Diskussion um die bayerische Landesentwicklung

München, 10. September 2011 - In Bayern wird zurzeit die Weiterentwicklung der Landesplanung diskutiert. Die Alternativen sind eine freilaufende, rein marktbetriebene Entwicklung oder die behutsame Einfügung des Neuen in die gewachsene bayerische Lebenskultur. Der CSU-Arbeitskreis Umwelt und Landesentwicklung bezog unter seinem Vorsitzenden MdB Josef Göppel klar Position. Die CSU-Umweltschützer wollen das unverwechselbare Gesicht Bayerns erhalten.

Im Anschluss finden Sie die Stellungnahme des Umweltarbeitskreises. Sie wurde mit 82 gegen 3 Delegierten Stimmen beschlossen.

Unverwechselbares Bayern in der globalisierten Welt


Stellungnahme zur Reform des Landesplanungsrechts

Beschluss der Landesversammlung

München, 10. September 2011



Das unverwechselbare Gesicht Bayerns

Die Entwicklung Bayerns zu einem wirtschaftlich starken Bundesland geht wesentlich auf die geglückte Verbindung von bayerischer Lebenskultur und moderner Technik zurück. Der Satz „Laptop und Lederhose“ von Altbundespräsident Roman Herzog drückt dieses Erfolgsrezept einprägsam aus. Die Reform des Landesplanungsrechts muss deshalb den besonderen Wert der kulturellen Überlieferung sowie die Harmonie der gebauten Umgebung des Menschen als wichtige Erfolgsfaktoren bewahren. Dazu gehören klar abgegrenzte Siedlungskerne und große Freiräume. Dort, wo der räumliche Gesamteindruck von ausufernder Normarchitektur dominiert wird, leidet sehr bald die Anziehungskraft für qualifiziertes Personal und hochwertige Investitionen.


1. Gleichwertige Lebensverhältnisse sichern

Wir begrüßen die Hervorhebung gleichwertiger Lebens- und Arbeitsbedingungen in allen Teilräumen als Leitziel sowie die nachhaltige Raumentwicklung als Leitmaßstab des neuen Landesplanungsgesetzes.

Gebiete in Bayern, die von deutlicher Abwanderung, Geburtenrückgang oder auch Zuwanderung betroffen sind, brauchen besondere Strukturmaßnahmen. Dafür bedarf es noch spezieller Lösungsangebote im Landesplanungs¬recht.

2. Landes- und Regionalplanung

Wir unterstützen ausdrücklich die Verankerung der Regionalplanung als Teil der Landesplanung sowie als kommunale Aufgabe im übertragenen Wirkungskreis. Andernfalls würde die Landespolitik die Gestaltung teilraumübergreifender Strukturentwicklung aus einer einheitlichen Werthaltung heraus aufgeben.

Die Erweiterung der Aufgaben der regionalen Planungsverbände um freiwillige Initiativen zur Regionalentwicklung fügt sich gut in dieses Konzept ein. Es kann helfen, Doppelinvestitionen aus übersteigertem kommunalen Wettbewerb heraus regional besser abzugleichen. Der beabsichtigten inhaltlichen Beschränkung des Landesentwicklungsprogramms fehlt allerdings als Gegenstück die stärkere Durchsetzbarkeit der Regionalplanung.

3. Stärkung statt Schwächung der Regionalplaninhalte


In der vorgesehenen Reduzierung der Regionalplaninhalte um die Fachbereiche Sozialwesen und Kultur sehen wir eine ganz erhebliche perspektivische Gefährdung der Ortszentren gegenüber Einzelhandelsgroßstrukturen. Die kleinteilige wohnortnahe Versorgung ist gerade für ältere Menschen ein wichtiger sozialer Belang; lebendige Ortskerne, in denen sich Handel und Wandel konzentrieren, gehören elementar zur kulturellen Überlieferung Bayerns. Nur in lebendigen Ortskernen haben historische Bauten die wirtschaftliche Chance des Überlebens.

Die Streichung des Sozialbereichs aus den Regionalplänen halten wir auch im Hinblick auf behindertengerechte Raumentwicklung, Barrierefreiheit und Erreichbarkeit für nicht vertretbar.

Das unverwechselbare architektonische Gesicht Bayerns lebt von der behutsamen Einfügung neuer Bauwerke in die gewachsene Substanz. Dafür brauchen wir nicht weniger, sondern mehr sorgfältige Analyse und rücksichtsvolle Planung.

