Atomkraftwerke sollen 14 Jahre länger laufen

Die Welt vom 9. August 2010

Schwarz-gelber Widerstand formiert sich gegen Röttgen - CSU-Umweltpolitiker Goppel: "Übliche Aufgeregtheiten"

Von Claudia Ehrenstein

Berlin - Noch macht Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) Urlaub im sonnigen Kärnten. Doch die gute Ferienlaune dürfte ihm vorerst vergangen sein. Aus der Heimat bläst ein kräftiger Gegenwind in Richtung Süden. Erst preschte Parteifreund Armin Laschet vor und kündigte an, er wolle die Nachfolge von Jürgen Rüttgers als Landeschef der CDU in Nordrhein-Westfalen antreten. Ein Amt, auf das auch Röttgen durchaus Ambitionen haben soll.

Und dann formierten sich auch noch Bundestagsabgeordnete, die Ministerpräsidenten der südlichen Bundesländer und das von der FDP geführte Bundeswirtschaftsministerium zu einer Allianz, die sich für deutlich längere Atomlaufzeiten einsetzt. Der Atomausstieg solle rückgängig gemacht und die Laufzeit der deutschen Meiler um 14 Jahre verlängert werden, wie der

"Spiegel" meldete. Joachim Pfeiffer (CDU), wirtschaftspolitischer Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, wetterte gegen Röttgen, dieser sollte anerkennen, "dass die Mehrheit in Partei und Fraktion Kernkraft für eine längere Zeit als er für absolut nötig hält, um eine sichere Energieversorgung zu gewährleisten".

Seit die Bundesregierung für den kommenden Herbst ein umfassendes Energiekonzept angekündigt hat, schwelt in der schwarz-gelben Koalition der Streit um längere Atomlaufzeiten. Auch innerhalb der Union sind die Fronten verhärtet. "Es gibt auch eine nennenswerte Anzahl von Unionspolitikern, die Röttgen den Rücken stärken", sagte der Bundestagsabgeordnete Josef Goppel (CSU) der WELT. Ihre Zahl sei "mindestens ebenso groß" wie die der Verfechter möglichst langer Laufzeiten, die sich jetzt wieder zu Wort gemeldet hätten. Die "üblichen Aufgeregtheiten" im Sommerloch, wie Goppel meinte. Er hält längere Laufzeiten angesichts der Rahmenbedingungen für "politisch nicht durchsetzbar".

Auch Röttgen hatte sich zuletzt stets zurückhaltend geäußert und allenfalls von einer "moderaten Laufzeitverlängerung" gesprochen - wobei er offen ließ, ob vier, sechs oder acht Jahre "moderat" sein könnten. In einem Gutachten hatten sowohl Bundesinnen- als auch Bundesjustizministerium erklärt, deutlich längere Laufzeiten seien auf jeden Fall nur mit Zustimmung des Bundesrats möglich. Doch in der Länderkammer haben Union und FDP seit der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen keine Mehrheit mehr. Trotzdem dauert der Konflikt über die Laufzeitverlängerung unvermindert an und erhält zusätzliche Brisanz durch den "Nationalen Aktionsplan für erneuerbare Energien", der erst am vergangenen Mittwoch vom Kabinett verabschiedet wurde. Darin heißt es, dass die erneuerbaren Energien im Jahr 2020 an der Stromversorgung schon einen Anteil von 38,6 Prozent haben könnten. Derzeit liegt dieser Anteil noch bei 16 Prozent. Die Kernkraftwerke liefern 23 Prozent des Stroms, macht zusammen fast 40 Prozent.

In ihrem Koalitionsvertrag hatten Union und FDP vereinbart: "Die Kernenergie ist eine Brückentechnologie, bis sie durch erneuerbare Energien verlässlich ersetzt werden kann." Dem Aktionsplan zufolge könnte der Strom aus erneuerbaren Energien den Atomstrom also schon 2020 fast ersetzten. Damit liefert die Bundesregierung selbst ein Argument gegen längere Laufzeiten. Doch hätte das Bundeswirtschaftsministerium dem Bericht wohl kaum zugestimmt, gäbe es nicht noch eine "große Hintertür": Da das neue Energiekonzept noch nicht berücksichtigt werden konnte, "ist daher nicht auszuschließen, dass im vorliegenden Nationalen Aktionsplan enthaltene zukunftsbezogene Daten und Aussagen durch das Energiekonzept geändert werden". Das neue
Energiekonzept soll eine Gesamtstrategie für die Energieversorgung bis 2050 festschreiben. Bis dahin, so hatte Rot-Grün im Jahr 2000 mit den Energieversorgern im Atomkonsens vereinbart, sollte eigentlich das letzte Kernkraftwerk seit 28 Jahren abgeschaltet sein. Jürgen Trittin, Ex-Bundesumweltminister und jetzt Fraktionschef der Grünen im Bundestag, sieht für längere Laufzeiten keine Chance. Sie seien für die Energiesicherheit auch "überhaupt nicht nötig", würden den Energieversorgern aber "bis zu 84 Milliarden in die Kassen spülen", sagte Trittin der "Bild am Sonntag". Und SPD-Chef Sigmar Gabriel sieht schon einen heißen Herbst auf Röttgen zukommen. "Wenn sich die Hardliner in Fraktion und Ländern wirklich durchsetzten und die Laufzeit von Atomkraftwerken um 14 Jahre verlängert wird, ist Herr Röttgen auf ganzer Linie gescheitert", sagte Gabriel "Spiegel Online". Röttgen wäre "nicht länger Umwelt-, sondern Atomminister".