Volles Rohr

Spiegel vom 22. Oktober 2007

Wenn man so will, ist Raum 2.233 im Umweltbundesamt zu Dessau, in dem es aussieht, als hätte ein Hurrikan alles verwirbelt, die Schaltzentrale in einem kuriosen Kampf. Von hier aus steuert Axel Friedrich, Leiter der Abteilung „Verkehr, Lärm", die Schlacht für ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen. Er kämpft einen der längsten und ideologischsten Kämpfe der deutschen Nachkriegsgeschichte.

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Der Mann, auf den Friedrich lange setzte, heißt Josef Göppel. Göppel ist Bundestagsabgeordneter der CSU, gemeinsam mit anderen Abgeordneten hat er vor dem Sommer einen Gesetzesantrag für ein Tempolimit formuliert.

Göppel nennt sich selbst einen Wertkonservativen, er ist verheiratet, vier Töchter, sehr katholisch, er will die Natur erhalten. Mit 15 Jahren begann er eine Ausbildung zum Forstwirt, seitdem liebt er den deutschen Wald.

Als der Anfang der achtziger Jahre im Sterben lag und der Tod auch zu Göppels Bäumen in Herrieden kam, informierte er sich, was man tun könne. Irgendwann ist er dabei auf das Tempolimit gestoßen.

Der deutsche Wald hat dann auch ohne Tempolimit überlebt und Josef Göppel ging in die Politik. Dort stieg er langsam in der CSU auf, nahm brav jede Stufe, bis in den Bundestag, aber seine Bäume und das Tempolimit vergaß Göppel nie. Er wartete nur auf den richtigen Moment.

Im Februar 2007 sitzt Göppel im Zug von Nürnberg nach Berlin, als er Frau Wright von der SPD trifft, auch eine Freundin des Tempolimits. Sie wollen beide dasselbe, sie wegen der mehr als 600 Unfalltoten auf der Autobahn, er wegen des Waldes. Sie beschließen, etwas zu tun.

Der Antrag hat vier Seiten, auf der ersten Seite steht „Initiative Josef Göppel MdB", darunter die Forderung: „Der Bundestag wolle beschließen: Auf deutschen Autobahnen wird zum 1.1.2008 eine generelle Geschwindigkeitsobergrenze von 130 Stundenkilometern eingeführt." Es folgen drei Seiten Argumente.

Göppel schlürft seinen Tee aus der Tasse, stellt sie hin und klappt einen Daumen in die Luft. „Wir würden die Autobahnen sicherer machen, weniger Unfälle." Jetzt klappt er den Zeigefinger aus. Wir hätten weniger Staus." Dann kommt der Mittelfinger. „Und wir würden was fürs Klima tun. Weniger Gifte. Weniger CO2." Frau Merkel habe sich in Brüssel verpflichtet, den Ausstoß bis 2020 um 20 Prozent zu senken. Bei einem Tempolimit spare Deutschland zwei Millionen Tonnen CO2 ein, sagt Göppel, jedes Jahr, ohne dass es etwas koste. Die Zahl hat ihm Axel Friedrich errechnet.

Den Antrag wollte Göppel in den Bundestag einbringen, fraktionsübergreifend. Er sagte, dass man die Chance nutzen müsse, am besten noch in diesem Jahr, sonst sei sie wieder weg. Göppel spricht sehr langsam, es klingt sehr vernünftig, was er sagt. Er ist ein höflicher Mann, privat fährt er einen Polo, den verbrauchsarmen.

Leute wie Göppel gehören für Ulrich Bez zu jenen Menschen, die ihn in seiner Freiheit beschneiden wollen, die die Faszination schneller Autos nicht begreifen, zu den Spaßbremsen. Bez fährt keinen Polo, er nimmt heute mal den Aston Martin V8 Vantage, 380 PS. 280 Stundenkilometer. Er steuert durch die Straßen von Düsseldorf-Kaiserswerth, ein ruhiges Gleiten im zweiten Gang, es geht Richtung Autobahn.

Ulrich Bez, 63, ist der Chef von Aston Martin. Früher war er Entwicklungsleiter bei Porsche und Konstrukteur bei BMW, er ist ein Gott der Geschwindigkeit. Sein Wagen sieht die Auffahrt zur A44 hoch. Jetzt kommt der Teil, der Spaß macht.