4. Landes- und Regionalplanung müssen Spielregeln vorgeben, wie Konflikte im Raum zu lösen sind.

Die Rufe nach einer „zero based“-Landesplanung oder einem „weißen Blatt“ der Landesent-wicklungsregeln sind eine Abkehr von den Wertgrundlagen der CSU! Ein Grundprinzip der christlich-sozialen Union ist die freiheitliche Ordnung der Gesellschaft, die Balance zwischen Individualität, Solidarität und Subsidiarität. Die CSU war bisher immer die Partei der Ordnung und des starken Staates. Auf dem Finanzmarkt zeigt sich ständig, wohin zu lasche Regeln führen. Auch in der Raumnutzung führt regelloser Wettbewerb zu Fehlinvestitionen und ungesunder Ballung. Die Peripherie unserer Städte und Dörfer liefert dafür zunehmend abschreckende Beispiele. Der Markt reagiert auf Fehlentwicklungen zu spät. Gleichwertige Lebensbedingungen in allen Teilen des Landes gibt es nur mit einer demokratisch kontrollierten, aber doch ordnenden Hand, die dem Gesamten verantwortlich ist.

Bayern ist einzigartig durch seine besondere Lebensform. Die kleinen Bäcker, Metzger, Brauereien und Gaststätten mit ihrer Vielfalt und handwerklichen Herstellung, das macht Bayern anders. Die bäuerliche Landwirtschaft pflegt unsere Landschaft und das macht Bayern anziehend für viele Besucher. Sogenannte moderne Handelsformen dürfen nicht unsere unverwechselbare Wirtschaft und Lebensart mit regionalen Wirtschaftskreisläufen verdrängen! Je mehr wir uns anderen angleichen, desto mehr schwindet die erfolgreiche Charakteristik, Identität und Attraktivität Bayerns. Mangelnde Identität ist die Folge von fehlendem Selbstbewusstsein.

5. Deregulierung ist kein Wert an sich

Aus diesem Grund sehen wir auch die weitere Deregulierung kritisch. Sie ist ein erwiesenermaßen untaugliches Werkzeug für die Reform der Landesplanung. Deregulierung ist kein Wert an sich! In Artikel 3 der Bayerischen Verfassung heißt es vielmehr „Bayern ist ein Rechts-, Kultur- und Sozialstaat“.

Der ungezügelte Markt bewahrt weder kulturelle Überlieferungen noch soziale und ökologische Werte. Er hinterlässt in der Landesentwicklung oft genug Investitionsruinen, die über Steuerabschreibungen von der Allgemeinheit sogar mit finanziert werden müssen.

Im neuen Landesplanungsrecht darf es nicht nur um technische und formale Festsetzungen gehen. Es muss vielmehr eine geistige Botschaft erkennbar sein, aus welcher Werthaltung heraus Bayern seine weitere Entwicklung gestalten will. Dazu gehören Aussagen zur landeskulturellen Bindung aller Einzelentscheidungen, zur sozialen Gerechtigkeit und zur Eingriffsschwelle des Staates. Nur dann steht das Landesplanungsrecht im Einklang mit dem Geist der Verfassung des Freistaats Bayern.

6. Die Nahversorgung darf nicht ausschließlich auf das Auto bauen

Landesweit läuft ein Trend zur Auslagerung von Einzelhandelsgeschäften an die Ortsränder. Gleichzeitig steigt das Durchschnittsalter der bayerischen Bevölkerung. Die Vorgaben der Landesplanung müssen sicherstellen, dass Einrichtungen des täglichen Bedarfs mit dem öffentlichen Nahverkehr oder fußläufig erreichbar sind. Aus diesem Grund lehnt der Arbeitskreis Umweltsicherung und Landesentwicklung die Aufweichung der Vorgaben für Einzelhandelsgroßprojekte außerhalb zentraler Lagen ab. Ebenso lehnen wir die Lockerung der Anbindepflicht neuer Bauwerke an bestehende Ortslagen ab. Das Marktgeschehen würde rasch zu zusätzlichem Flächenverbrauch und Zersiedelung führen.

