Ackermanns Herrschaft

Der Spiegel vom 30. Mai 2011

Die Banken sind derzeit der Souverän der Politik, nicht die Bürger. Von Dirk Kurbjuweit

Es geht uns gut, es geht uns prächtig. Die Wirtschaft boomt, 1,5 Prozent Wachstum im ersten Quartal, wir sind wieder so wohlhabend wie vor der Krise, es ist überstanden, Glückwunsch an alle.

Großer Glückwunsch an die Banken, vor allem die Deutsche Bank. Im ersten Quartal hat sie mit ihrem Kerngeschäft 3,5 Milliarden Euro Gewinn vor Steuern gemacht, bis zum Jahresende werden es zehn Milliarden sein, Rekord, bestes Ergebnis aller Zeiten. In zwei, drei Jahren sollen es elf Milliarden sein, vielleicht zwölf Milliarden.

Knapp drei Jahre nach dem Höhepunkt der Krise scheint es so, als habe es die Krise gar nicht gegeben. Das gilt für die Wirtschaft, das gilt für uns als Wirtschaftssubjekte. Aber sind wir nur das? Nein, wir sind Bürger, Staatsbürger, Teilhaber an einer demokratischen Gesellschaft. Und als solche haben wir keinen Grund zum Jubel, eher Grund, traurig zu sein, empört zu sein. Denn der Demokratie geht es nicht prächtig, nicht gut. Sie wird allmählich zum Opfer der Finanzkrise.

Es gärt überall in Europa. In Spanien protestiert eine Jugend, die kaum noch Hoffnungen hat. In Frankreich wird ein Manifest mit dem Titel "Empört euch" 1,4 Millionen Mal verkauft. Junge Menschen entwickeln dort Utopien, die weit jenseits der bürgerlichen Gesellschaft liegen, weil sie von der nichts mehr erwarten. Über Griechenland liegt eine tiefe Depression, dazu gesellt sich Zorn gegen die Politiker, gegen Europa.

In Deutschland hören Politiker, die von den Bürgern Lasten einfordern, ob nun Steuern oder die Beschwernisse beim Neubau eines Bahnhofs: Den Banken habt ihr mit Milliarden aus den Klemme geholfen, aber ich soll nun der Dumme sein - ohne mich. Von diesen Politikern will sich kaum noch einer etwas zumuten lassen, sie haben weiter an Vertrauen verloren und damit an Legitimation.

Sie wirken hilflos, weil sie die Krise des Euro nicht in den Griff bekommen. Sie treffen sich in Brüssel, reden, streiten, beschließen, aber nichts wird besser. Griechenland kommt nicht aus dem Loch, Irland und Portugal taumeln am Abgrund, Spanien und Italien sind auf bedrohliche Weise überschuldet. Und kein Politiker weist einen Weg.

Dann wurde auch noch gelogen. Jean-Claude Juncker, der Ministerpräsident von Luxemburg, ließ seinen Sprecher abstreiten, dass es ein Krisentreffen der EU-Finanzminister zu Griechenland gebe, obwohl es ein Krisentreffen gab. Es war nicht das, was in der Politik üblicherweise als Lüge gilt und häufig vorkommt, das nicht eingehaltene Versprechen, die sogenannte Steuerlüge zum Beispiel. Es war eine krassere Form, das Leugnen einer Realität. Juncker hat sich nicht mehr getraut, sagen zu lassen, was ist. Ihn leitete die Angst vor den Finanzmärkten, die Lüge war eine Kapitulation der Politik.

Das ist das wirklich Verstörende an der Lage im Moment, dass die Politik so hilflos wirkt, so machtlos. Sie hat einen neuen Souverän bekommen, das sind nicht mehr wir, das Volk, das eher auf milde Weise eingreift, das sind jetzt die Finanzmärkte, die gnadenlos herrschen. Sie treiben Politiker noch mehr in die Ängstlichkeit, die Handlungsschwäche, die Handlungsunfähigkeit, die Lüge. Die Regierenden sind nun die Regierten der Banken. Das ist die Lage. Und wir können sagen, dass es uns egal ist, weil die Wirtschaftszahlen so schön sind. Dann sind wir mit der Rolle als Wirtschaftssubjekte zufrieden, legen an, kaufen, geben aber die Demokratie in ihrer ursprünglichen Idee preis. Oder wir sagen: Wir lassen uns die Rolle des Souveräns nicht nehmen. Dann muss sich etwas ändern.

