Die Abkehr vom Erdöl

Rolling Stone - Ausgabe August 2010


Der Umwelt-Politiker Josef Göppel erläutert, weshalb die Förderung alternativer Energien die Bedingung für Nachhaltigkeit in der Zukunft ist.

60 Milliarden Dollar wird die Ölpest im Golf von Mexiko den BP-Konzern nach Expertenmeinung kosten. Aber diese an sich schon hohe Summe deckt das Ausmaß des Schadens nicht ansatzweise ab: Die Natur im Meer und an der Küste ist für viele Jahre aus dem Gleichgewicht gebracht – und dieser Verlust lässt sich mit Geld nicht wiedergutmachen.

Dennoch werden durch das „Deepwater Horizon“-Desaster die Ursachen und Folgekosten des fossilen Energieträgers Öl wenigstens einmal für alle sicht- und greifbar: Eigentlich kommt uns jeder Liter Erdöl, jede Tonne Kohle teuer zu stehen – auch ohne Ölpest. Der Wirtschaftswissenschaftler Nicholas Stern hat für die britische Regierung berechnet, dass uns die Verbrennung fossiler Energieträger jährlich 5 Prozent des weltweiten Bruttoinlandsprodukts kostet. Der Klimawandel wird uns also jedes Jahr eine Rechnung von über 500 Milliarden Dollar präsentieren. Die Kosten für die Bewältigung von Wetterextremen wie Stürmen, Überschwemmungen oder Dürren sind auf Dauer eine akute Bedrohung unseres Lebensstandards.

Dasselbe gilt übrigens auch für die vermeintlich billige Atomenergie. Wir hinterlassen unseren Nachkommen nicht nur tödlichen Atommüll, sondern auch die Kosten für die sichere Aufbewahrung über Jahrtausende. Darüber hinaus bleibt immer das Risiko eines Atomunfalls mit unvorstellbaren Folgekosten.

Hätte BP doch den eigenen Werbespruch „Beyond Petroleum – Jenseits vom Öl“ ernst genommen! Was für großartige, leistungsfähige Solarzellen würde das ökologische Feigenblatt des Konzerns, die BP Solar, heute herstellen, wenn dort 60 Milliarden US-Dollar in Forschung und Vermarktung geflossen wären? Stattdessen investiert BP, wie die anderen Konzerne auch, in die Erschließung neuer Ölquellen in immer unzugänglicheren Gebieten. Sollten wir bei unserer Energieversorgung auf Konzerne setzen, die wie Drogenabhängige um das bittere Ende wissen, aber aus eigener Kraft nicht mehr umkehren können oder wollen?

Die Hoffnung auf einen Umschwung sollten wir gerade jetzt aber nicht aufgeben: Die Ölkatastrophe im Golf wird in der amerikanischen Politik zweifelsohne einen Wendepunkt markieren. Der Staat muss die richtigen Rahmenbedingungen für findige junge Unternehmen setzen, die den Durchbruch bei erneuerbaren Energien schaffen. Er muss die richtigen Anreize setzen, damit wir alle mit Energie sparsamer und bewusster umgehen.

In Deutschland befinden wir uns bereits mitten im Epochenwechsel der Energieversorgung. Und dieser Wechsel muss auch ein Umdenken mit sich bringen, das die Organisation unserer Versorgung radikal verändern wird: Erneuerbare Energien funktionieren nämlich nur in dezentralen Netzen. In die künftige Struktur passen keine Großraffinerien mehr, keine zentralen Großkraftwerke, die die eingesetzte Primärenergie oft nur zu rund 40 Prozent in Strom umwandeln und 60 Prozent als nutzlose Abwärme verschwenden. Das gilt für Kohle- und Kernkraftwerke gleichermaßen. Es ist ein Konflikt Neu gegen Alt. Was ist nun konkret zu tun?

Wir brauchen auf dem Weg zu einer Vollversorgung mit erneuerbaren Energien vor allem flexible Kraftwerke, die die Schwankungen ausgleichen können, die im Umgang mit Sonnen- und Windkraft zwangsläufig entstehen. Nach dem derzeitigen Stand der Technik sind dazu dezentrale, schnell regelbare Gaskraftwerke geeignet, deren Abwärme über Nah- und Fernwärmenetze genutzt werden kann.

Eine Zukunftsvision: Deutschland könnte im Jahr 2050 zu 100 Prozent mit Strom und Wärme aus Wind, Wasser, Sonne, Erdwärme und Energiepflanzen versorgt werden. Genau das ergibt ein neues Gutachten des Sachverständigenrats der Bundesregierung für Umweltfragen. Für die Übergangszeit sind dabei keine Laufzeitverlängerungen für Atomkraftwerke oder neue Kohlekraftwerke erforderlich.

Wegen der schwankenden Volumina bei der Erzeugung brauchen wir allerdings mehr und bessere Speichermöglichkeiten. Ein deutscher Hersteller erprobt derzeit zum Beispiel einen Lithium-Ionen-Speicher, der die Energieerzeugung eines 2-Megawatt-Windrads komplett zwischenspeichern kann. Im gebirgigen Norwegen können bereits bestehende Wasserkraftwerke zur Pumpspeicherung genutzt werden. Was die politischen Möglichkeiten betrifft: Wir müssen im Erneuerbare-Energien-Gesetz die Speicherentwicklung über einen Bonus gezielt anreizen und die Forschungsförderung erhöhen. So können wir diese Entwicklung noch rascher vorantreiben.

Im vergangenen Jahr kamen nur 8,4 Prozent unserer Wärme aus erneuerbaren Energien, aber schon 16,1 Prozent unseres Stroms. Die Technologien sind vorhanden, mit denen wir den Anteil der erneuerbaren Wärme schnell steigern könnten. Der Erfolg im Stromsektor beweist aber auch, dass es vor allem darauf ankommt, dass sich die Bürger auf die Förderung verlassen können. Im Moment ändern sich die Bedingungen dafür noch je nach Lage der Haushalte – die Zuschüsse zu Gebäudedämmung, Solarkollektoren und anderen erneuerbaren Heizungen sollten deshalb am besten durch einen Aufschlag auf die Importe von Öl, Kohle und Gas gedeckt werden. Dann finanzieren die Verursacher des Klimawandels den Übergang in eine nachhaltige Energieversorgung nämlich gleich selbst.