7. Umwelt- und Klimaschutzziele müssen sich im Landesentwicklungsprogramm wieder finden

Bayern kann ein international beispielhaftes Umwelt- und Klimaschutzkonzept vorweisen. Nun kommt es darauf an, dessen Ziele in die Vorgaben für Raumnutzung, Rohstoffverbrauch und Energiedurchsatz einzubauen. Ein aktuelles Beispiel zeigt den Zielkonflikt: Supermärkte beanspruchen immer mehr Fläche, um ihr Angebot werbewirksamer zu platzieren. Andererseits soll die tägliche Neuversiegelung in Bayern von heute 16,4 ha deutlich gesenkt werden. Ähnliches gilt für Bauverbote in Überschwemmungsgebieten. Immer wieder werden allgemeine Ziele im konkreten Fall ausgehebelt. Deswegen lesen wir gern die Betonung der Innenstädte für die wohnortnahe Versorgung einer älter werdenden Bevölkerung in den Grundsätzen der Raumordnung sowie die Klarstellung „das Zielabweichungsverfahren ist als Ausnahmeregelung restriktiv zu handhaben“.

Die Programmsätze in Artikel 6 des neuen Landesplanungsgesetzes „Die Siedlungstätigkeit soll räumlich konzentriert und vorrangig auf vorhandene Siedlungen mit ausreichender Infrastruktur ausgerichtet werden“ und „Die Flächeninanspruchnahme im Freiraum soll begrenzt werden“ bedürfen klarerer Detailvorschriften, um glaubwürdig zu wirken.

8. Energiewende schafft breite Wertschöpfung und Eigentumsstreuung

Die Menschen erwarten eine klare Aussage „wie geht’s, was passiert“. Es muss deutlich werden, dass der Schlüssel zur Energiewende nicht in der regenerativen Erzeugung eines schrankenlos steigenden Energiebedarfs liegt, sondern in Energieeinsparung, die aber einschneidende Änderungen unserer Lebensgewohnheiten zur Folge hat. Viele Impulse im Landesentwicklungsprogramm schlagen sich in den Kommunen nieder. Damit besteht die Chance, dass die Menschen erreicht werden. Die kommunale Ebene hat Netzwerke vor Ort, die entscheidend die Energiewende umsetzen. Im Landesentwicklungsprogramm sind die Rahmenbedingungen zu schaffen, die wesentliche Ziele der Energiewende, wie Energie-einsparung, Energieeffizienz, Energiespeicherung, Ausbau von regenerativen Energien und Bürgerinformation fest halten. Die Kommunen sind durch die Bayerische Verfassung und das Grundgesetz zuständig für die Planungshoheit, deshalb ist ihre Position im Landesentwicklungsprogramm zu stärken.

Erneuerbare Energien bringen nicht erst langfristig, sondern heute schon neue Wertschöpfung und eine breite Eigentumsstreuung in das ganze Land. Davon profitieren vor allem Handwerker, Landwirte, mittelständische Unternehmen und Gebäudeeigentümer. Die Staatsregierung erstellt zurzeit Richtlinien für die Genehmigung und den Ausbau erneuerbarer Energien. Wir bitten die beteiligten Ministerien, darin einen Vorrang für regional finanzierte Bürgerprojekte zu verankern. Energiegenossenschaften und Stadtwerke sind regional verankert. Sie müssen in ihrer Rolle gestärkt werden. Das wird auch helfen, die Ängste vieler Bürger gegenüber Windkraft-, Solar- und Biogasanlagen in ihrer Nachbarschaft abzubauen. Deshalb ist auf die Einbindung der Bevölkerung größter Wert zu legen.

Die erneuerbaren Energien werden das Gesicht Bayerns verändern. Ihr Ausbau darf nicht zu Lasten gesunder Böden, des Grundwassers und der Artenvielfalt sowie des Landschaftsbildes gehen: Wir sind der Meinung, dass erneuerbare Energien sogar zu einer Bereicherung werden können, wenn sie sich behutsam in das Gelände einfügen und natürliche Landschaftsformen betonen. Bei der Biogastechnik muss in Zukunft der Schwerpunkt auf der Verwertung von Gülle, Mist und pflanzlichen Reststoffen liegen. Insgesamt müssen bei der Umsetzung der Energiewende die Senkung des Energieverbrauchs und Maßnahmen wie Energie-Contracting in den Vordergrund rücken.

9. Genossenschaften und regionale Unternehmen als Motoren der Entwicklung

Die breite Einbindung aller Bürger macht Genossenschaften zu Akteuren der ökonomischen, ökologischen und sozialen Entwicklung. Das Gesetz zur Einführung der europäischen Genossenschaft ermöglicht eine Wiederbelebung der alten Genossenschaftsidee für die aktuellen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Erfordernisse. Genossenschaftsmodelle eignen sich sehr gut für Energieprojekte, aber auch für Telekommunikationsnetze in ländlichen Gemeinden. Sie sind vor allem mit dem gleichen Stimmrecht aller Mitglieder das maßgeschneiderte Instrument für die aktive Bürgergesellschaft! Regionale Unternehmen bleiben die Kerne der wirtschaftlichen Entwicklung.