Wie ist es dazu gekommen? Was sind die Folgen? Wie kommt man da wieder raus?

Gründe - Gier und Lotterleben

Täuscht der Eindruck, oder sind im Moment jene obenauf, die uns das ganze Desaster eingebrockt haben? Da ist zum Beispiel die Deutsche Bank, deren Chef Josef Ackermann gerade so herrliche Zahlen verkündet hat. Auf die Frage, wie konkret die Bereitschaft der Banken sei, einen Beitrag zur Lösung der Krise zu leisten, sagte er nach einem Bericht des "Handelsblatts" im November: Die Diskussion darüber laufe "im Moment ganz unglücklich". Die Märkte hätten diese Debatte negativ aufgenommen. Man könnte das eine Drohung nennen: Wer Forderungen stellt, bekommt es mit den Märkten zu tun.

Am Donnerstag vergangener Woche trumpfte Ackermann auf der Hauptversammlung der Deutschen Bank auf, man sei nun dabei, "die Ernte einzufahren". Aber die Ernte wovon, von welcher Saat? Allein das Investmentbanking soll sechs Milliarden Euro zum erhofften Jahresgewinn von zehn Milliarden Euro beitragen. Ist schon vergessen, dass allzu gieriges Investmentbanking die Finanzkrise ausgelöst hat? Die Deutsche Bank war maßgeblich daran beteiligt. Die Vereinigten Staaten von Amerika haben eine Tochterfirma der Deutschen Bank angeklagt, es geht um "rücksichtslose Praktiken bei der Vergabe von Hypothekenkrediten". Aber Ackermann macht weiterhinWeltpolitik. Als einer der großen Akteure auf den Finanzmärkten bestimmt er mit darüber, ob und zu welchen Konditionen Staaten Kredite bekommen.

Auch die Rating-Agenturen mischen immer noch mit in der Weltpolitik und verkünden unbeeindruckt ihre Wertungen, von denen das Schicksal ganzer Nationen abhängt, weil die Zinssätze für Staatsanleihen sich daran orientieren. Belgien droht gerade der Verlust der Note AA plus, die Rating-Agentur Fitch hat den Ausblick des Landes von "stabil" auf "negativ" korrigiert. Ist schon vergessen, dass die großen Rating-Agenturen mitverantwortlich für die Finanzkrise waren, weil sie Pakete mit Schrottanleihen freundlich bewertet hatten?

So sieht also der neue Souverän aus. Er hat Teil eins der Finanzkrise wesentlich verschuldet und riskiert bei Teil zwei wieder eine dicke Lippe. Er ist extrem nervös, gierig und nur an Zahlen interessiert. Nach diesen Maßgaben kontrolliert und treibt er die Politik.

Aber warum lässt diese sich kontrollieren und treiben, warum schüttelt sie die gnadenlose Herrschaft der Finanzmärkte nicht einfach ab? Sie kann es nicht, die Politik ist abhängig von den Banken, und das hat sie sich selbst eingebrockt. Griechenland wäre nicht in den Strudel der Finanzkrise geraten, wäre es nicht überschuldet gewesen. Griechenland hat mehr Kredite, als es vertragen kann, und braucht ständig neue. Das eigene Lotterleben hat es in die Kreditsucht getrieben, damit ist es zum Spielball von Ratings, Zinsen und ackermannschen Kalkülen geworden.

Im Prinzip gilt das für alle Staaten der Euro-Zone, auch für Deutschland. Zwar kann der deutsche Finanzminister alle Kredite problemlos bedienen, aber auch er ist abhängig von Ratings, Zinsen und ackermannschen Kalkülen. Über den Euro ist Deutschland mit Griechenland, Irland, Portugal verstrickt, und die eigene Finanzlage ist nicht so, dass man beruhigt sein könnte. Die Bundesregierung kann nicht souverän handeln, sie muss ständig darauf achten, nicht selbst in den Strudel gerissen zu werden.

Jetzt rächt sich das, was immer "Schuldenstaat" genannt wurde, eine Politik, die sich nicht zügeln kann, die ihre Bürger möglichst wenig belasten und möglichst viel beschenken will, um sie bei Laune zu halten, eine Politik, die Belastungen auf künftige Generationen verschiebt. Damit wurde gut gelebt, aber damit ist man nun, auch mittels des Euro, in die Fänge der Finanzmärkte geraten.

