Weltklimakonferenz in Buenos Aires 2004

Ein politischer Reisebericht von Josef Göppel MdB

Montag, 13. Dezember

Wir starten um 22.30 Uhr in Frankfurt. Im Flugzeug sitzen auch Jürgen Trittin und Klaus Töpfer, früherer deutscher Umweltminister und jetzt Direktor des Umweltprogramms der Vereinten Nationen. Er berichtet, was sich in einzelnen Ländern tut. Selten bietet sich die Gelegenheit, so ausführlich und ohne Termindruck Hintergründe und Zusammenhänge erklärt zu bekommen.

Dienstag, 14. Dezember

Richtig schlafen kann man in einem Flugzeugsitz nicht. Die Zeit kriecht dahin. Erst der Sonnenaufgang weckt die Lebensgeister wieder. Aus dem Fenster sehe ich die Seitenflüsse des Amazonas. Einen scharfen Kontrast zu diesem vielfach verschlungenen Adersystem bilden die rechteckig in den Wald gehauenen braunen Rodungsflächen. Sie sind an kerzengeraden Schneisen aufgereiht. Später über Argentienien setzt sich die streng rechtwinklige Form der Äcker und auch der Stadtgrundrisse fort. Wiesen und Steppenwälder sind jetzt zu Beginn des Sommers auf der Südhalbkugel noch kräftig grün. Der Rio de la Plata, an dessen Südufer Buenos Aires liegt, taucht auf. Schon von Ferne wirkt er eher wie ein Meeresarm. An seiner Mündung ist er 40 Kilometer breit. Die wuchernde Stadt Buenos Aires hat bereits einen Durchmesser von 70 Kilometern, 13 Millionen Menschen leben hier.

Wir landen pünktlich um 8.20 Uhr Ortszeit. In Mitteleuropa ist es jetzt bereits 12.20 Uhr. Beim Verlassen des Flughafengebäudes schlägt mir feuchtheiße Gewächshausluft entgegen. Schon während der Autofahrt in die Innenstadt erfolgt eine erste Information durch den deutschen Botschafter. Um 12.30 Uhr ist die Lagebesprechung der deutschen Delegation angesetzt. Die Klimakonferenz selbst findet in den Ausstellungshallen der Stadt Buenos Aires statt. Die Arbeitsbedingungen sind nicht gut. Jedes Wort wird vom Gebläse der Ventilatoren übertönt. Die Konferenzsprache ist Englisch. Übersetzungen gibt es nur in Spanisch, Französisch, Russisch, Arabisch, Chinesisch und Japanisch. Deutsch ist nicht dabei.

Jedes Land hat im großen Konferenzsaal zwei Sitzplätze; Sankt Lucia, Kommoren oder Mauritius genau so wie die USA. Das schafft eine Atmosphäre des Respekts und der Gleichberechtigung. Das Schild Germany findet sich zwischen Georgia und Ghana. Rund zwei Stunden dauert diese Arbeitssitzung. Es geht um die weiteren Schritte zum weltweiten Klimaschutz nach der Unterzeichnung des Abkommens durch Russland. Immer wieder melden sich die Verhandlungsführer von Saudi Arabien und USA zu Wort. Die Ölförderländer haben Angst, dass die Nachfrage nach Erdöl sinkt, wenn das Energiesparen um sich greift. Gegenargumente aus den Niederlanden, Norwegen, Südafrika und Brasilien, dass die Vorräte dann länger anhielten und ihr Wohlstand von größerer Dauer sei, finden kein Gehör. Die USA wollen sich auf keinerlei Begrenzungen festlegen lassen. China und Indien suchen dagegen ihre wirtschaftliche Entwicklung möglichst schnell vom Schadstoffausstoß abzukoppeln. Die chinesische „Kommission für Entwicklung und Reform“ gibt dafür ein forsches Tempo vor.