Der V8 Vantage liegt in der Kurve, als würde die Fliehkraft für ihn nicht gelten, und am Ende der Auffahrt zeigt der Tacho 180 km/h. Aber das ist nur die Aufwärmphase. Als die Strecke endlich frei wird, gibt Bez Gas. „Und hier wollen die 130 machen?" er grinst. „230 geht doch auch."

Das Schöne sei, sagt Bez, dass man sich in diesem Auto bei 230 km/h sicherer fühle als im koreanischen Kleinwagen bei 130.

„Als in den siebziger Jahren die Amerikaner ihr Tempolimit eingeführt haben, sind dort die Unfallzahlen tatsächlich gesunken", sagt Bez. „ Aber wissen Sie auch, woran das liegt?" Er fährt nun etwas langsamer, gleich kommt eine Brücke, an der oft Blitzer stehen. „Die Amerikanischen Autos waren damals furchtbar unsicher, sogar beim Geradeausfahren." Deutschland aber habe die sichersten Autos der Welt. Er klingt stolz, als Konstrukteur hat er daran mitgearbeitet.

„Die ganzen Brems- und Lenkhilfen, die versteiften Fahrgastzellen, die ganze passive Sicherheit - die hätte es mit Tempolimit so nicht gegeben."

Wenn heute jeder Kleinwagen mit einem halben Dutzend Airbags geliefert werde, dann, so meint Bez, liege das daran, dass die großen, schnellen Autos diese Technik entwickeln mussten. Autos werden nicht sicherer wenn man langsam fahren muss. Sie werden sicherer, wenn man mit ihnen schnell fahren kann, glaubt Bez.

Ein Tempolimit sei Quatsch, sagt er, außerdem politisch nicht durchsetzbar.

Im Frühjahr stellt Polo-Fahrer Göppel seinen Antrag für ein Tempolimit den Kollegen aus der Unionsfraktion vor. Er sagt, er hoffe auf Unterstützung, auf viele Unterschriften. Er macht keine Pressekonferenz, will erst die Stimmung sondieren, nur intern, ganz vorsichtig.

Aber die Strategie geht nicht auf.

Noch am selben Tag informiert einer von Göppels Fraktionskollegen die schärfsten Gegner des Limits: In der Berliner Repräsentanz von BMW klingelt das Telefon.

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Axel Friedrich hat ein Bild für seinen Kampf für ein Limit gefunden. Er steht auf einem Berg und wirft seit 30 Jahren Schneebälle den Hang hinab. Er hofft immer noch auf den einen Ball, der eine Lawine in Gang setzt. Dummerweise waren die, auf denen seine Hoffnung ruhte, bislang keine Hilfe. Herr Göppel von der CSU erhielt irgendwann einen Anruf vom Büro seines Faktionschefs. Mit seinem Antrag verstoße er gegen die Geschäftsordnung der Fraktion, sagte Peter Ramsauer. Es waren formale Einwände, aber dahinter steckten inhaltliche. Göppel sollte den Antrag stoppen. Am selben Tag bekam auch Frau Wright, seine Mitstreiterin von der SPD, einen Anruf. „Verfolg das nicht weiter", sagte Olaf Scholz, der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD. „So was macht man nicht. Nicht gegen den eigenen Minister." Der Verkehrsminister heißt Wolfgang Tiefensee und wird gerade von der SPD gestellt. Dann verkündeten die Fraktionschefs von Union und SPD, Volker Kauder und der Motorradfreund Peter Struck, dass der Antrag gestoppt sei. Herr Göppel erfuhr davon aus den Nachrichten und fühlte sich gedemütigt. Herr Waldeck ging an diesem Morgen besonders gutgelaunt frühstücken. Wieder war ein Vorstoß gescheitert.

Leider sei die Industrie in den Hinterzimmern sehr erfolgreich, sagen die Verlierer. Aber weil sie das Verlieren gewöhnt sind, reden sie lieber über ihre Hoffnungen. Herr Göppel hofft jetzt auf Europa, er sagt, der Druck werde wachsen. Frau Wright möchte noch einmal mit dem Verkehrsminister reden, der ist ja aus der eigenen Partei.