Manche mögen's heiß

Die Welt vom 02. Juli 2007

Berlin - Handele so, dass die Wirkungen deiner Handlung verträglich sind mit der Permanenz echten menschlichen Lebens auf Erden. So formulierte, anknüpfend an Immanuel Kant, der Philosoph Hans Jonas einen neuen ethischen Imperativ, der auch als "ökologischer Imperativ" bekannt wurde. Tatsächlich werden die klassischen Denk- und Handelsweisen, aus einer Entwicklung erst zu lernen, wenn der Schaden eingetreten ist, den Bedingungen der modernen Technik und der zusammenwachsenden Welt nicht gerecht. Angesichts des großen Faktenwissens über den Klimawandel konzentriert sich unsere ethische Verantwortung auf eine einzige Frage: Handeln wir wirksam, bevor Klimaschäden eingetreten sind?

Der Weltklimarat IPCC, der größte Wissenschaftskonvent der Welt, hat uns auf der Basis klimageschichtlicher Erkenntnisse und mithilfe von über 29 000 Datenblättern aus der Wetterbeobachtung und zahlreichen hochkomplexen Computerrechnungen eine düstere Zukunft aufgezeigt, wenn wir heute nicht gegensteuern. Zwei Beispiele aus dem Bericht des IPCC über die regionale Verwundbarkeit der Erde:

Auf dem afrikanischen Kontinent leiden bereits knapp 20 Prozent der Menschen an Hunger und Unterernährung. Sollte es - wie der anthropogene Klimawandel befürchten lässt - zu einem Anstieg der globalen Temperaturen um mehr als zwei Grad Celsius gegenüber 1990 kommen, drohen in 80 Prozent der dortigen Länder die Ernteerträge um die Hälfte zurückzugehen. In Afrika ist die Bevölkerung im Schnitt 25 Jahre alt. Sie wird sich, wie das Beispiel Darfur gezeigt hat, gegen ökologische Todesurteile wehren.

Die wuchernde Millionenstadt Lima, die bald acht Millionen Einwohner zählt, wird fast ausschließlich vom Gletscherwasser der Anden versorgt. In den Kordilleren gingen von einer ursprünglich 2000 Quadratkilometer großen Gletscherfläche bereits 22 Prozent verloren. Die Reserven betragen schon weniger als ein Jahr. Die Gletscher gehen weiter rapide zurück,der Temperaturanstieg erreicht bereits 0,2 Grad Celsius pro Jahrzehnt. Was ist, wenn die Andengletscher bald völlig verschwunden sind? Der Klimawandel ist eine Menschheitsherausforderung. Wir ahnen schon: Klimaschutz, Wohlstand und Frieden gehören zusammen. Die globale Erwärmung kommt nicht mit einer absoluten Sicherheit, wohl aber mit einer immer höher werdenden Wahrscheinlichkeit. Sie kommt sogar schneller, härter und einschneidender als noch vor wenigen Jahren erwartet wurde.

Nie zuvor waren wir so gefordert, Verantwortung für die Zukunft zu übernehmen. Wir kommen nicht an der Tatsache vorbei,dass wir auf einer endlichen und ungleichen Welt leben. Freiheit und Verantwortung heißt, darauf Rücksicht zu nehmen und zu einer nachhaltigen Entwicklung zu kommen. Doch selbst der Klimawandel wird immer häufiger als modisches Thema des Zeitgeistes behandelt. Der "Cicero" macht ein dickes Dossier gegen die Ökopanik, der "Spiegel" spricht, nachdem er kurz zuvor die Gefahren noch drastisch beschrieben hatte, von Umwelthysterie, und die FAS titelt ungeniert "Wir bauen auf wärmere Zeiten".

Keine Frage: Auch und gerade die Klimawissenschaft muss sich der kritischen Debatte stellen. Das tut sie auch - weit mehr als ihre Kritiker. An der Zusammenfassung der Fakten des Weltklimarates waren mehr als 1250 Wissenschaftler aus aller Welt beteiligt, darunter 450 Hauptautoren. Zudem wirkten über 2500 Wissenschaftler als Gutachter in dem rund vierjährigen Entstehungsprozess mit. Jeder Einwand, jeder Kritikpunkt und jede Unsicherheit wurden vom Klimarat dokumentiert und bewertet. Und am Ende mussten sich alle drei Berichte noch Wort für Wort und Zeile für Zeile einem viertägigen Beratungsmarathon unterziehen.

Statt sich derfachlichen Kontroverse zu stellen, was sie jederzeit könnten, um ihre Kritik wissenschaftlich zu belegen, wie das die Regeln erfordern, pflegen viele Skeptiker ihre Vorurteile. Sie setzen unbewiesene Behauptungen in die Welt und diffamieren den Weltklimarat als Katastrophenwissenschaftler.

