Konjunktur durch Natur - Vor dem Praxistest?

Rundbrief des Forums Umwelt & Entwicklung Mai 2005

Von Jürgen Maier
Buchrezension
Die überraschend angesetzten vorgezogenen Bundestagswahlen haben einem kompakten kleinen Buch zu einer drastisch erhöhten Aktualität verholfen, das Anfang des Jahres im R. Mankau-Verlag erschienen ist. Der CSU-Bundestagsabgeordnete Josef Göppel und der CDU-Bundestagsabgeordnete Joachim Pfeiffer zeichnen gemeinsam als Autoren von »Konjunktur durch Natur – Wege zu mehr Beschäftigung mit marktwirtschaftlicher Umweltvorsorge«. »Zwei Bundestagsabgeordnete, ein Umweltpolitiker und ein Wirtschaftsfachmann, legen ein gemeinsames Politikkonzept zum Brückenschlag zwischen Ökologie und Ökonomie vor«, so der Umschlagtext des Verlags. Genau das täte ja dringend not. Angesichts der haaresträubenden Parolen, wie sie in letzter Zeit aus dem Wirtschafts- und aus dem Verkehrsministerium sowie aus dem NRW-Landtagswahlkampf zu hören waren und die genau einen solchen Gegensatz behaupten, also ein spannender Ansatz.
Vorab: wer das Buch liest, stellt gleich fest, dass hier keineswegs nur Privatmeinungen zum Besten gegeben werden. Das Buch beansprucht, für die Unionsparteien zu sprechen. Die Autoren stellen im Vorwort fest, die Reformdebatte in Deutschland beschränke sich fast ausschließlich auf das Verhältnis von Wirtschafts- und Sozialpolitik, während die Verknüpfung von Wirtschaft und Umweltvorsorge nahezu ausgeblendet bleibe. Dem kann man kaum widersprechen, und dass das so ist, liegt wohl zu einem erheblichen Teil daran, dass unter den diese Debatte bestimmenden Akteuren Wirtschaft, Gewerkschaften sowie den beiden großen Parteien es kaum Leute gibt, die den Versuch unternehmen, das zu ändern.
Auch in den deutschen Medien werden die wirtschaftlichen Chancen aus einem Strukturwandel hin zu nachhaltiger Entwicklung  mit einer Hartnäckigkeit verdrängt und ignoriert, die ihresgleichen sucht - obwohl Traditionsindustrien seit Jahren nur durch Arbeitsplatzabbau und Steuerflucht von sich reden machen und erneuerbare Energien und ökologische Landwirtschaft Zukunftsbranchen und Jobmotoren sind, die seit Jahren boomen.
Göppel und Pfeiffer brechen aus diesem lähmenden, stupiden Diskurs aus. Prämissen ihres »Ansatzes für eine Symbiose zwischen Ökonomie und Ökologie« sind: Marktkonformität, Priorität für kosteneffiziente Maßnahmen,Wahrung der internationalen und europäischen Wettbewerbsfähigkeit, ökologische Wirksamkeit und Anreize im Arbeitsmarkt. Sie verweisen auf die enormen externen Kosten, die die Übernutzung der natürlichen Ressourcen verursacht und die künftigen Generationen oder der Allgemeinheit angelastet werden, und fordern vor diesem Hintergrund eine »Änderung der staatlich gesetzten Rahmenbedingungen«. Das erfolgreiche Konzept der Sozialen Marktwirtschaft müsse nun um die Umweltvorsorge ergänzt werden. Dreh- und Angelpunkt sei die richtige Rahmensetzung durch den Staat. Wie diese allerdings aussehen soll, wird eher allgemein ausgeführt – die Politik müsse die externen Umweltkosten internalisieren und dadurch eine Effizienzrevolution auslösen. Der Faktor Arbeit müsse vom Kostendruck entlastet werden und dadurch jungen Industrien zum Durchbruch verholfen werden.
Nun wird natürlich der Leser gleich daran denken, so neu ist das ja alles nicht. Auch Klaus Töpfer hat das schon Anfang der 90er Jahre im Umfeld der Rio-Konferenz versucht – und als es ernst wurde, wurde er von Kanzler Kohl auf das Bauministerium abgeschoben. Und was haben die Unionsparteien in der Opposition nicht alles an vernünftigen Ideen bekämpft, nur weil es von der rot-grünen Regierung vorgeschlagen wurde. Wenn etwa Göppel und Pfeiffer nun »anstelle der heutigen Ökosteuer eine aufkommens- und wettbewerbsneutrale Energiesteuer« fordern,versteht wohl nur der Partei-Insider, was eigentlich dagegen gesprochen hat, darüber mit Rot-Grün ernsthaft zu verhandeln statt populistische Kampagnen gegen das Energiesteuerprinzip als solches zu fahren.