Also sind nicht nur die Banken schuld am derzeitigen Desaster, die Politik hat ihren Anteil daran. Aber das ist noch nicht die ganze Erklärung. Es geht auch um uns, die Bürger. Erwarten wir nicht von den Finanzinstituten hohe Renditen, erwarten wir nicht vom Staat eine geringe Steuerlast, aber hohe Subventionen und Sozialleistungen? Das heißt dann, dass sich in unseren Wünschen die Finanz- und Euro-Krise spiegelt. Wir haben einen Anteil am Verhalten von Banken und Politikern, weil die auch unsere Wünsche erfüllen wollen, um uns als Kunden oder Wähler zu gewinnen.

Folgen - Worte und Götter

Das Misstrauen der Bürger gegenüber den Politikern wächst. Sie fühlen sich ungerecht behandelt, wenn die Politik die Wünsche der Banken mit milliardenschweren Rettungsschirmen erfüllt, nicht aber die ihren. Warum steigt der Staat mit 25 Prozent bei der notleidenden Commerzbank ein, nicht aber mit 25 Prozent beim kriselnden Bäcker an der Ecke oder dem klammen Unternehmen Familie mit drei Kindern? Man kann diese Frage mit der Größe der Commerzbank beantworten, mit ihrer Bedeutung für das Finanzsystem, aber das löscht das Unbehagen nicht. Die Sache bleibt ungerecht.

Die Dominanz der Exekutive nimmt zu, auf Kosten des Parlaments. Den ersten Rettungsschirm für die Banken peitschte die Bundesregierung in fünf Tagen durch Bundestag und Bundesrat. Die Kanzlerin macht eine Politik, die sie "alternativlos" nennt, handelt mit den anderen Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union Rettungspakete aus, die der Bundestag abnicken soll. Die Demokratie lebt aber von der Alternative, von der Diskussion um die richtige Politik, von der Kontrolle der Regierung durch das Parlament. In der Hatz nach immer neuen Rettungspaketen geht das alles unter. Die Regierungspolitik wird zum permanenten Handstreich.

Aber diese Regierungen, die ihre Parlamente dominieren, haben nicht die Macht, den Euro zu stabilisieren. Nach jedem Krisentreffen in Brüssel nimmt die Krise allenfalls eine kleine Pause, dann blüht sie neu auf, schlimmer denn je.

Man kann das Ganze als Duell betrachten, Politik gegen Finanzmärkte, und dabei sieht die Politik sehr schlecht aus.

Das Prinzip der Wirtschaft ist im Vorteil. Die Unternehmen der Finanzwirtschaft sind nicht dem Allgemeinwohl verpflichtet, sie haben keinen Legitimationszwang, sie operieren verschwiegen und verfolgen wild entschlossen ein klares Ziel: Rendite.

Wie mühsam ist dagegen Politik, zumal europäische Politik. Die Regierungschefs müssen ihre Handlungen legitimieren, sie müssen widerstreitende Interessen und Ziele versöhnen, und sie werden von der Öffentlichkeit scharf beobachtet. Ihr Ringen um den Euro ist zäh, manchmal hässlich. Und wenig erfolgreich.

Zudem gründet die Demokratie auf dem Wort. Ohne die freie Rede, den offenen Austausch der Meinungen ist Demokratie nicht möglich. Das Heimliche ist eine Sache von autoritären Staaten. Aber derzeit können die Politiker über eines ihrer wichtigsten Themen nicht offen reden, über den Euro. Wenn ein Finanzminister einen Halbsatz sagt, nehmen die Banken das mit der Empfindlichkeit von Seismometern auf und verschieben Milliarden, womöglich zu Lasten ganzer Staaten. Die Worte werden mit Geld aufgewogen, und das macht sie gefährlich.

Also hüten die Politiker ihre Worte. So ziemlich jedem ist klar, dass es gerecht wäre, die Banken an der Sanierung Griechenlands zu beteiligen. Aber kaum ein Politiker wagt es, das konsequent zu betreiben.

Die Banken und Investmentfirmen haben jetzt die Rolle, die früher die Götter hatten. Kaum einer traut sich, sie zu kritisieren. Die Angst vor ihrem Zorn leitet das Verhalten der Politiker. Viele verbieten sich ein offenes Wort, manch einer rettet sich mit Lügen. Da kämpfen Verdruckste gegen Auftrumpfende.

