Was ist Lebensqualität?

Gedanken zur sozialen Lage

Berlin, 25. Februar 2011 - Auch wenn Deutschland im Vergleich zu anderen Staaten die Wirtschaftskrise gut bewältigt, spüren immer mehr Menschen, dass sich Lebensqualität und Wirtschaftswachstum in den vergangenen 20 Jahren auseinander entwickelt haben. Die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich ist die materielle Seite dieser Entwicklung. Der schrankenlose Wettbewerb hat dazu geführt, dass der untere Rand der Gesellschaft immer breiter wird. Die Mittelschicht wird dagegen schmäler. Nach einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung leben 11,5 Millionen Bundesbürger an der Armutsgrenze. Die Zahl der Leiharbeiter  hat sich in den vergangenen 10 Jahren auf 600 000 verdoppelt. 1,4 Millionen Arbeitnehmer erhalten vom Staat zusätzliche Unterstützung, weil sie nicht genug für den Unterhalt ihrer Familie verdienen. Diese Menschen sorgen sich nicht nur um ihr Auskommen, sie stehen täglich so unter Druck, dass sie kaum Möglichkeiten zur Zukunftsplanung haben. 

Solche Zahlen belegen, warum selbst bei guten Wachstumsdaten Angst vor sozialem Abstieg besteht. Diese Angst ist die Quelle eines stetig steigenden Leistungsdrucks und strahlt in alle Lebensbereiche aus. Flexibilität am Arbeitsplatz, Erreichbarkeit auch am Abend und am Wochenende sind selbstverständlich geworden. Darf die Erziehung von Kindern, die Pflege der Eltern und ehrenamtliches Engagement nur Nebensache sein? Schon auf unseren Kindern lastet die der Druck zu besten schulischen Ergebnissen, um in der Leistungsgesellschaft bestehen zu können. 

Wie ist es in der Natur? Überlebt dort nicht auch der Starke? Nein, das wichtigste Überlebensprinzip in der Natur ist die Nischenbildung. Die natürliche Ordnung ist darauf gerichtet, innerhalb der Lebensraumgrenzen allen Lebewesen Raum zu geben: Es ist ein sich ergänzendes Miteinander. Das Leben ist in Zellen organisiert, die in sich selbständig sind und dabei in engem Austausch mit der Umwelt stehen. Man kann es mit einem Netz vergleichen, dass eng geknüpft ist und sich gerade deshalb erstaunlich stabil gegen Störungen zeigt.

Übertragen auf das Wirtschaftsleben sind das regionale Kreisläufe. Sie stehen nicht im Gegensatz zur internationalen Verflechtung, sondern sind vielmehr die Voraussetzung, dass Krisen nicht gleich zu einem Flächenbrand führen. Die ZEIT beschreibt in einer aktuellen Serie Überlebenskünstler, Unternehmen, die bisher jede Krise überstanden haben. Deren Erfolgsrezept: Schneller an den Wandel anpassen als die Konkurrenz. Das können Kleine besser. Interessanterweise erklärt sich die gute deutsche Konjunktur aus Sicht des Wirtschaftsexperten Hans-Werner Sinn auch durch eine starke inländische Nachfrage nach Investitionsgütern. Es fließe durch die krisenbedingte Unsicherheit weniger Kapital ab und werde deshalb in der Realwirtschaft im Inland investiert.

Antworten kann auch eine Rückbesinnung auf die Grundsätze der Sozialen Marktwirtschaft geben. Sie setzt auf starke staatliche Rahmenbedingungen, die einen fairen Wettbewerb ermöglichen. Die Vordenker der Sozialen Marktwirtschaft hatten große Sorge vor wirtschaftlicher Machtkonzentration. Sie setzten deshalb auf ein starkes Kartellrecht und eine breite Eigentumsstreuung. Konkret heißt das, dass die Politik gezielt kleine und mittlere Unternehmen fördern muss, die regional verankert sind und Arbeitsplätze mit Perspektive bieten. Der Staat hat außerdem die Verantwortung, die Schwächsten am Arbeitsmarkt zu schützen. Dazu gehören Mindestlöhne.

Spekulation an den Finanzmärkten muss so weit eingedämmt werden, dass das Kapital der Realwirtschaft dient und nicht umgekehrt. Eine Finanztransaktionssteuer ist dafür das geeignete Instrument. Sie eröffnet dem Staat außerdem die Möglichkeit, sich weniger durch die Belastung des Faktors Arbeit zu finanzieren.

Gute Ansätze, wie Eltern- und Pflegezeit müssen ausgebaut werden. Erziehung und Pflege sind Leistungen, die von der Gesellschaft auch finanziell anerkannt werden müssen. Zeit für den Nächsten gehört zu einem gelungenen Leben.  Anders kann unsere Gesellschaft nicht dauerhaft bestehen.

Artikel vom: 25.02.2011 13:06