Finanzmärkte treiben ganze Staaten vor sich her – ein Aufruf zur Gegenwehr

von Josef Göppel

Berlin, 19. Juli 2011 – Die Wallstreet greift an, so formuliert die ZEIT das, was sich derzeit zwischen Finanzmärkten und Staaten abspielt. Die Ratingagentur Moody´s stuft die Kreditwürdigkeit von Portugal und Irland auf „Ramsch-Niveau“ herab. In einem Nebensatz schimmert der Grund dafür durch, die „gestiegene Wahrscheinlichkeit, dass sich an neuen Rettungskrediten der Privatsektor beteiligen muss“. Das also ist es, was die Finanzmärkte erwarten: Der Ausgleich riskanter Anlagen mit immer wieder frischem Geld soll ausschließlich aus den Steuern der arbeitenden Bevölkerung kommen! Gewinne fließen in private Taschen, Verluste soll die Allgemeinheit tragen.

Diese Rechnung ging schon bei der Bankenkrise im Herbst 2008 wunderbar auf. Mit den damals zusätzlich in den Kapitalmarkt gepumpten Steuermilliarden spekulierten zahlreiche Finanzmanager anschließend gezielt gegen einzelne Euro-Staaten. Die Folge war weiteres Futter in Form eines 750 Milliarden umfassenden Euro-Rettungsschirms. Inzwischen wird Italien angezweifelt mit der Folge, dass der europäische Rettungsschirm auf 1.500 Milliarden Euro anwachsen soll.

Rating-Agenturen gießen seit Wochen durch plötzliche Herabstufungen Öl ins Feuer der Finanzmärkte. Wenn Politiker Wege zur Beteiligung von privaten Gläubigern suchen, drohen sie mit einer schlechteren Kreditwürdigkeit. Die Medien zitieren solche Urteile immer noch wie höchstinstanzliche Glaubenssätze. Ist denn schon vergessen, dass Rating-Urteile 2008 gerade jene Banken mit der Bestnote „Aaa“ austatteten, die kurz darauf zahlungsunfähig waren? Rating-Agenturen verdienen bei jedem neuen Produkt. Sie haben also einen Anreiz, einen möglichst breiten Markt zu fördern. Deshalb bewerteten sie in der Vergangenheit undurchsichtige und verschachtelte Kreditderivate zu gut.

Die Politik steht in der Verantwortung diesen Teufelskreis zu durchbrechen, bevor er alle Staaten der Erde ruiniert. Unregulierte Finanzmärkte führen zu einer gigantischen Umverteilung aus den Steuertöpfen der Staaten in die Privatkonten von Leuten, die ohnehin schon große Kapitalpakete besitzen. Auf der anderen Seite fehlen selbst den wirtschaftlich starken Staaten zunehmend die Mittel, um öffentliche Aufgaben in Bildung, Infrastruktur, Umweltschutz und sozialer Sicherung zu finanzieren.

Das wirksamste Mittel zur Eindämmung der Spekulationswellen ist eine Umsatzsteuer auf Kapitalgeschäfte. Auf Waren und Dienstleistungen wird eine Mehrwertsteuer von 19% erhoben, der Handel mit Geld ist davon frei. Das fordert den schnellen spekulativen Umschlag großer Geldsummen geradezu heraus.

Der Finanzsektor muss künftig seine Rettungsschirme selbst finanzieren! Über eine Finanztransaktionssteuer muss er an der Bewältigung der Schuldenkrise beteiligt werden. Die inzwischen wieder sprudelnden Bankgewinne kommen zum großen Teil aus dem Investmentbanking. In der Praxis heißt „Investmentbanking“ zum Beispiel, dass Banken das billige Zentralbankgeld nicht als Kredite an mittelständische Unternehmen weiterreichen, sondern europäische Staatsanleihen kaufen und aus der Zinsdifferenz Gewinne einstreichen. Es kann nicht sein, dass nun der Steuerzahler  Bankgewinne finanziert und dann auch noch das Risiko dafür tragen soll.

Die EU-Kommission will nun ab 1.1.2014 eine Finanztransaktionssteuer von 0,1% auf alle Kapitalumsätze von Banken und Finanzmaklern einführen. Spareinlagen und Einzahlungen auf Lebensversicherungen von Privatpersonen bleiben frei. Noch ist dieser Plan nicht endgültig beschlossen. Einige Staaten widersetzen sich nach wie vor. Sie befürchten eine Abwanderung von Kapitalgeschäften aus Europa. Angesichts der intensiv verflochtenen Realwirtschaft mit Gütern und Dienstleistungen in der EU erweist sich das aber als ideologisch motiviertes Ablenkungsmanöver.

Neben der Umsatzbesteuerung von Kapitalgeschäften braucht Europa dringend eine Insolvenzordnung für Staaten. Nur wenn Anleger durch klare Regeln künftig davon ausgehen müssen, auch tatsächlich eigenes Geld zu verlieren, werden Überschuldungen vermieden.

Immer mehr Menschen haben Angst um ihre Ersparnisse. Es wachsen Ohnmacht und Wut, weil die Mächtigen der Finanzmärkte nicht demokratisch kontrollierbar sind und die demokratisch gewählten Politiker machtlos scheinen. Höchste Zeit also zum Handeln!

Eine Währungsunion kann dauerhaft nicht ohne eine abgestimmte Wirtschafts- und Finanzpolitik funktionieren. Wir stehen vor der Wahl: Entweder die Eurozone kehrt zu getrennten Währungen zurück oder sie ringt sich zu einer gemeinsamen Finanz- und Wirtschaftspolitik durch. Wir Deutsche haben in unserer Geschichte das beste Beispiel dafür. Erst als sich die deutschen Kleinstaaten Mitte des 19. Jahrhunderts zu einer Wirtschaftsunion verbanden, begann der wirtschaftliche Aufstieg des Reiches. Deutschland als wirtschaftliches Herz in der Mitte Europas und bedeutendste europäische Exportnation kann sich schon aus Eigeninteresse nicht abkoppeln. Die Eurokrise birgt deshalb auch eine Chance: Die europäischen Geberländer müssen ihre Hilfszahlungen nutzen, um gegenüber den Finanzmärkten und den Empfängerstaaten klare Regeln durchzusetzen. Dazu gehören Finanztransaktionssteuer, wirtschaftspolitische Abstimmung und eine Insolvenzordnung für Staaten.

Zum Weiterlesen empfiehlt Josef Göppel den Artikel "Die dunkle Seite der Macht" in der Wirtschaftswoche vom 25. Juli 2011. Er handelt von Hedgefonds und deren hochriskanten Spekulationen.

Außerdem empfiehlt er das Buch "Odysseus und die Wiesel: Eine fröhliche Einführung in die Finanzmärkte" von Georg von Wallwitz.

Artikel vom: 12.06.2011 11:11