Das grüne Wirtschaftswunder

Der sechste Kondratieff öffnet den Weg aus der Krise
und unserem Land große Chancen

Artikel von Michael Müller

Fast täglich schütteln uns schlimme Anfälle von ökonomischem Pessimismus. Horrormeldungen drücken die Stimmung in den Keller. Selbst der Hexenmeister des Finanzkapitals, der frühere US-Notenbankchef Alain Greenspan, der
in seiner Amtszeit die wirtschaftlichen Risiken mit immer neuem Geld verdünnt hat, spricht von der schwersten Krise seit der großen Depression von 1929. Der Pessimismus ist berechtigt. Dennoch ist bloße Schwarzmalerei fehl am Platz,
eine nur kurzsichtige Deutung dessen, was uns widerfährt. Die Brisanz liegt darin, dass die Finanzkrise zusammenfällt mit einer Abschwächung der technologischen Dynamik. In den letzten Jahren hat vor allem die lange Welle der Informations- und Kommunikationstechnologien Beschäftigung und
Wohlstand getragen. Zugleich bauen sich mit dem Klimawandel und den schnell zur Neige gehenden Ressourcen neue Knappheiten auf. Wir erleben also nicht nur die Wirtschaftskrise, sondern auch den schmerzlichen Übergang von einer Wirtschaftsperiode in eine andere, die von ökologischen Herausforderungen geprägt sein wird.


Entscheidend ist: Weil die Krise zu Veränderungen zwingt, öffnet sich ein Gestaltungsfenster, das wir für eine grundlegende Modernisierung nutzen können. Aber es wird sich schnell wieder schließen, wenn jetzt die Weichen nicht für ein Jahrhundert der Ökologie gestellt werden. Dann droht aus der Krise 2008 der Kollaps 2009 zu werden. Wie wird ein neuer Aufschwung möglich? Gute Politik hat ihre Quelle in der Zukunft. Wir müssen begreifen, was unter
der Oberfläche abläuft, was die Märkte und Infrastruktur von morgen sind. Möglich wird das durch einen Blick auf die langen Wellen, mit denen Nikolai Kondratieff das langfristige Auf und Ab der wirtschaftlichen Entwicklung erklärte. In seiner Gedankenwelt entwickeln sich grundlegende Innovationen nicht zufällig. Wenn ein zentraler Produktionsfaktor – z. B. Transport – im Verhältnis zu anderen Produktionsmitteln knapp und teuer wird, stagniert die Wirtschaft. Erst grundlegende Erfindungen und die Verbesserung der Infrastruktur überwinden die Knappheit.

Wahrscheinlich wäre diese Theorie längst vergessen, hätte nicht Joseph Schumpeter die großen Wirtschaftszyklen nach Kondratieff benannt. Heute spricht alles dafür, dass der nächste Zyklus von der zunehmenden Knappheit aus der Übernutzung des Naturkapitals ausgeht, die immer stärker auf Wirtschaft und Gesellschaft durchschlägt. Eine Effizienzrevolution bei Energie, Material und Rohstoffen rückt ins Zentrum von Innovationen und wird einen breiten Aufschwung auslösen. Deshalb legt der US-Präsident Barack Obama mit über 70 Milliarden US-Dollar einen Schwerpunkt auf die ökologischen Zukunftsmärkte.

Der globale Wettlauf um die Spitzenposition bei den modernen Energietechnologien hat begonnen. Was das bedeutet, zeigt die Geschichte des Industriezeitalters. Die erste lange Welle entstand mit der Erfindung der Dampfmaschine und brachte England, dessen Wirtschaft damals die produktivste der Welt war, einen gewaltigen Boom. Das Land steigerte
seinen Anteil an der globalen Industrieproduktion auf über zehn Prozent. Dann aber fehlten ausreichende Transportmöglichkeiten. Die Folge war Überkapazitäten und eine schwere Wirtschaftskrise, beschrieben etwa von Charles Dickens oder Victor Hugo, bis es zum Ausbau der Eisenbahn kam. Der dritte Kondratieff, Elektrizität und Chemie, katapultierte Deutschland an die Spitze der Weltindustrieproduktion.stehen. Dafür standen AEG, Siemens oder die damaligen IG Farben.

Diese Stärke konnte unser Land in der vierten großen Innovationsperiode halten, dem Aufstieg zur automobilen Gesellschaft. Im fünften, bisher letzten Kondratieff, den Informations- und Kommunikationstechnologien, gelang es Japan durch eine staatliche Marktsteuerung über das MITI und den USA durch massive Investitionen im Militärsektor die Spitzenposition zu erlangen. Dabei war es der Deutsche Konrad Zuse, der 1944 den ersten Computer entwickelt hatte. Effizienztechniken und Erneuerbare Energien werden nun den nächsten Kondratieff prägen. Bei dieser Megatechnik hat Deutschland eine führende Position, die nur gehalten werden kann, wenn die Anstrengungen massiv verstärkt werden. In dieser Hinsicht greift das Konjunkturprogramm deutlich zu
kurz. Für die ökologische Modernisierung ist es in Umfang und Tiefe zu wenig. Zudem darf die Effizienzrevolution nicht nur auf Energie abzielen, sondern muss alle Bereiche des Ressourcen- und Materialeinsatzes umfassen. Daraus entsteht eine Dynamik, die nicht nur die Umweltbelastungen reduziert, sondern auch neue Märkte und mehr Beschäftigung schafft. Das Potenzial ist groß. In der verarbeitenden Wirtschaft entfallen auf den Faktor Arbeit rund 22 Prozent der Kosten, auf die stoffliche Seite jedoch mehr als 40 Prozent. In den letzten drei Jahrzehnten stieg die Arbeitsproduktivität um rund 260 Prozent, bei Energie, Rohstoffen und Material jedoch nur um deutlich weniger als 100 Prozent.

Bleibt die Frage, wie ein grünes Wirtschaftswunder finanziert werden kann? Eine Zukunftsanleihe kann sehr viel Geld in die ökologische Modernisierung lenken, ohne die öffentliche Verschuldung weiter in die Höhe zu treiben. Sie garantiert Anlegern zehn Jahre einen sicheren Zinsertrag, der etwas höher als Bank üblich liegt. Die Differenz wird finanziert aus dem Abbau umweltschädlicher Subventionen und einer Abgabe von Kreditnehmern, deren Projekte  überdurchschnittliche Renditen erzielen.

Ein neuer Kondratieff eröffnet gerade unserem Land eine gute Perspektive, die den Menschen Mut macht. Nutzen wir die Chance.

Artikel vom: 02.03.2009 11:20