In der Natur gibt es keinen Neustart

Die Welt vom 6. März 2009

Von Alois Glück

Was einmal in die Welt gesetzt wurde, kann nicht mehr zurückgenommen werden. Das macht Grüne Gentechnik so brisant. Und ihre Gegner nicht automatisch zu Fortschrittsfeinden

In Bayern regiert der Populismus, und bald gehen die Lichter des Fortschritts aus. Diese Schlussfolgerung zieht Ulli Kulke in seinem Leitartikel in dieser Zeitung zur Forderung der CSU, im eigenen Land selbst entscheiden zu können, ob gentechnisch veränderte Pflanzen angebaut werden dürfen. Wer gegen den Einsatz der Grünen Gentechnik ist, ist ein Feind des Fortschritts oder ein feiger Populist.

So einfach ist die Sache. Genau diese Vereinfachungen polarisieren und blockieren diese Debatte immer mehr. Das gilt für Befürworter und Gegner. Aber zunächst: In Bayern wird mehr den je in Forschung und Bildung investiert; das hält jeden Ländervergleich gut aus.
Sowohl die Regierung Beckstein als auch die Regierung Seehofer haben entsprechende Förderprogramme realisiert. Dazu gehören auch viele Forschungsfelder in der Biotechnologie. Auch die Forschung in der Grünen Gentechnik wird fortgesetzt, vor allem in der Sicherheitsforschung.
Um was geht es in der konkreten Auseinandersetzung tatsächlich?
Die Debatte hat viele Facetten. Eine Gemengelage von Themen, Emotionen und Ängsten, die zu einer aus der bürgerlichen Mitte getragenen Protestbewegung führte. Informationsversammlungen zur Grünen Gentechnik sind seit Längerem die mit Abstand größten Versammlungen im Land mit Besuchern aus allen gesellschaftlichen Gruppen; Trachtler und coole Jugendliche, Christen und Atheisten, Bauern und Verbraucher, Junge und Alte kommen in großer Zahl. Die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung, nicht nur der Landwirte, ist gegen den Einsatz der Grünen Gentechnik. Kein anderes Thema führt Menschen aus so unterschiedlichen und in vielen Fragen sonst eher gegensätzlichen Positionen zusammen. Eine Basisbewegung, eine gesellschaftspolitische Realität, eine politische Wirklichkeit. Dies führt zu schweren Konflikten in unseren Dörfern und in unserer Gesellschaft, die Sozialverträglichkeit steht zur Debatte. Gerne wird gefordert, die Politik soll den mündigen Bürger ernster nehmen. So ist es, und es gilt gerade auch für diese Zukunftsfrage.
Die Befürworter sprechen von mangelnder "Aufklärung" der Bürger. Umso wichtiger ist die offene Debatte, die inhaltliche Klärung, welcher Nutzen und welche Risiken mit dieser Technik verbunden sind.

Da ist das Thema gesicherte Koexistenz für den gentechnikfreien Anbau. In der bäuerlich geprägten Agrarstruktur ist ein sicheres Nebeneinander einer Landbewirtschaftung mit und ohne Gentechnik nicht gewährleistet. Das ist eine andere Situation als in den großflächigen Strukturen im Osten oder Norden Deutschlands. Die überwältigende Mehrheit der bayerischen Landwirte sieht den Einsatz der Grünen Gentechnik als Bedrohung ihrer Maßstäbe für die Landbewirtschaftung und längerfristig ihrer Unabhängigkeit von Agrarkonzernen. In der Tat ist der Wechsel vom bisherigen Saatzuchtrecht zum Patentrecht mit gravierenden Folgen verbunden.

Die ökologisch motivierten Kritiker befürchten durch den Einsatz artfremder Gene bei einer Freisetzung und damit Übertragung auf andere Pflanzen irreversible Veränderungen in den Lebensgemeinschaften von Flora und Fauna. "Keine Gefahr", verkünden die Befürworter selbstsicher. Die Kritiker verweisen auf die Komplexität, die vielen Wechselwirkungen im Naturhaushalt. Sie verweisen darauf, dass solche Selbstsicherheit in einem gewissen Widerspruch zu den trotz hoher Forschungsmittel offenen Fragen zu den Ursachen von BSE, des "Waldsterbens", der Klimaveränderungen und anderer Entwicklungen im Naturhaushalt steht. Es gäbe auch keine entsprechende unabhängige Langzeitforschung zur Grünen Gentechnik. Wird diese Technik dem Maßstab der Nachhaltigkeit gerecht werden? Unbestreitbar ist, dass es in den letzten Jahrzehnten manchen zunächst hoch gelobten "Fortschritt" im Landbau gab, der sich über einen längeren Zeitraum als Irrweg erwies. Für die Kritiker fehlt ein angemessenes und transparentes Risikomanagement nach dem Maßstab: Je höher die potenziellen Risiken, umso größer die Vorsorge. Das gilt besonders für irreversible Prozesse. Wenn durch Maßnahmen der Grünen Gentechnik bei Pflanzen oder im Boden unerwartete und für den Naturhaushalt schädliche Entwicklungen einsetzen, können wir sie nicht ungeschehen machen. In der Natur gibt es keine Rückrufaktion, kein Abschaltung wie bei einer technischen Anlage.

Das Zulassungsverfahren der EU gilt nicht nur bei Kritikern als zu wenig transparent, muss nachvollziehbarer und umfassender werden.

In dem Maß, wie Wissenschaft und Politik pauschal, "von oben herab" belehrend agieren, steigt das Misstrauen, der Widerstand. Die weitverbreitete Ablehnung der Grünen Gentechnik ist nicht nur in Bayern zu spüren, es gilt für die Mehrheit der Länder in Europa. Das zeigt auch die Abstimmung der Umweltminister der EU-Länder. Ist es in dieser Situation so abwegig, im Sinne der Verantwortung für den eigenen Lebensraum eine Entscheidungsfreiheit für das eigene Land zu fordern, um damit die sehr unterschiedlichen Gegebenheiten bewerten zu können.

Der Hinweis auf das Wettbewerbsrecht der EU und den Druck der USA über die Regelungen der Welthandelsorganisation ist ein politischer Sachverhalt, der aber nicht unveränderlich und für die besorgten Menschen gerade angesichts der Folgen einer zu einseitig auf Ökonomie ausgerichteten Werteordnung wenig überzeugend ist.

Ein weiteres Argument ist die Verantwortung für die Ernährung der Weltbevölkerung. Wer in der Grünen Gentechnik den Zauberschlüssel zur Bekämpfung des Hungers in der Welt sieht, sollte den Weltagrarbericht der UN und der Weltbank studieren. Der zentrale Ansatz ist die Förderung der einheimischen Landwirtschaft und Landwirte, nicht der Einsatz der Grünen Gentechnik. Diese Entwicklungsstrategie setzt auf die Weiterentwicklung der bisher extensiven Landbewirtschaftung, wie wir dies auch aus der europäischen Entwicklung kennen. Dies schließt den Einsatz der Grünen Gentechnik nicht generell aus, aber sie ist auch nach diesem Bericht nicht die oft behauptete Wunderwaffe. Der Hunger in der Welt eignet sich nicht als moralische Keule für die Grüne Gentechnik. Die Wirklichkeit ist differenzierter und erfordert eine differenzierte Diskussion. Die Aufteilung in Fortschrittsfreunde und Fortschrittsfeinde ist dafür nicht geeignet.