oft beklagen Politiker den Reformverdruss der Deutschen. Ist es diesmal wirklich umgekehrt?

Das Wahlvolk hat es längst begriffen. Das Problem liegt bei der politischen Klasse. Wir hatten nun mal sechzig Jahre lang ein System mit wenigen Erzeugern und einer großen Nähe zur Politik. Es ist geradezu körperlich zu spüren, welches Leid die Energiewende manchem Kollegen verursacht, weil diese alten Verbindungen plötzlich nichts mehr nützen.

War das Marktwirtschaft, das alte System der Stromerzeugung?

Eben nicht. Es gab keinen echten Wettbewerb und auch keinen freien Markt. Schon aus diesen Gründen hätte die Union schon viel früher etwas unternehmen müssen.

Sie haben einmal von einem Spannungsverhältnis zwischen Wirtschaftsliberalismus und Konservatismus gesprochen. In diesem Fall geht beides also doch zusammen?

Wenn echter Wettbewerb stattfindet.. Bisher hat die Energiepolitik die Marktwirtschaft nur auf den Lippen geführt - und in Wirklichkeit die Oligopole walten lassen, mit der Folge überhöhter Preise.

Durch die Energiewende wird der Strom billiger?

Auf lange Sicht schon. Bei Wind und Sonne brauchen Sie am Anfang eine hohe Investition, aber der Brennstoff kostet nichts. Wenn der Strompreis ohne die Energiewende weiter gestiegen wäre wie bisher, hätten wir 2015 bei der Solarenergie konkurrenzfähige Preise gehabt. Jetzt werden natürlich alle behaupten, höhere Preise seien auf die Energiewende zurückzuführen.

Es bleibt der Einwand, dass wir international einen Sonder weg beschreiten.

So ist es aber nicht. Wir setzen uns international an die Spitze. Allein Afrika bietet dafür riesige Exportchancen. Kürzlich propagierten afrikanische Staatechefs das nuklearfreie Afrika.

Das Beispiel brachte auch die Kanzlerin. Kam das von Ihnen?

Sie sieht das offenbar genauso.

Angela Merkel ist Naturwissenschaftlerin. Deshalb hieß es immer, sie denke die Dinge vom Ende her. Hat das beim Atom nicht funktioniert?

Doch. In den Gesprächen der letzten Monate hat Frau Merkel wiederholt als Physikerin argumentiert. Das hat mir gefallen, deshalb habe ich ihr in der letzten Fraktionssitzung meinen Respekt ausgesprochen.

An der Energiewende gibt es aus Ihrer Siebt nichts zu bemängeln?

Ich kritisiere, dass unter dem Deckmantel der erneuerbaren Energien das alte Monopolsystem fortgesetzt wird. Die Einspeisevergütung soll für große Offshore-Windparks doppelt so hoch sein wie für die kleinen Windräder an Land. Das unterminiert regionale Erzeugung und dezentrale Wertschöpfung.

Ist Schwarz-Grün für Sie eine politische Option?

Schwarz-Grün ist für gesellschaftliche Erneuerung die interessanteste Koalitionsvariante.

Ist das mit der CSU möglich?

Da sehe ich kein Problem.

Und mit der CDU?

Da muss man wohl noch etwas diskutieren.

Erleben wir Schwarz-Grün in Bayern früher als im Bund?

Das halte ich für möglich. Aber vielleicht bekommen wir zuvor wieder eine absolute Mehrheit.

Ihr Parteichef Horst Seehofer hat jetzt angeboten, auch in Bayern nach Standorten für ein Endlager zu suchen. War das richtig?

Seehofers Angebot zeugt von politischer Größe. Aber täuschen wir uns in der Endlagerfrage nicht. Etwas für alle Zeiten wegzuschließen, das gibt es in der Natur nicht.

Das Endlager ist eine Illusion?

Der Begriff ist falsch. Trotzdem brauchen wir sichere Lagerstätten, die wenigstens für die nächsten Jahrhunderte die Strahlung auffangen. Jetzt zu sagen, wir wollen die Zwischenlager an den Kraftwerken stabilisieren, ist ein politisches Täuschungsmanöver. Das sind doch nur bessere Blechschuppen, die im Fall von Isar 1 sogar in der Einflugschneise des Flughafens liegen. Vielleicht wissen spätere Generationen aber auch gar nicht mehr, was Radioaktivität überhaupt ist. Deshalb ist die Nutzung der Atomenergie ethisch unverantwortlich. Das ist für mich die größte Enttäuschung, dass sich gerade die Christsozialen in diese Technik so weit hineinbegeben haben.

Das Gespräch fährten Ralph Bollmann und Inge Kloepfer.