Internationales Netzwerk zur naturverträglichen Landnutzung gegründet

Der 70-jährige Reisbauer Shunji Koyama erklärt dem Gast aus Deutschland das Prinzip Satoyama: Landnutzung in Harmonie mit der Natur. Der Hangwald im Hintergrund besteht aus Lebensbäumen und Japanischen Sicheltannen.

Der 70-jährige Reisbauer Shunji Koyama erklärt dem Gast aus Deutschland das Prinzip Satoyama: Landnutzung in Harmonie mit der Natur. Der Hangwald im Hintergrund besteht aus Lebensbäumen und Japanischen Sicheltannen.

Bericht über die Konferenz für biologische Vielfalt in Nagoya, Japan

Den vollständigen Bericht mit Bildern finden Sie hier.

Hier finden Sie ein Video von der Satoyama-Gründung

Nagoya, 23. Oktober 2010 - Der erste Blick auf Japan aus dem Flugzeug überrascht. Bewaldete Berge steigen fast unmittelbar aus dem Meer auf. Nur ein schmaler Küstenstreifen ist besiedelt. Morgennebel liegt in den Tälern. Ich sehe Stauseen, Stromleitungen über die Berge und Straßen in engen Tälern. Erst später erfahre ich, dass die großen Städte aus klimatischen Gründen an der Ostküste zum Pazifik hin liegen. Als wir dort ankommen, spüre ich, welch große Leistung es ist, auf so engem Raum eine funktionierende Zivilisation für 127 Millionen Menschen aufzubauen. Alles wirkt straff, konzentriert, auf Funktionieren bedacht.

Die Konferenz zur biologischen Vielfalt wirkt fachbezogener als die Klimakonferenzen. Tausende von Gleichgesinnten inspirieren. Trotzdem gibt es handfeste Interessensunterschiede. Länder mit großem Naturreichtum wollen einen Anteil an der wirtschaftlichen Verwertung von Pflanzen, Tieren und Mikroorganismen. Das betrifft Medikamente, Kosmetikartikel, aber auch Fruchtgetränke und fermentierte Nahrungsmittel. Die größte japanische Zeitung schrieb zur Konferenzmitte: „Viele Menschen leben unter der Illusion, dass die Artenvielfalt unbedeutend für die globale Wirtschaft ist“. Die Konferenz bringe diesen Faktor nun in die ökonomische Kalkulation ein. Gleichzeitig warnt der Sprecher der pharmazeutischen Industrie in Japan, Yuje Watanabe, vor „überstürzten Kompromissen“. Bei der Verwirklichung des von Entwicklungsländern verlangten Vorteilsausgleiches für die Verwertung genetischer Ressourcen „würde es unmöglich, Wirtschaft zu betreiben“. Mein Eindruck in den Debatten war, dass die Länder des Südens hier nicht nachgeben werden. Sie sehen darin die einzige Möglichkeit, zu einer gerechteren Weltwirtschaft zu kommen, nachdem Zahlungen aus dem CO2-Handel auf sich warten lassen. Das  Verhandlungsergebnis bestätigt am Ende diese Vermutung. Es wird einen Vertrag über gerechten Vorteilsausgleich geben.

Auch mit den Zahlungen für internationale Projekte zum Erhalt der biologischen Vielfalt geht es zäh voran. Norwegen stellt seit 2007 jährlich 350 Millionen Euro bereit. 2010 leistet dieses kleine Land nochmal 700 Millionen Euro zusätzlich. Deutschland hat für die drei Jahre 2010 bis 2012 zusammen 500 Millionen Euro zugesagt; ab 2013 jährlich 500 Millionen Euro. Bei der Konferenz war deutlich zu spüren, dass Wortmeldungen dieser beiden Staaten von den Entwicklungsländern erheblich positiver aufgenommen wurden als Beiträge aus anderen Industrieländern.

Pflanzliche Kraftstoffe werden von der überwiegenden Anzahl aller Länder positiv gesehen. Die Brasilianer machten sich zum Vorreiter dieser Ansicht. Sie behaupteten auch  nachdrücklich, den Anbau der Biokraftstoffe künftig ohne Waldrodungen vorzunehmen. Der Delegierte aus Ghana, Alfred Oteng-Yeboah, mahnte demgegenüber, dass die Bauern durch den Anbau von Exportpflanzen oft ärmer würden als zuvor.

Bei allen inhaltlichen Schwierigkeiten und Gegensätzen einer solchen Großkonferenz mit Teilnehmern aus 170 Staaten beeindruckt ihre Arbeitsatmosphäre. Die Delegierten melden sich mit konkreten Formulierungsvorschlägen zur Sitzungsvorlage des UN-Sekretariats. Es wird auch um einzelne Worte gerungen. Daran könnten sich nationale Parlamente einschließlich des Deutschen Bundestages ein Beispiel nehmen. Beim Vergleich der Debattenkulturen kommt mir der Gedanke, dass Hierarchien umso flacher werden, je größer die räumliche Ebene ist. Hier sticht niemand mehr heraus. Ein wenig ist das auch auf der europäischen Ebene schon so. Gefolgschaftsrituale brauchen umgrenzte Räume wie Nationalstaaten oder Bundesländer.

Die japanische Regierung ergriff bei der Konferenz über biologische Vielfalt in Nagoya eine neue Initiative zum Artenschutz in Kulturlandschaften unter dem Namen „Satoyama“.  In einer großen Zeremonie wurden 51 Partnerorganisationen vorgestellt. Aus Europa sind Birdlife International und der Deutsche Verband für Landschaftspflege beteiligt.

Als politischer Begriff meint Satoyama die Nutzung des Landes in Harmonie mit der Natur, das, was die westliche Welt „nachhaltige Nutzung“ nennt. Viel stärker als wir in Europa schätzen die Japaner Lebensmittel, die in traditioneller Weise hergestellt sind. Deshalb hat der Satoyama-Begriff neben dem ökologischen Inhalt auch einen starken kulturellen Klang. Die Initiative wendet sich bewusst dem genutzten Land zu, Gegenden, die wir Kulturlandschaft nennen. Hier treffen sich die Ziele der Europäischen Landschaftspflege-Organisationen mit denen von Satoyama. Darin steckt auch der Gedanke, das Land wertvoller zu machen – für die Natur, für die Ernährung der Menschen, als Einkommensquelle und als kulturelle Heimat. Kein Wunder, dass ein solches Konzept auch bei vielen Entwicklungsländern Interesse findet. Es fiel mir nicht schwer, in einem Vortrag über die Gemeinsamkeiten von Landcare-Europe und Satoyama eine allgemeine Aufbruchstimmung zu erzeugen.


Artikel vom: 29.10.2010 14:00