Doch die Klimaleugner stellen Einzelmeinung gegen den systematischen Erkenntnisfortschritt. Sie setzen Einzelereignisse absolut. Mit einem seriösen Wissenschaftsprozess hat das nichts zu tun. Für sie gibt es entweder keine Erwärmung oder sie ist nicht vom Menschen verursacht oder einfach unschädlich. So berichtete der britische "Guardian" davon, dass daskonservative American Enterprise Institute, dessen Hauptsponsor der Ölmulti Exxon ist, den Wissenschaftlern des Weltklimarates eine schnelle Prämie von 10 000 Dollar plus Spesen versprach, wenn sie die Ergebnisse des IPCC öffentlich in Zweifel zögen.

Die Kritik am Klimawandel gibt es seit 20 Jahren, auch die von Richard Lindzen, der Galionsfigur der Skeptiker. Von ihm heißt es, alles sei unsicher, auch wenn er selbst, wie Wissenschaftler nachweisen, mit falschen Zahlen und veralteten Kurven argumentiert. Bei den Anhörungen im Deutschen Bundestag konnte er jedenfalls nicht überzeugen.

Während die Kritiker stehen geblieben sind, stellt sich der Weltklimarat der Debatte. Seine Ergebnisse werden immer genauer, die globale Erwärmung kann nicht mehr geleugnet werden. Deshalb beginnen die Skeptiker jetzt, über die Gewinner und Verlierer des Klimawandels zu reden, versuchen, ihm Positives abzugewinnen. Der Autor der FAS schwärmte sogar davon, dass die Menschen unter dem Druck der Hitze Kühlschrank und Klimaanlage erfunden hätten. "Da wird ihnen wohl auch noch etwas einfallen, wenn es demnächst ein paar Grad wärmer wird." Ein paar Grad wärmer? In den letzten 200 000 Jahren schwankte das Klima zwischen dem Garten Eden und der Eistundra um ganze sechs Grad Celsius. Doch nun sind wir dabei, auf eine Warmzeit eine zweite draufzupacken.

Natürlich wird den Menschen noch viel einfallen, ja einfallen müssen, um das Schlimmste zu verhindern. Aber darf das Klimathema in der zusammenwachsenden Welt wirklich mit derart plumpen Argumenten relativiert werden, weil "Städte wie Los Angeles, Las Vegas oder Phoenix boomen, seit es Klimaanlagen gibt"? Darf man es vor dem Hintergrund der sich abzeichnenden großen Tragödien in Afrika, Lateinamerika und Asien wirklich als Erfolg der Ingenieurkunst preisen, dass in Nordamerikas heißester Stadt Yuma (Arizona) Golfspielen möglich geworden ist?

Die Ignoranz scheint keine Grenzen zu kennen. Die großen Verharmloser sind wieder am Werk: Die Grönländer freuten sich, dass der Eispanzer schmilzt, weil sie auf eine Zunahme des Tourismus hofften. Im Nildelta könnten die Bauern wegen des steigenden Grundwasserspiegels zu Profiteuren des Klimawandels werden, obwohl die Studien eine Versalzung der Böden und Versauerung der Meere befürchten. Was bedeutet es für die Meeresbiologie, wenn die russischen Atom-U-Boote schon bald den Eishafen von Murmansk ganzjährig anfahren könnten? Ist das Fortschritt, wenn möglicherweise Millionen Menschen aufgrund des Klimawandels zur Flucht gezwungen werden? Die großen Flussmündungen in Asien von gewaltigen Überschwemmungen betroffen sind? Die Tier- und Pflanzenarten um 20 bis 30 Prozent aussterben? Unzählige Menschen in Afrika an Hunger leiden?

Wir brauchen den technischen Fortschritt, um eine Klimakatastrophe abzuwenden. Aber wo immer es geht in der Verhinderung der Erwärmung und nicht für eine bloße Anpassung. Wir müssen alles tun, die Erwärmung auf höchstens zwei Grad Celsius zu begrenzen und die globale Treibhausgaskonzentration bis Mitte unseres Jahrhunderts um 50 Prozent zu verringern. Das ist keine Willkür, sondern unser Verständnis von Freiheit - das Prinzip Verantwortung, das Hans Jonas einfordert. Es wartet nicht auf letzte Wahrheiten, sondern handelt, wenn mit hoher Wahrscheinlichkeit Gefahren wie auch Chancen sichtbar werden.

Der Text des Parlamentarischen Staatssekretärs im Umweltministerium entstand zusammen mit den MdBs Michael Kauch (umweltpolitischer Sprecher der FDP-Fraktion), Josef Göppel (Vorsitzender des AK Umwelt der CSU), Margareta Wolf (ehem. Staatssekretärin im Wirtschafts- und Umweltministerium).