10. Regionale Wirtschaftskreisläufe stärken


Alle Teilräume Bayerns brauchen einerseits die Ausrichtung auf das internationale Geschehen, andererseits mehr regionale Wirtschaftskreisläufe im Innern. Die Erhaltung eines eigenständigen Profils ist im Wettbewerb der Regionen ein entscheidender Erfolgsfaktor. Das verlangt die bewusste Pflege des kulturellen Erbes, die Sicherung intakter Landschaften und die Stärkung regionsspezifischer Wertschöpfung in Landwirtschaft, Handwerk und Handel.

11. Informationstechnische Infrastruktur ausbauen

Die Industriegesellschaft war geprägt vom Trend zur Zentralisierung. In der Informationsgesellschaft ist ein anderer Weg möglich, leistungsfähige dezentrale Strukturen. In der Informations¬gesellschaft entscheidet nicht mehr die geografische Distanz, sondern der Zeitfaktor. Die Schnelligkeit verfügbaren Wissens ist ein entscheidender Faktor in der wirtschaftlichen Wertschöpfung.

Eine leistungsfähige Breitbandinfrastruktur im ganzen Land ist deshalb ein elementarer Bestandteil der staatlichen Daseinsvorsorge. Wie beim Telefon muss jeder Haushalt und Unternehmer gleichwertig angeschlossen sein. Das zählt zu den Grundvoraussetzungen, um strukturschwachen ländlichen Räumen den wirtschaftlichen Anschluss zu ermöglichen und die Chancengleichheit zu fördern.

12. Bürgerbeteiligung bei Großprojekten neu organisieren

Wir geben zu überlegen, die Bürgerbeteiligung und Transparenz bei Großprojekten aktiver zu organisieren. Mit der dritten Startbahn am Münchner Flughafen und dem Donauausbau stehen Vorhaben an, die auf Jahre hinaus die Bevölkerung spalten können. Im neuen Landes-planungsgesetz sollten die zwischenzeitlich vorhandenen Ansätze zu neuen Beteiligungsformen aus der bundesweiten Diskussion aufgegriffen werden. Das kann der Einsatz von Mediatoren oder die Beteiligungsmöglichkeit über soziale Netzwerke sein. Die Beteiligung der Bevölkerung muss besser zugänglich, sichtbarer und durchschaubarer werden. Damit wächst auch die Akzeptanz getroffener Entscheidungen.

13. Grenzüberschreitende Zusammenarbeit

Grenzüberschreitende Zusammenarbeit muss sich verstärkt in der Landesplanung niederschlagen: 1989 ist nicht nur die Mauer gefallen, sondern auch die undurchlässige Grenze zwischen Bayern und der ehemaligen DDR sowie zu Tschechien wurde abgebaut. In diesen Jahren gab es manche Probleme zu bewältigen (z.B. Förder- und Lohngefälle). Insgesamt hat sich die Öffnung der Grenze für Ostbayern positiv ausgewirkt. In diesen 20 Jahren gab es viele Impulse für die ehemalige Grenzregion. Die Zusammenarbeit ist aber verstärkt fortzusetzen und sollte deshalb im Landesentwicklungsprogramm aufgenommen werden. Zur Stärkung des Naturschutzes sind die Vorteile des „Grünes Band Europa“ auszubauen. Die Bezirke Ostbayerns planen zusammen mit West-Böhmen und Oberösterreich eine gemeinsame Europaregion. Sie ist eine Chance, in der Mitte Europas eigene Impulse zu setzen. Im Landesentwicklungsprogramm sind die Ziele einer solchen Europaregion zu beschreiben. Die Fördermittel der Europäischen Union über den Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) und das darin enthaltene Förderziel INTERREG IV sind gezielt zu nutzen.

Wir befürworten die stärkere Vergabe von Regionalbudgets, die von kommunalen Allianzen in eigener Verantwortung eingesetzt werden können.

Allen Versuchen auf europäischer Ebene,das Trinkwasser zu einer Handelsware zu machen, erteilen wir weiterhin eine klare Absage. Trinkwasser muss ein öffentliches Gut in kommunaler Letztverantwortung bleiben!

Artikel vom: 12.09.2011 14:16