Ländliche Räume brauchen die Zweite Säule

AGRA-EUROPE 24/07 vom 11. Juni 2007

Landschaftspflegeverbände fordern deutliche Aufstockung der EU-Fördermittel - Minister Seehofer bekräftigt Ausweitung der Gemeinschaftsaufgabe - OECD-Bericht stößt bei Fachkongress auf einheitliche Zustimmung

AgE. Neumarkt. Lebensfähige ländliche Räume brauchen unbedingt die im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik festgelegte Zweite Säule. Darin waren sich die Teilnehmer des Fachkongresses „Natur als Motor der ländlichen Entwicklung" einig, zu dem der Deutsche Verband für Landschaftspflege (DVL) Ende vergangener Woche nach Neumarkt in der Oberpfalz eingeladen hatte. Speziell auf Deutschland bezogen fand bei den Referenten der jüngste Bericht der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) über die ländliche Entwicklung in Deutschland volle Zustimmung. In dem Bericht wird vor allem kritisiert, dass sich die diesbezügliche Politik hierzulande noch viel zu sehr an den Ressortgrenzen der einzelnen Ministerien orientierte (AGRA-EUROPE 12/07, LÄNDERBERICHTE 1) Bundeslandwirtschaftsminister Horst Seehofer stimmte der OECD-Kritik in Neumarkt voll zu und versicherte, dass er gegen dieses „sektorale Denken" ankämpfen werde. Ein erster Schritt in diese Richtung sei die in seinem Haus zurzeit laufende Überarbeitung der Gemeinschaftsaufgabe „Agrarstruktur und Kostenschutz", die sich bislang zu einseitig auf die Landwirtschaft konzentriere. Auch Nicola Crosta vom OECD-Direktorat für Öffentliche Verwaltung schlug eine Weiterentwicklung der deutschen Agrarstrukturpolitik vor. Die Gemeinschaftsaufgabe sei bisher zu sehr auf die Landwirtschaft fokussiert, anstatt auf eine strategische Politik für die Entwicklung ländlicher Räume hinzuzielen, meinte Crosta.

Unverzichtbarer Partner im Umweltschutz

Der Direktor für ländliche Entwicklung bei der Generaldirektion Landwirtschaft der Europäischen Kommission, Antonis Constantinou, kündigte auf dem Kongress eine Weiterentwicklung der Zweiten Säule in der nächsten Förderperiode 2007 bis 2013 an. Gleichzeitig machte Constantinou aber deutlich, dass die Landwirtschaft aus der Sicht der Kommission ein unverzichtbarer Partner in den Bereichen Umwelt- und Naturschutz sei; entsprechend wichtig sei es, sie in diesbezügliche Schutz- beziehungsweise Förderkonzepte einzubinden. DVL-Vorsitzender Josef Göppel sprach sich insbesondere für mehr Fördermittel für den ländlichen Raum aus. Ein Zehntel der Haushaltsmittel für 70 % der Fläche in Europa seien zu wenig, bemängelte der CSU-Bundestagsabgeordnete. Wichtiger Bestandteil des zweitägigen Kongresses war die Vorstellung erfolgreicher und kreativer Modelle für eine ländliche Entwicklung im Einklang mit der Natur, wobei deren wirtschaftlicher Nutzen für die Landwirtschaft besonders herausgestellt wurde.

Vielfalt braucht lebendige Räume

Gerade in einer Zeit der anziehenden Konjunktur und eines neuen Flächendrucks durch die Erzeugung nachwachsender Rohstoffe müsse der Wert intakter Landschaften wieder besonders in den Blick genommen werden, führte der DVL-Vorsitzende aus. Es gehe um die Existenzberechtigung der natürlichen Welt der Pflanzen und Tiere inmitten der Zivilisationswelt der Menschen. Bemerkenswert sei, dass bei der Wahl des Lebensmittelpunkts eine schöne Umgebung mit hohem Erholungswert eine immer größere Rolle spiele. Lebende Landschaften würden unverkennbar zu Motoren einer guten Entwicklung in ländlichen Räumen. Die Nutzung nachwachsender Rohstoffe zur Energiegewinnung zeige, wie sehr sich Landwirtschafts-, Umwelt- und Energiepolitik überlagerten, sagte Göppel. Die Landwirtschaft selbst müsse ein elementares Interesse daran haben, die ökologischen Vorteile der Bioenergie beim Anbau nicht zu gefährden, um die Unterstützung der Gesellschaft nicht zu verlieren. Für die Energiepolitik und den Klimaschutz sei es wichtig, solche Nutzungspfade zu wählen, die entlang der gesamten Produktionskette die beste energetische Bilanz aufwiesen. Deshalb werde dringend eine bessere Zusammenschau der einzelnen politischen Fachgebiete benötigt. Der DVL-Vorsitzende wies darauf hin, dass das europäische „Lebensmodell der Vielfalt" lebendige ländliche Räume brauche. Wichtig seien mehr Freiräume für gemeinsame Initiativen von Kommunalpolitik, Landwirtschaft und Naturschutz. Alle bisherigen Erfahrungen zeigten auch, dass fachkundiges Regionalmanagement unabdingbar sei, um sich selbsttragende Prozesse in Gang zu bringen. Bei allem Handeln dürfe grundsätzlich nie vergessen werden, dass die Natur die Grundlage sei, von der die Menschheit lebe. Wer ihre Güter maßvoll nutze, werde auf Dauer den besten Erfolg haben, stellte Göppel heraus.