Auch Göppels und Pfeiffers Vorschläge für die Streichung oder Kürzung umweltschädigender Subventionen, von den Steinkohlesubventionen über die Steuerbefreiung des Luftverkehrs, sind schon so oft auf die politische Tagesordnung gesetzt worden, dass sich der Leser fragt, warum das nicht schon längst umgesetzt worden ist. Angesichts der seit neuestem wieder aufkeimenden Versuche, Arbeitsplätze durch Autobahnbau zu schaffen, ist es fast schon politischer Pioniergeist, wenn Göppel und Pfeiffer eine streckenabhängige Maut für alle Fahrzeuge fordern, die »im wesentlichen« den Substanzerhalt des Straßennetzes sichern soll. Wird eine CDU/CSU-geführte Bundesregierung nun die geplanten Verkehrswegebeschleunigungsgesetze des Verkehrsministeriums und die Autobahn-Ausbaupläne kippen? Was wird die Bild-Zeitung sagen, wenn Göppels und Pfeiffers Rechnung aufgeht, wonach die Verteuerung der Flugreisen ca. 20.000 Arbeitsplätze in der einheimischen Tourismusbranche schaffen soll? Das wäre doch Urlaubssteuer, Ökodiktatur, Kommunismus – die Schlagzeilen kennen wir noch zur Genüge. Wird der BDI den Untergang der deutschen Wirtschaft an die Wand malen, wenn Göppel und Pfeiffer durch » die Verteuerung der Transportkosten über große Distanzen regionale Wirtschaftskreisläufe stärken« wollen und so den Abfluss von Wertschöpfung aus dem ländlichen Raum stoppen wollen? Alles gute und sinnvolle Vorschläge,die bisher vor allem von denen erbittert bekämpft wurden, die heute am lautesten über die hohen Arbeitslosenzahlen schreien.
Weniger mutig sind allerdings die Aussagen zu erneuerbaren Energien. Auch wenn ihr ökologisches und ökonomisches Potenzial eindeutig in positiven Farben geschildert wird und die Autoren stolz darauf verweisen, das überaus erfolgreiche Stromeinspeisegesetz sei schließlich 1991 unter einer Unionsregierung eingeführt worden, fordern die Autoren doch, dieses erfolgreiche Prinzip, das in immer mehr Ländern und jetzt auch im Wirtschaftswunderland China übernommen wird, bei der Windenergie außer Kraft zu setzen und durch die erwiesenermaßen erfolglosen Ausschreibungs- und Zertifikatemodelle zu ersetzen. Was das bringt, kann man in Großbritannien sehr gut sehen – trotz optimaler Windbedingungen hat das Land wegen dieses ineffizienten Systems nur einen lächerlichen Bruchteil der deutschen Windenergiekapazität installiert. Die erneuerbaren Energien sind bei Göppel und Pfeiffer fest eingeplant, wenn es darum geht, durch eine »ökologische Umsteuerung Beschäftigung in erheblichem Umfang« zu schaffen. Da kann man nur raten, beim bewährten Prinzip des Stromeinspeisegesetzes zu bleiben, auch wenn die Stromkonzerne das noch so sehr attackieren. Eon, RWE & Co sind schließlich in erster Linie beim Arbeitsplatz-Abbau kompetente Ratgeber, aber nicht beim Arbeitsplatz-Aufbau in mittelständischen Betrieben.
Bemerkenswert ist das Kapitel zu der internationalen Verantwortung. Die Autoren schlagen vor, die »internationalen Organisationen für Umwelt und Soziales mit denselben Sanktionsmechanismen auszustatten wie die Welthandelsorganisation«, und internationale Finanzierungsinstrumente wie die Tobin-Steuer für die Entwicklungszusammenarbeit einzuführen. Das waren bisher Positionen, die nicht gerade unter dem Etikett »regierungsfähig« liefen – ich bin gespannt, was davon in einem Jahr noch übrig ist.
Alles in allem ein lesenswertes Buch, auch wenn zu vermuten ist, dass es nicht direkt Regierungsprogramm der Union werden wird. Aber es ist ein wichtiger Beitrag dazu, den Gedanken der Nachhaltigen Entwicklung wieder parteiübergreifend zum Leitbild zu machen. Mit zunehmender Entfernung von Rio hat dieser Gedanke doch in der praktischen Politik sehr gelitten, darüber können auch alle Nachhaltigkeitsstrategien und Nachhaltigkeitsräte nicht hinwegtäuschen. Dennoch bleibt ein schaler Nachgeschmack zurück: das meiste von Göppels und Pfeiffers Vorschlägen könnten auch viele Abgeordnete aus SPD und Grünen unterschreiben. Doch wenn es an die Umsetzung geht, schlägt meist auf allen Seiten die Fraktionsdisziplin voll durch, und man stimmt lieber mit den fossilen Dinosauriern aus der eigenen Partei gegen zukunftsfähige Vorschläge aus einer anderen Partei. Nicht zufällig erlangte das bereits zitierte Stromeinspeisegesetz 1991 nur deshalb Gesetzeskraft, weil sich eine Gruppe von mutigen Abgeordneten aus Regierung und Opposition an den eigenen Fraktionsführungen und der Regierung vorbei zusammentaten und irgendwann einfach nicht mehr zu stoppen waren. Vielleicht gehört auch so etwas zu einer zukunftsfähigen Politik … aber das ist ein anderes Thema.