Konjunktur durch Natur?

Interview der Aachener Stiftung am 14.07.2005

Frage: Von der Natur, von ihren Gesetzen und Organisationsmustern, kann die Wirtschaft Entscheidendes lernen - eine zentrale These aus Ihrem Buch „Konjunktur durch Natur", das Sie zusammen mit Joachim Pfeiffer geschrieben haben. Sie entwickeln darin ein ganzes Bündel von Instrumenten, wie Sie Ressourcen sparen und Beschäftigung fördern wollen. Das zentrale Instrument ist eine marktkonforme Energiesteuer. Worin besteht der Unterschied zur Ökosteuer?
Göppel: Die Energiebesteuerung soll nach unserer Vorstellung am Beginn der Wertschöpfungskette ansetzen, also möglichst bei der Primärenergie. Das ist nur gemeinsam innerhalb des europäischen Marktes zu machen. Bis wir zu einer gemeinsamen, marktorientierten Primärenergiesteuer kommen, bleibt keine andere Wahl, als die Endenergie zu besteuern, obwohl das nach dem ordnungspolitischen Leitbild die zweitbeste Lösung ist.
Frage: Auch wenn Ihre Primärenergiesteuer noch auf sich warten lässt. Wie sieht das konkret aus: an der Tankstelle oder bei der Stromrechnung?
Göppel: Die Primärenergie setzt bei der Einfuhr von Rohöl an. Damit hat sie Auswirkungen auf alle nachfolgenden Verarbeitungsschritte. Entlang der gesamten Wertschöpfungskette tritt ein Zwang zu effektiverer Energieverwertung ein. Bislang besteuern wir am hinteren Ende.
Frage: Sie sprechen von einer aufkommensneutralen Energiesteuer - wo ist die Kompensation? Wo wird die Steuerlast vermindert?
Göppel: Die Änderung der Steuergrundlage darf die Gesamtbelastung nicht erhöhen. Aufkommensneutral heißt, dass alle Steuerzahler gemeinsam nicht mehr belastet werden. Individuell wird es schon Unterschiede geben: Wer Energie effizienter einsetzt, der wird etwas sparen können.
Frage: Ich erinnere noch einmal daran: Sie haben ein ganzes Paket von Instrumenten geschnürt, wobei nicht eines alleine wirkt - es kommt auf den Mix an. Sie wollen z.B. auch den Luftverkehr - anders als heute - der Mineralölsteuer unterziehen. Politisch ein ganz schön harter Brocken.
Göppel: Das ist mir wohl bewusst, denn die Leute haben sich an die Billigflüge gewöhnt und betrachten das als normales Besitztum. Es ist aber nicht normal, dass eine Verkehrsart von Steuern befreit ist, und die anderen -- auf der Straße, der Schiene und auf dem Wasser --Steuern bezahlen müssen.
Frage: Ähnlich wie bei der Energiesteuer ist der Handlungsspielraum auf nationaler Ebene ja ziemlich begrenzt. Wir erinnern uns an die Diskussionen auf europäischer Ebene um Flugtickets und Abgaben.
Göppel: Die europäischen Finanzminister haben jetzt mit der Mini-Lösung eines freiwilligen Zuschlags wenigstens signalisiert, dass da ein Problem ist. Das ist ein kleiner Fortschritt. Wir werden allerdings mit einem freiwilligen Zuschlag zum Flugpreis nicht weit kommen. Der muss obligatorisch werden, um die unterschiedlichen Verkehrsträger im Wettbewerb gleich zu stellen. Ich erinnere auch daran, dass eine Klage der Bahn AG beim europäischen Gerichtshof wegen der Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes anhängig ist.
Frage: Ein weiteres Ihrer Instrumente: die streckenabhängige Nutzungsgebühr für alle Fahrzeuge. Sie soll die Mineralöl- und KFZ-Steuer ersetzen. Wie soll das gehen?
Göppel: Auch nur auf europäischer Ebene. Es geht um die konsequente Anwendung des Verursacherprinzips.
Frage: Noch mal konkret: Wie ist das z.B. bei einem Auto? Kommt da das Mautsystem, wie es jetzt für LKW in Deutschland eingeführt wurde, auch bei PKW zum Tragen?
Göppel: Wir sind davon überzeugt, dass das System, wie es jetzt bei der LKW-Maut vorliegt, langfristig für alle Fahrzeuge eingeführt werden wird. So ist es übrigens auch schon im Umweltprogramm der CSU aus dem Jahr 2003 niedergelegt.
Frage: Sie sprechen auch von Beschäftigungseffekten, die Sie durch Ihr Maßnahmenpaket erzielen wollen. Dazu die Stichworte: Entlastung des Faktors Arbeit und Förderung junger Umweltindustrien. Wo genau sollen diese Beschäftigungseffekte auftreten?
Göppel: Ich nenne ein aktuelles Beispiel, das sich auch im Programm der Union zur Bundestagswahl findet: die Energiesparmaßnahmen in der deutschen Altbausubstanz. Wenn wir mit einem gezielten Anreizprogramm die Eigentümer von alten Häusern animieren, die Wärmedämmung und die Heizungstechnik zu verbessern, dann gibt es Aufträge für das örtliche Bauhandwerk. Gleichzeitig ist das der größte Einzelbeitrag für den Klimaschutz. Für den Bewohner amortisieren sich solche Maßnahmen innerhalb von drei Jahren.
Frage: Aber dafür muss man erst mal Geld in die Hand nehmen, um dieses Programm zu initiieren.