Nachhaltigkeit im Auge behalten

Minister Seehofer unterstrich das sektorale Denken in der Strukturpolitik müsse schon deswegen beendet werden, weil die Multifunktionalität in vielen Wirtschaftsbereichen immer deutlicher werde, dies gelte insbesondere für die Landwirtschaft. Durch die „Grüne Revolution" habe die Landwirtschaft einen Wandel weg vom einseitigen Nahrungslieferanten hin zum vielfältigen Rohstoffproduzenten vollzogen. Rund 1,6 Mio ha oder 13 % der Ackerfläche Deutschlands würden bereits heute für nachwachsende Rohstoffe genutzt. Dadurch sei natürlich die Stellung der landwirtschaftlichen Erzeuger gewachsen und die ländlichen Räume erhielten einen zusätzlichen Teil der Wertschöpfungskette, erklärte der Minister. Dies verdeutliche gleichzeitig die Verzahnung von ländlichen Räumen und Landwirtschaft. Bei nachwachsenden Rohstoffen könne man ohne weiteres von einem „Miteinander von Ökologie und Ökonomie" sprechen. Allerdings sei Vorsicht angebracht, mahnte Seehofer. Nicht alle Träume gingen in Erfüllung. Es komme darauf an, frühzeitig die Probleme zu erkennen und auf sie zu achten, denn das Reparieren von Fehlern würde teuer. Bei nachwachsenden Rohstoffen heiße dies, dass die Nachhaltigkeit und die Ressourcenschonung im Auge behalten werden müssten. Wenn man hier der Wirtschaft freien Lauf lasse, dann gebe es bald mehr ökologische Probleme als vorher, so der Minister. Ein Beispiel sei die Fruchtfolge, deren Notwendigkeit die beteiligte Wirtschaft bei ihrer Gewinnmaximierung nicht interessiere, worunter die Landwirtschaft aber dann viele Jahre zu leiden hätte. Deswegen sei es notwendig, hier rechtzeitig zu reagieren. Beispielsweise plane sein Haus, in Kooperation mit dem Bundesumweltministerium Nachhaltigkeitsregeln zu definieren, teilte Seehofer mit. Entscheidend sei, dass diese Regeln dann auf europäischer Ebene Gültigkeit haben müssten. Denn je glaubhafter die EU bei nachwachsenden Rohstoffen sei, um so glaubhafter werde sie auf internationaler Ebene.

Maßstab der Verlässlichkeit

Zur Gemeinsamen Agrarpolitik erklärte Seehofer, dass hier in der laufenden Förderperiode die Erste Säule in der Tat besser ausgestattet sei. So wichtig die ökologische Förderung im Rahmen der Zweiten Säule auch sei, so müsse jedoch von vorneherein klar sein, dass es in der nächsten Förderperiode hier keinesfalls eine Mittelaufstockung zu Lasten der Ersten Säule geben dürfe, was gleichzeitig eine „Nachkorrektur" bedeuten würde. Dies gebiete schon der Maßstab der Verlässlichkeit, der für die Zukunft der Landwirtschaft existenzbedeutend sei. Andererseits sei es genauso selbstverständlich, die Förderung der Zweiten Säule zu verstärken, was aber nur mit zusätzlichen Haushaltsmitteln geschehen dürfe. Seehofer erinnerte daran, dass die Kürzung der Zweiten Säule vor allem wegen der Deutschen Einheit vorgenommen worden sei. Dennoch stehe fest, dass die zweite Säule mittel- und langfristig an Gewicht gewinnen werde, was auch eine Aufstockung der Fördermittel bedeute. Bezüglich der Ersten Säule wertete es der Minister als zukunftsträchtig, die Ökologieleistungen der Landwirtschaft stärker zu fördern und zu honorieren. Die Cross-Compliance-Regeln zielten hier im Grundsatz in die richtige Richtung. Für ihn sei auf jeden Fall von Bedeutung, die ökologischen Leistungen der Landwirtschaft rechtzeitig zu definieren, sagte Seehofer. Denn es sei nicht schwierig vorherzusagen, dass bei künftigen Haushaltsdebatten über kurz oder lang die Diskussion über die landwirtschaftliche Förderung wieder von neuem beginne. Wenn dann der Bauer sagen könnte, ihm werde kein Geld geschenkt, sondern er werde lediglich für seine ökologischen Leistungen honoriert, dann müsse der Landwirtschaft vor einer solchen Debatte nicht bange sein.