Außerhalb der offiziellen Sitzungen finden so genannte bilaterale Gespräche der deutschen Delegation mit anderen Staaten statt. Sie werden alle ohne Übersetzung in Englisch geführt. Beim Treffen mit den Indern kommt mein Schulenglisch an seine Grenzen. Der indische Staatssekretär spricht sehr leise. Seine Worte werden vom Gebrumm der Klimaanlage überlagert. Für die Konversation unter solchen Bedingungen bräuchte man mehr Sprachpraxis.

Mittwoch, 15. Dezember

Am Morgen strahlend blauer Himmel. Binnen kurzem ziehen Wolken auf und mit einigen Donnerschlägen fällt warmer Regen. Um 8.00 Uhr die allmorgendliche Lagebesprechung. Unmittelbar danach bin ich mit Minister Trittin zum bilateralen Gespräch bei der amerikanischen Delegation. Um 10.00 Uhr eröffnet der argentinische Staatspräsident Néstor Kirchner die entscheidende Schlussphase der Konferenz. Klaus Töpfer spricht für die Vereinten Nationen. Der Mann genießt weltweites Vertrauen und ist überall ein begehrter Gesprächspartner. Hier wirkt es geradezu absurd, dass ein Teil der Unionspolitiker ihn und seine Ideen als etwas sonderlich abdrängen wollen.

Als die stellvertretende amerikanische Außenministerin Paula Dobriansky ihre Rede beginnt, herrscht Spannung im Saal. Es kommt aber nichts Neues. Der Beifall für sie ist so demonstrativ spärlich, dass sich niemand mehr über die Gesamtstimmung täuschen kann. Die Amerikaner sind inzwischen wirklich isoliert, aber alle bemühen sich, ihnen Brücken zu bauen.

Gedanken über den Wert solcher Konferenzen kommen mir in den Sinn. Das Ergebnis ist oft mager und Fortschritte gibt es – wenn überhaupt – nur millimeterweise. Auf der anderen Seite ist es ein beeindruckendes Erlebnis, Vertreter aller 189 Staaten der Erde in einem Raum versammelt zu sehen. Es wachsen dadurch viele persönliche Bekanntschaften und es entsteht unübersehbar eine Art Weltgemeinschaftssinn. Es ist so ähnlich wie bei Städtepartnerschaften. Wer sich gegenseitig kennt,versteht sich besser und nur so lassen sich Vorurteile abbauen.

Nach der Plenarsitzung folgen sofort wieder Einzelgespräche. Das Treffen mit den Kanadiern verläuft hoffnungsvoll. 10 Bundesstaaten an der Ostküste der USA wollen gemeinsam mit Kanada ein Emissionshandelssystem nach europäischem Muster aufbauen. Dabei geht es auch um wirtschaftliche Perspektiven. Immer mehr amerikanische Firmen befürchten, dass sie bei dem Geschäft mit besseren Energietechniken ins Hintertreffen geraten könnten. Ein Alarmsignal ist für sie die neue chinesische Verordnung zur Einführung von Spritverbrauchsgrenzen. Amerikanische Hersteller müssen einen großen Teil ihrer Motoren anpassen, um weiterhin auf dem chinesischen Markt verkaufen zu können.

Dazu passt am Spätnachmittag eine Diskussionsrunde mit dem Titel „Carbon down – profits up“. Politiker und Unternehmer aus verschiedenen Erdteilen zeigen Beispiele, wie der Klimaschutz die Kosten senkt, die Wettbewerbsfähigkeit steigert und neue Arbeitsplätze in jungen Märkten schafft. Der Saal ist überfüllt. Mit dabei ist wieder der kanadische Umweltminister Stéphan Dion. Auch der Umweltminister Bayerns, Werner Schnappauf ist einer der Referenten. Sein Bericht führt zu staunenden Nachfragen. Kann eine Region wirtschaftlich stark und gleichzeitig im Umweltschutz führend sein? Sie kann es, beweist Schnappauf mit Zahlen.
Der neue europäische Umweltkommissar Stavros Dimas stellt anschließend seinen Vorstoß zur Einbeziehung des Flugverkehrs in das Emissionshandelssystem vor. An der Kostenwahrheit im Flugverkehr führe kein Weg vorbei sagt er. Bei Erhebung einer Kerosinsteuer sei in Europa Einstimmigkeit nötig, deswegen bevorzuge er die mit einfacher Mehrheit durchsetzbare Einbeziehung in den Emissionshandel.
Für mich ist der politische Tag nun zu Ende. Aus dem offiziellen Abendprogramm klinke ich mich aus und schlendere durch die Stadt. In einem Park mit großen alten Platanen und Edelkastanien höre ich die Abendstimmen der Vögel, einen Pirol, eine Singdrossel.