Damit wird der Zustand der Demokratie zu einem unwürdigen Zustand, und das ist gefährlich. Die Grundlage der Diktatur ist die stille oder offene Drohung mit Gewalt gegenüber denBürgern. Ihre Angst trägt das System. Die Grundlage der Demokratie ist das Ansehen bei den Bürgern. Ihre Zustimmung trägt das System. Wenn die Zustimmung verlorengeht, bröckelt die Demokratie.

Lösungen - Demut und Würde

Es geht darum, den Primat der Politik zurückzugewinnen. Das ist eine Aufgabe für alle.

Die Banken haben keinen Grund aufzutrumpfen. Sie sind Gerettete, sie verdanken ihr Überleben der Politik. Hätte die Politik 2008 nicht gehandelt, wären vielleicht noch mehr Banken zusammengebrochen. Nun muss die Finanzindustrie ihren Beitrag leisten, um gefährdete Staaten zu retten. Ein Gläubiger ist für eine Überschuldung mitverantwortlich. Wenn jetzt ein Kapitalschnitt notwendig ist, verlangt es der Anstand, dass die Banken klaglos auf einen Teil ihrer Forderungen verzichten. Ihre Rolle ist die von Beteiligten, nicht von Oberaufsehern und Strafrichtern. Demut ist gefordert.

Die Politik sollte den Banken schärfere Regeln setzen, damit die schlimmsten Auswüchse des Investmentbankings nicht mehr möglich sind. Es ist schon etwas passiert, aber das reicht nicht. Das Beste wäre eine internationale Transaktionssteuer.

Die Politik sollte sich zudem aus der Umklammerung durch die Banken befreien. Das geht nur, indem die Schuldenpolitik endlich aufhört. Nur der weitgehend schuldenfreie Staat ist ein souveräner Staat. Die Schuldenbremse ist ein gutes Instrument, noch besser wäre dazu ein allgemeines Bewusstsein, dass sich hohe Staatsschulden nicht gehören, weil sie die Demokratie unterminieren und die ökonomischen Lasten kommenden Generationen aufbrummen.

Was den Euro angeht, braucht es eine Doppelstrategie. Die europäischen Regierungen sollten eine Menge tun, um den Euro zu retten. Sie sollten solidarisch sein mit Griechenland und den anderen, die jetzt straucheln. Das kostet Geld, das verlangt ein klügeres, besser abgestimmtes und geschmeidigeres Vorgehen als bislang.

Gleichzeitig geht es darum, klarzumachen, dass Europa mehr ist als der Euro. Wenn es Griechenland nicht schafft, in der Euro-Zone zu bleiben, dann ist das nicht das Ende der Europäischen Union. Das Projekt ist größer als Geld. Es ist auch ein politisches und kulturelles Projekt, das leider von Anfang an eine ökonomische Schlagseite hatte. Die Politik sollte das korrigieren.

Damit sind wir bei den Bürgern, bei uns. Welches Bild haben wir von uns? Ist es das Bild der Banken: dass wir vor allem auf hohe Renditen erpicht sind? Ist es das Bild der FDP: dass wir möglichst wenig Steuern zahlen wollen? Ist es das Bild von Union, SPD, Grünen und Linken: dass wir über möglichst hohe Transferleistungen glücklich sind? All diese Bilder zeigen den Bürger als Homo oeconomicus, als Menschen der Wirtschaft. Kann das wahr sein? Sind wir so? Wenn wir nur Geldmenschen wären, könnten wir auch, soweit wir leistungsfähig sind, in einem autoritären Staat leben, der unseren Wohlstand sichert, in Singapur, den Vereinigten Arabischen Emiraten oder China.

Die Demokratie war ursprünglich ein Projekt der halbwegs Wohlhabenden, die politischen Einfluss haben wollten, um den Rahmen ihres Lebens selbst zu gestalten. Deshalb machten sie sich zum Souverän. Diese Idee ist immer noch bestechend, sie holte den Menschen aus der Rolle des Wirtschaftssubjekts, das strebt und webt, aber nichts zu bestimmen hat. Erst mit der Verantwortung für das Ganze bekam der Mensch seine komplette Würde, seine Souveränität. Und wer Souverän bleiben oder wieder werden will, der muss in seinem Fordern und Handeln die Verantwortung für das Ganze berücksichtigen.