Keine ernstzunehmende Krankheit

Constantinou machte deutlich, die Brüsseler Kommission registriere sehr wohl, dass von vielen Menschen eine intakte Natur, eine durch Landnutzung gut erhaltene attraktive Kulturlandschaft und eine hohe Lebensqualität als Standortfaktoren zunehmend höher geschätzt würden. Diese „weichen" Standortfaktoren könnten entscheidend dazu beitragen, dass in einer wettbewerbsorientierten, wissensbasierten Wirtschaft ein nachhaltiges Gleichgewicht zwischen städtischem und ländlichem Raum erhalten bleibe beziehungsweise ländliche Regionen sich im Wettbewerb mit städtischen Gebieten behaupten und auch als Standort für neue Unternehmen gewählt würden. Bezüglich einer „Vision der Kommission" über die Zukunft der ländlichen Entwicklungspolitik bis und auch nach 2013 führte Constantinou aus, ein „Wermutstropfen" sei hier das Geld. Unzweifelhaft sei die finanzielle Vorausschau für die Förderperiode 2007 bis 2013 für viele eine Enttäuschung gewesen, da gerade dort gekürzt worden sei, wo sie dachten, dass die Zukunft läge, nämlich in der ländlichen Entwicklungspolitik. Damit aber auch in diesem Bereich die Erwartungen doch noch erfüllt werden könnten, sei es ein großes Anliegen von Agrarkommissarin Mariann Fischer-Boel die obligatorische Modulation anzuheben. Gleichzeitig komme es darauf an, die Gemeinsame Agrarpolitik weiter zu verbessern. Deshalb würden die eingeführten Reformen auch im Rahmen des sogenannten „Gesundheitscheck" auf den Prüfstand gestellt. Dabei sei nicht mit einer „ernstzunehmenden Krankheit" zu rechnen, so Contantinou. Vielmehr solle diese Kontrolluntersuchung lediglich dazu dienen, festzustellen, was getan werden könne, um das allgemeine Wohlbefinden zu erhöhen. Im Klartext bedeute dies, dass die Ziele der Reform von 2003 nicht zur Debatte stünden.

Andere Problemstellungen nach 2013

Grundsätzlich werde die europäische Landwirtschaft nach 2013 mit anderen Problemstellungen konfrontiert sein, führte der Kommissionsbeamte aus. Je nach den Entwicklungen der globalen Nahrungsmittelproduktion, des Energieverbrauchs und des Klimawandels könnten die gestellten Aufgaben zunehmend schwieriger zu lösen sein. Gerade deswegen müsse jetzt eine zukunftsorientierte Politik für die Jahre 2013 bis 2020 entwickelt werden. Er sei zuversichtlich, dass dies gelinge und dass auch die notwenigen Mittel bereitgestellt würden, um mit der Gemeinsamen Agrarpolitik die dafür erforderlichen Rahmenbedingungen setzen zu können, erklärte Constantinou. Dies schließe die Zweite Säule als mittlerweile bewährtes Instrument mit ein. Frau Fischer-Boel sei davon überzeugt, dass vor allem bei den Programmen der Zweiten Säule in den Jahren 2013 bis 2020 „die Musik spielen" werde. Erst die ländliche Entwicklungspolitik habe es ermöglicht, aktiv Landmanagement und Umweltschutz zu betreiben sowie die Qualität des Landlebens zu erhöhen. Gemeinsames Handeln der Akteure im ländlichen Raum zum Nutzen von Natur und hochwertigen Landschaften sei aus seiner Sicht ein klarer Motor für die ländliche Entwicklung, um dessen Förderung die EU-Kommission sich auch in Zukunft bemühen werde, betonte Constantinou.