Der grüne Schwarze

Cicero vom 21. August 2008

Wer bislang glaubte, im Bundestag säßen nur Lehrer und Juristen, wird hier eines Besseren belehrt. Wer bisher dachte, Unionspolitiker seien durch die Bank gegen Tempolimits und für Atomkraft, auch: Ein Besuch bei Förster Göppel

Der grüne Schwarze

VON NICOLE ALEXANDER

Für das politische Establishment war es ein Kulturschock, als die frisch in den Bundestag gewählten Grünen mit allerlei Gestrüpp ins Parlament einzogen - als mahnendes Anschauungsmaterial für die ihrer Meinung nach verfehlte Umweltpolitik der Regierung. Unvergessen die Szene, als die junge Grünen-Abgeordnete Marieluise Beck Helmut Kohl nach seiner Wahl zum Bundeskanzler im März 1983 einen vom sauren Regen schwer gezeichneten Tannenzweig überreichte.

Ganz neu war diese Idee damals allerdings nicht. Mit Josef Goppel hatte ausgerechnet ein CSU-Mann bei seinen eigenen Parteifreunden im Jahr zuvor mit einer ähnlichen Aktion für Furore gesorgt. Das Revier des jungen Försters im beschaulichen Mittelfranken litt ebenfalls unter dem sauren Regen. Deshalb fällte er kurzerhand eine kranke Fichte, packte sie auf das Dach seines VW-Käfers, fuhr zur Landesversammlung der Jungen Union in Passau und baute sich mit dem Baum vor den verdutzten Delegierten auf.

"All diese Juristenfrüchtchen hatten keine Ahnung, wie ein geschädigter Baum aussieht", erinnert sich Goppel, der seit 2002 für die CSU im Bundestag sitzt. "Das habe ich ihnen gezeigt. Danach ging mein Antrag durch. Darin hatten wir die neue Bundesregierung massiv aufgefordert, etwas gegen das Waldsterben zu unternehmen." Spätestens seit damals gilt der 58-Jährige als Umweltrebell der CSU.

Zwar ist das Wort Rebellion wohl das letzte, das einem in den Sinn kommt, wenn man Goppel im Örtchen Herrieden in Mittelfranken besucht, wo er seit vielen Jahren wohnt. Im Erdgeschoss des geräumigen Wohnhauses, das von einem großen Obstgarten umgeben ist, ist sein Wahlkreisbüro untergebracht. Gemütlich ist es hier, alles wirkt unaufgeregt, solide — wie man sich einen wohlgeordneten Haushalt auf dem bayerischen Land vorstellt.

Doch in Berlin sorgt der Vater von vier Töchtern mit seinen politischen Initiativen bis heute bei seinen Fraktionskollegen für Aufregung. 2004 arbeitet er am Gesetz der rot-grünen Regierung über erneuerbare Energien mit und stimmt im Parlament dafür — als Einziger aus der Unionsfraktion. Hartnäckig kämpft er für ein allgemeines Tempolimit auf deutschen Autobahnen seine Fraktion ist strikt dagegen. Aufseiner Website wendet er sich gegen eine generelle Laufzeitverlängerung von Kernkraftwerken - Parteikollege und Wirtschaftsminister Michael Glos plant genau das Gegenteil. "Spiegel online" entdeckt bei ihm einen Hang zu "Greenpeace-Methoden", Umweltminister Sigmar Gabriel lobt ihn als "tollen Kollegen", dessen Vorgänger Jürgen Trittin findet, er sei "klasse".

Ist Josef Goppel vielleicht grüner als die Grünen? Ist er der wahre Grüne im Bundestag? Goppel selbst hat sich solche Fragen nie gestellt, es scheint ihn nicht sonderlich zu interessieren. Für den Sohn eines fränkischen Kleinbauern ist die Sache - Grün hin, Grün her - ganz einfach: Vom Land muss man leben. Und deshalb muss man sorgsam mit ihm umgehen.

Das sehen längst nicht alle seine Parteifreunde so. Im Bayerischen Landtag, dem er von 1994 bis 2002 angehört, wird er von vielen als Spinner abgetan, mit seinen umweltpolitischen Vorstellungen geht er ihnen auf die Nerven. Goppel ficht das nicht an. Er weiß, dass er recht hat. "Meine politische Einstellung beruht auf den naturwissenschaftlichen Gegebenheiten. Für Umweltpolitik braucht es mehr als eine glühende Einstellung, nämlich ein solides naturwissenschaftliches Wissen. Das haben wir Förster in unserer Ausbildung mitbekommen." Und er kann warten. Geduld und Beharrlichkeit hat er in seinem Forstberuf ebenfalls gelernt.

Sein Bundestagsmandat ist eine Erleichterung. Hier findet er endlich Gleichgesinnte. Dass sie oft nicht in seiner eigenen Fraktion sitzen, stört ihn nicht. In alle Richtungen streckt er seine Fühler aus. Mit dem Parlamentarischen Staatssekretär im Umweltministerium Michael Müller (SPD), dem FDP-Abgeordneten Michael Kauch und Margareta Wolf, bis vor kurzem bei den Grünen, gründet er den fraktionsübergreifenden Zukunftssalon Umwelt. Gemeinsam fordern sie, die Umweltpolitik ins Zentrum der Reformpolitik zu rücken.

Und zusammen mit dem CDU-Abgeordneten und Wirtschaftspolitiker Joachim Pfeiffer hat er ein Buch geschrieben: "Konjunktur durch Natur", so der Titel. Die Wirtschaft kann und muss von der Natur lernen, heißt es darin. Zum Beispiel, dass das vorherrschende Prinzip in der Natur nicht der Kampf aller gegen alle sei, sondern das Überleben in der Nische.

Er weiß: Die Tage, in denen man Leute wie ihn als Deppen abtut, sind gezählt. Die Gefahren des Klimawandels sind in aller Munde, die Kanzlerin hat den Klimaschutz zur Chefsache erklärt. Und schon jetzt merkt er, dass man ihn in festgefahrenen Verhandlungssituationen braucht. Weil er über gute Kontakte verfügt, in fast allen Fraktionen. Die Farbenspiele der Berliner Republik - durch Leute wie Goppel bekommen sie eine neue Bedeutung. Seine Website macht das sinnfällig: Sie ist nicht im üblichen bayerischen Weißblau der CSU-Landesgruppe gehalten, sondern - natürlich - in Grün.