Göppel: Der Deutsche will vom Staat einen Anreiz haben. Nur so kommt das richtig flott ins Laufen. Es gibt eine Berechnung, wonach jährlich 300 000 Menschen im Bauhandwerk beschäftigt werden könnten, wenn es gelänge, 2 % der deutschen Altbausubstanz pro Jahr energetisch zu sanieren. Die Gelder für den Anreiz kämen über mehr Steuereinnahmen schnell wieder herein.
Frage: Das sind also die Beschäftigungseffekte, auf die Sie setzen.
Göppel: Das ist ein aktuelles Beispiel. Andere gibt es bei den erneuerbaren Energien und ihren Exportchancen.
Frage: Ihr Konzept ist sehr grundsätzlich. Wir sprechen von erheblichen Eingriffen, das ist nicht nur ein bisschen Kosmetik. Offen gestanden, ich bin verwundert, aus welcher politischen Ecke das kommt. Sie sind ja Mitglied der CSU und Herr Pfeiffer, Ihr Ko-Autor, der CDU. Überraschend!
Göppel: Wer die Marktwirtschaft und ihren ordnungspolitischen Grundansatz konsequent auf die gegenwärtige Situation anwendet, kommt zu solchen Schlüssen. Es ist logisch und folgerichtig im System, wenn wir die Ressourcennutzung stärker besteuern und dafür Arbeit entlasten, damit wir einen effektiveren und rationelleren Einsatz von Energie und Rohstoffen bekommen. Die große Aufgabe heißt: mehr Wertschöpfung aus weniger Material und Energie. Früher hat die Arbeit eine ganz andere Rolle gespielt. Durch den technischen Fortschritt tritt der Anteil der menschlichen Arbeitskraft immer mehr in den Hintergrund. Darauf muss das Steuersystem reagieren.
Frage: Konzepte sind das Eine, die politische Durchsetzbarkeit ist das andere. Fangen wir mal bei Ihrer eigenen Partei an. Wann könnten Ihre Auffassungen in der Union mehrheitsfähig werden?
Göppel: Auch bei den Finanzpolitikern der Union wächst die Erkenntnis, dass wir uns bei der Besteuerung mehr auf die Ressourcen verlegen und die menschliche Arbeitskraft tendenziell entlasten müssen.
Frage: Im Herbst 2005 werden wir wahrscheinlich eine Bundestagwahl erleben. Die Themen, über die wir hier miteinander sprechen, finden in den politischen Verlautbarungen aber in keiner Weise statt.
Göppel: Das stört mich nicht. Deswegen sind sie trotzdem vorhanden. Man kann Naturgesetze und grundlegende Marktentwicklungen nicht durch politische Rhetorik außer Kraft setzen.
Frage: Auf welche Akteure, Interessengruppen setzen Sie?
Göppel: Die natürlichen Verbündeten eines solchen politischen Ansatzes sind Handwerk und Mittelstand. Sie finanzieren unseren Staat durch ihre höheren Lohnkostenanteile derzeit überproportional. Landwirte bekommen eine zusätzliche Einkommensquelle aus der Biomassenutzung.
Frage: Ein Beispiel bitte!
Göppel: Wer Solarzellen auf dem Dach hat wird zum Freund erneuerbarer Energien. Je mehr Landwirte aus dem Absatz nachwachsender Rohstoffe ein Einkommen erzielen, desto mehr politische Unterstützer gibt es dafür.
Frage: Wie sind Sie persönlich zu diesen Überzeugungen gekommen?
Göppel: Hauptsächlich durch meinen Beruf als Förster. Die grundlegenden Funktionsabläufe der Natur sind für einen Forstmann das A und O. Sie haben auch große Ähnlichkeit mit den Produktzyklen der Wirtschaft. Wenn man das Konkurrenzverhalten in der Natur mit den Wettbewerbsstrategien der Wirtschaft vergleicht, dann gibt es erstaunliche Parallelen. Die Natur kennt zwei Reaktionen auf Konkurrenz: Massenvermehrung und das Besetzen von Nischen. Dabei ist klar, welche Strategie auf Dauer die erfolgreichere ist...
Frage: Was heißt das in Analogie zur Wirtschaft?
Göppel: Auch im Wirtschaftsleben bringt das Eingehen auf individuelle Kundenwünsche, das Besetzen von Nischen und das Angebot kompletter Systemlösungen, die individuell zugeschnitten sind, nachhaltig mehr Erfolg.
Frage: Welche zeitlichen Dimensionen haben Sie mit Ihrem Konzept im Auge?
Göppel: Ich bin davon überzeugt, dass wir noch in diesem Jahrzehnt einen deutlichen politischen Schub in Richtung effizienterer Ressourcennutzung bekommen werden, einfach durch den riesigen Druck, der sich auf Rohstoffe und Energie aufbaut. Die Entwicklung der volkreichen Staaten China, Indien und Brasilien wird politische Antworten erfordern, die darauf abzielen, mit Rohstoffen und Energie sehr viel sparsamer umzugehen als bisher. Das politisch einzufädeln, ohne dass es zu gewaltigen Brüchen kommt, ist das Ziel des Konzeptes von Joachim Pfeiffer und mir.
Frage: Es ist also beides: eine ökologische und eine wirtschaftliche Strategie.
Göppel: Ja. Deswegen habe ich bewusst gemeinsam mit einem Ökonomen dieses Buch geschrieben, um deutlich zu machen, dass die Umweltpolitik alleine keine Mehrheiten bekommt und die Wirtschaftpolitik für sich alleine scheitert - wenn sie nicht auf Naturgesetze eingeht und sie berücksichtigt.