Leben und leben lassen im Strommarkt 2.0: Große und kleine Erzeuger gemeinsam

Podiumsdiskussion der Kompetenzinitiative ENERGIEregion Nürnberg e.V. im Energie Campus Nürnberg

Nürnberg, 22. Juni 2015 - Über den künftigen „Strommarkt 2.0“ diskutierten Fachleute und rund 70 Besucher im Energie Campus Nürnberg EnCN. Veranstalter war die Kompetenzinitiative ENERGIEregion Nürnberg e.V..

In einen nachhaltigen Strommarkt, der trotzdem noch bezahlbar ist, müssen die fluktuierenden Erneuerbaren Energien eingebunden werden. Denn nur, wenn diese Herausforderung gelöst werde, sei der Wirtschaftsstandort Deutschland für die Zukunft sicher zu gestalten, meint Nürnbergs Wirtschaftsreferent Dr. Michael Fraas.

Voll des Lobes ist Fraas als Vorstandsvorsitzender der ENERGIEregion Nürnberg e.V. dabei für Josef Göppel. Der habe als Politiker „seine Meinung zu Energiefragen nicht ändern müssen, seit ich ihn kenne. Das ist in der heutigen Zeit nicht normal“, erklärt der heutige Nürnberger Wirtschaftschef und frühere Mitarbeiter des Bundeswirtschaftsministeriums. Der Ansbacher CSU-Bundestagsabgeordnete Göppel, gelernter Förster, setzt sich „für eine Energiewende in den Rhythmen der Natur“ ein, also für regionale Energiekreisläufe. Und das nicht erst, seit er den CSU-Arbeitskreis Umwelt leitet.

Inzwischen sieht sich Josef Göppel darin sogar von Papst Franziskus bestätigt. In dessen „Umweltenzyklika“ stehe: „Auch die Ärmsten sollen teilhaben an Energie.“ Nach Göppels Worten könne unser deutschlandweit eng verästeltes Stromnetz dafür kein Beispiel sein, sondern sowohl hier als auch in Afrika müsste das Energieversorgungssystem nach dem Vorbild der Natur zellenförmig aufgebaut werden. Die kleinen und mittleren Kraft-werke werden auf regionaler Ebene verknüpft, zusätzlicher Bedarf werde überregional ausgeglichen.

In seiner Studie „Der Zellulare Ansatz“ vertritt auch der Elektrotechnikverband VDE dieses Konzept. CSU-MdB Göppel zieht deshalb nun auch diese neutrale Quelle heran, um für seine Ideen eines Energie-Stadt-Land-Verbunds in Mittelfranken zu werben. Denn noch trifft er mit seiner Vorstellung, bei der in etwa die Hälfte der Erzeugung in den Händen vieler dezentraler Energieproduzenten bleiben soll, auf viel „Gegenwehr der alten, zentral organisierten Strukturen“, sprich: Die großen Energiekonzerne haben Angst, Marktanteile zu verlieren. Aber auch bei den Verbrauchern bemerkt Josef Göppel Skepsis: „Früher hat man einfach Strom verbraucht und brauchte sich um nichts zu kümmern, das ist in den Köpfen noch drin. Doch sich nach Stromanbietern und zeitlich verändernden Angeboten zu richten, ist etwas ganz Neues.“