Nach vielen weichlappigen Weißbrotscheiben im Konferenzzentrum bekomme ich in einer kleinen Gaststätte endlich ein richtiges argentinisches Essen – Steak natürlich. Am Schluss zahle ich einschließlich der Getränke und eines ordentlichen Trinkgeldes umgerechnet 9 Euro. Drei argentinische Pesos entsprechen einem US-Dollar und der kostet dem reisenden Europäer derzeit nur 70 Cent.

Die Leute in den Hauptgeschäftsstraßen sind gekleidet wie das Publikum in einer deutschen Fußgängerzone. Sie wirken allerdings weniger gehetzt und man sieht mehr lachende Gesichter. In schmalen Nebenstraßen dagegen ein völlig anderes Bild. Haufenweise liegen schwarze Plastikmüllsäcke vor den Türen. Die Müllabfuhr ist unterwegs. Plötzlich fällt mir auf, dass sich die Müllhaufen bewegen. Kleine Jungen sitzen mitten drin und durchsuchen alle Säcke nach etwas Verwertbarem. 46 % der Argentinier leben nach offiziellen Regierungsangaben unterhalb der Armutsgrenze!

Das Kreuz des Südens kann ich am Himmel leider nicht ausmachen. Der Schein der Stadt überlagert die Sterne.

Donnerstag, 16. Dezember

Um 8.00 Uhr letzte Lagebesprechung der deutschen Delegation, um 11.30 Uhr Abflug nach Sao Paulo in Brasilien. Beim Start zeigt sich deutlich die Smogdecke über der Stadt. Es ist eine rotbraune, waagerechte Sperrschicht. Darüber ist der Himmel blau.

Beim Anflug zur Zwischenlandung in Sao Paulo erschrecke ich. Über Hügel und Täler hinweg ergießen sich Häuser ins Binnenland. Kaum ein Baum ist dort noch zu sehen. Mit 21 Millionen Menschen ist Sao Paulo der drittgrößte Ballungsraum der Erde. Bis 2020 wird die Hälfte der Menschheit in Großstädten leben. Gelingt es, solche Zusammenballungen noch menschen- und naturverträglich zu steuern?

Der Weiterflug nach Frankfurt führt nahe der Küste nach Nordosten. Schon von Ferne sehe ich Rauch aus den Wäldern aufsteigen. Ein Gebirgszug nördlich von Sao Paulo ist von weißen Flecken überzogen, die so blank wie ausgebleichte Knochen wirken. Dort wurde der gesamte Boden nach der Rodung abgeschwemmt. Kein Wunder, dass die Flüsse rot oder gelb sind - je nach der Färbung des Bodens der Gegend. Ich sehe aber auch noch viel intaktes Land, Mosaike aus Wäldern, Äckern und Wiesen mit vielen einzelnen Gehöften drin. Das deutet auf funktionierende, ländliche Wirtschaftssysteme hin. Den Menschen auch auf dem Land eine Zukunftsperspektive zu geben, ist eine zentrale Aufgabe in Entwicklungsländern.

Bei der Stadt Recife verlassen wir Südamerika und fliegen auf die Kapverdischen Inseln vor Afrika zu.

Freitag, 17. Dezember

Um 6.00 Uhr Landung in Frankfurt und sofort Weiterflug nach Berlin. Um 9.00 Uhr beginnt dort die Bundestagssitzung mit namentlichen Abstimmungen. Sowohl Trittin als auch ich haben absolute Präsenzpflicht.
Tief atme ich am Flughafen Tegel die klare Winterluft ein. In Deutschland ist es doch schöner!

Artikel vom: 04.01.2005 15:35