Hilflos gegenüber Großkonzernen?

Göppel fordert Umsatzsteuer für Kapitaltransaktionen


Januar 2006 - „Die wir gewählt haben, haben keine Macht und die, die Macht haben, können wir nicht abwählen“, das stand auf dem Plakat eines demonstrierenden AEG-Arbeiters in Nürnberg. In der Tat sagte der zuständige bayerische Wirtschaftsminister Huber zur Schließung des Werkes mit 1.700 Beschäftigten nur: „Wir müssen uns damit abfinden.“ Für den zuständigen Landtagsabgeordneten, immerhin CSU-Generalsekretär, bleibt nichts außer „Betroffenheit und Wut“.
Deutschland hat seit 1998 1,1 Mio. sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse verloren, von 27 Mio. auf jetzt 25,9 Mio.. Das Gefühl der Ohnmacht vieler Menschen gegenüber der globalisierten Wirtschaft wächst. Wo werden meine Kinder eine Arbeitsstelle finden? Wie lange ist der eigene Arbeitsplatz sicher? In über der Hälfte aller deutschen Unternehmen arbeitet heute niemand mehr über 50 Jahre! Andererseits kaufen die Menschen bei uns natürlich auch die Billigwaren aus dem Ausland und tragen so zur weiteren Verlagerung von Arbeitsplätzen bei – ein gnadenloser Mechanismus. Wer das achselzuckend als freie Marktwirtschaft abtut, verkennt die soziale Sprengkraft, die sich hier aufbaut. Im Fall AEG lag die Jahresrendite des Konzerns 2005 bei 22 %. Trotzdem wird Nürnberg geschlossen. Kapitalanleger könnten sich sonst lohnenderen Zielen zuwenden. Die Aktienkurse sind das Maß aller Dinge.
Das schrankenlos mobile Kapital ist eine wesentliche Ursache für den weltweiten Druck auf die Löhne. Der Wettbewerb zwischen den Produktionsfaktoren Arbeit und Kapital ist verzerrt. Der Handel mit Waren und Dienstleistungen ist in praktisch allen Staaten mit Umsatzsteuern belegt, der Handel mit Geld jedoch nicht. Wir brauchen deshalb eine internationale Vereinbarung für die angemessene Umsatzbesteuerung aller Kapitaltransaktionen. Damit lassen sich spekulative Geschäfte dämpfen und Aktienkäufe wieder auf das konzentrieren, was sie eigentlich sind, nämlich längerfristige Unternehmensbeteiligungen. Ein solches Unterfangen ist langwierig und mühsam, weil sich einzelne Finanzplätze mit Sonderkonditionen Vorteile gegenüber den anderen verschaffen können. Trotzdem muss damit jetzt begonnen werden. Die Verhandlungen zum weltweiten Klimaschutz zeigen, dass freiwillige Vereinbarungen auf globaler Ebene nur im Schneckentempo vorankommen, aber die Alternativen wären Armut und Elend für große Teile der Erde. Eine für alle erträgliche Weltwirtschaftsordnung wird es ohne Regelung der Finanzmärkte nicht geben.
Die Nationalstaaten können das nicht mehr schaffen. Sie werden selbst zum Spielball. Die großen Finanzinvestoren bewegen sich frei auf dem Erdball. Ihnen steht derzeit keine gleichwertige Macht gegenüber. Die Gründer der sozialen Marktwirtschaft wussten, dass der Markt feste Regeln braucht, damit die Gerechtigkeit nicht unter die Räder kommt. Im Zug der Globalisierung glaubt mancher, alle Begrenzungen abschütteln zu können. Ein ungebändigter Kapitalismus wird aber ebenso wenig überleben wie die kommunistische Ideologie. Die Unterschiede zwischen Arm und Reich werden zu groß und zu viele Menschen sehen sich um die Früchte ihrer Arbeit betrogen. Nicht umsonst fordert der neue Wirtschaftsminister Michael Glos „guten Lohn für gute Arbeit“.
Wir Deutschen müssen uns in der Debatte über eine gerechte Weltwirtschaftsordnung nicht verstecken. In unserem Land wurde mit der sozialen Marktwirtschaft das bisher erfolgreichste Wirtschaftskonzept der Erde entwickelt. Der Neoliberalismus nach anglo-amerikanischem Muster verschärft dem gegenüber die Gegensätze innerhalb der Staaten und auch zwischen Industrie- und Entwicklungsländern.
Über die europäische Union bietet sich die Chance, eine neue Wertordnung aufzubauen. Mit unseren 6 % der Weltbevölkerung können wir ein Beispiel für den erforderlichen globalen Rechtsrahmen schaffen. Der deutsche Koalitionsvertrag enthält die Forderung nach Streichung europäischer Strukturhilfen, wenn ein Mitgliedsstaat mit extrem günstigen Steuersätzen Investoren anlockt. Die Öffnung der Grenzen verlangt nach Regelungen dieser Art. Freiheit und Ordnung bedingen einander – europäisch und weltweit.
EU-Ratsvorsitzender Schüssel zum selben Thema am 18.01.2006 im Europäischen Parlament: "Es darf nicht angehen, dass kurzfristige internationale Finanzspekulationen oder der internationale Flugverkehr überhaupt nicht besteuert werden". Schüssel fordert eine Umsatzsteuer auf Finanztransaktionen und eine Steuer auf Flugbenzin.

Artikel vom: 19.01.2006 13:40