Prof. Dr. Veronika Grimm merkt dazu an, dass der Strommarkt auf die Veränderungen im System „schlecht vorbereitet“ ist. Der setze nämlich nicht die richtigen Impulse für Erzeuger und Verbraucher, meint die Leiterin des am EnCN angesiedelten Lehrstuhls für Volkswirtschaftslehre mit Schwerpunkt Wirtschaftstheorie der FAU Erlangen-Nürnberg und Mitglied der Expertenkommission der Bundesregierung zum Thema "Stärkung von Investitionen in Deutschland". Doch nun müsse sich der Strommarkt an der fluktuierenden Erzeugung von Wind- oder Sonnenkraftwerken orientieren. Damit auch bei flexibler Stromerzeugung neue Geschäftsmodelle Geld erwirtschaften können, müssten regionale und zentrale Strukturen sinnvoll kombiniert werden. Dennoch dürfe man nicht für jedes Einzelproblem eine neue Lösung suchen. Das befeuere nur die Bürokratie. Auch Kapazitätsmärkte seien keine sinnvolle Lösung. Stattdessen favorisiert Prof. Grimm „regionale Preiskomponenten. Die könnten die Systemveränderungen sinnvoll steuern.“
Doch wie sollen diese Änderungen konkret ablaufen? Auch Gunnar Braun hat darauf keine einfache Antwort. Der Geschäftsführer für Bayern des „Verbands Kommunaler Unternehmen“ VKU berichtet von wegbrechenden Märkten seiner Mitgliedsfirmen, meist Stadtwerke: „Energieintensive Unternehmen zieht es in Richtung Wasserkraft, zum Beispiel nach Kanada“ mit niedrigsten Strompreisen. Weshalb er für die Stromerzeugung hierzulande zwei Alternativen sieht: „Entweder die Investitionskosten in Erneuerbare Energien gehen runter, oder die Verteilnetze als Teil des Gesamtsystems werden optimal betrieben.“ So müssten Speicher für überschüssigen Ökostrom oder zur Netzstabilisierung von der EEG-Umlage entlastet, also „nicht mehr als Endabnehmer behandelt“ werden. Eines vieler Beispiele, für die Braun „eine politische Gesamtlösung“ fordert, die aber alleine zwischen Berlin und München zurzeit nicht erkennbar sei.

Industrie zum Mitmachen bereit

Auch Dr. Ronald Künneth vom Geschäftsbereich Innovation & Umwelt der IHK Nürnberg für Mittelfranken hat „kein Patentrezept“ dabei. Der Energiefachmann sieht sich als „Anwalt für die regionale Wirtschaft“. Die werde immer heterogener. Immerhin sind neben gut 100 Stadt- und Gemeindewerken viele Tausend Stromerzeuger Mitglieder der IHK. Doch daneben gebe es eben auch zahlreiche Firmen, die über zunehmende Produktionsaus-fälle wegen kurzzeitiger Stromausfälle klagen. Dr. Künneth fordert deshalb: Erneuerbare Energien müssten „in den Markt integriert werden“. Dafür seien „intelligente Netze“ und die „Digitalisierung des Energiesystems“ notwendig. Denn „Flexibilität und Intelligenz sind die Problemlöser der Energiewende“, ist sich Ronald Künneth sicher. Und auch in den Industriefirmen gebe es „noch nicht gehobenes Potenzial. Nicht nur in Gießereien oder Kühlhäusern, auch in der Fertigungstechnik sind Lastverschiebungen möglich, zum Beispiel durch die Änderung der Produktionsreihenfolge. Die Rahmenbedingen müssen freilich passen.“

„Aber warum ist der Markt noch starr? Wo kann ich anpacken? Wie Anreize für ein systemintegriertes Management und die Flexibilisierung schaffen?“, fragt deshalb Dr. Jens Hauch, der Moderator und Geschäftsführer von ENERGIEregion und EnCN. Einen Ansatz liefert dazu CSU-Mann Josef Göppel: „Es geht nicht um 100 Prozent Dezentralität, sondern um leben und leben lassen, um eine gute Mischung. 50 Prozent der Erneuerbaren erzeugen Bürger und Kleinindustrie dezentral, die zweite Hälfte kommt von den Großen. So ist ein überregionaler Ausgleich möglich, damit die Versorgung auch nicht für Millisekunden unterbrochen wird.“

Doch das ist nur ein Teil der Energiewende-Diskussion; die sei noch lange nicht zu Ende, sagen alle Beteiligten. Dabei wollen die Vorsitzenden der Berliner Koalitionsparteien noch vor der Sommerpause dazu ihr „Weißbuch“ beschließen. Darin soll wohl auch eine Änderung der EEG-Umlage für das Ein- und Ausspeichern von Strom stehen. Denn „dass man dafür zahlen muss, das schreit zum Himmel“, nimmt Josef Göppel drastische Worte in den Mund.

Quelle: Kompetenzinitiative Energieregion Nürnberg e.V.

Artikel vom: 30.06.2015 15:34