Vorrang für Gesundheitsschutz bei Bioziden

 

Bundestagsrede vom 25. März 2010

Schon der Begriff „Biozide“ unterstreicht die Notwendigkeit einer strengen Zulassungsregelung. Der Begriff für Materialschutz- und Schädlingsbekämpfungsmittel ist abgeleitet vom griechischen Wort für Leben „bios“ und dem lateinischen Wort für töten „caedere“. Desinfektionsmittel, Holzschutzmittel und Insektengifte bergen für Mensch und Natur erhebliche Gefahren. Viele Biozide sind langlebig, reichern sich in den natürlichen Kreisläufen an und können Erbgut verändern. Entsprechend hoch ist das Gesundheitsrisiko für den Menschen. Besonders die schleichende Wirkung einiger Biozide ist äußerst tückisch, Krebs die Langzeitfolge. Ich erinnere hier nur an die leidvollen Erfahrungen aus früheren Zeiten mit PCP, DDT und Lindan in Holzschutzmitteln. Der Staat steht hier ganz besonders in der Pflicht, Vorsorge für die Gesundheit der Bürger zu treffen. Deshalb steht für die Regierungsfraktionen an vorderster Stelle, dass eine europäische Harmonisierung und der Abbau bürokratischer Hürden keinesfalls zu einer Aufweichung des hohen deutschen Schutzniveaus führen darf!
Grundsätzlich begrüße ich den Ansatz der EU-Kommission, die 10 Jahre alte Biozid-Richtlinie nach dem Vorbild der europäischen Chemikalienpolitik zu überarbeiten. Strengere Regeln für mit Bioziden behandelte Kleidung, Teppiche und Möbel oder Materialien, die mit Lebensmitteln in Kontakt kommen, sind mehr als überfällig. Durch den europaweiten Austausch von Testergebnissen werden weniger Tierversuche notwendig sein. Im Detail gibt es aber noch Nachbesserungsbedarf.

Wenn die Bewertung eines Wirkstoffes positiv abgeschlossen worden ist, begann bisher auf der Basis von Anträgen bei den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten das nationale Produkt-Zulassungs- oder Registrierungsverfahren für Biozid-Produkte, die diesen Wirkstoff enthalten. Bei dieser zweiten Verfahrensstufe werden die produktspezifischen Risiken bewertet. Die Regierungsfraktionen unterstützen die Bundesregierung in ihrer Verhandlungsposition, dass künftig auch die Zulassung aller Produkte auf europäischer Ebene möglich sein soll. Die Kommission sieht dies in ihrem Entwurf nur für neue Produkte und Produkte mit geringem Risiko vor.
Dieser Ansatz entlastet die Unternehmen von Bürokratie. Ich halte es aber für unabdingbar, auch künftig Zulassungen mit Auflagen zur Eindämmung regionaler Risiken verbinden zu können. Diese Unterschiede können für den Schutz der regionalen Bevölkerung oder empfindlicher Ökosysteme erforderlich sein. Die Bundesregierung muss bei den Verhandlungen in Brüssel außerdem darauf achten, dass die grundsätzlich sinnvolle Ausweitung des Verfahrens zur gegenseitigen Anerkennung nationaler Zulassungen auf alle Produkte nicht so weit geht, dass Deutschland sein höheres Schutzniveau nicht mehr durchsetzen kann. Standardabsenkungen lehnen wir ab!

Auch die Transparenz des Verfahrens und die Information der Öffentlichkeit sind verbesserungswürdig. Die Daten zu Zulassung, Vermarktungsmengen, Anwendungsintensität, den Regeln der guten fachlichen Praxis, zu Vergiftungsfällen und Umwelt- und Gesundheitsbelastungen müssen den Bürgern zugänglich sein. Ich wünsche mir in diesem Zusammenhang auch, dass die zuständigen Behörden über alternative Methoden zur Schädlingsbekämpfung und zum Materialschutz informieren. Bei der Komplexität natürlicher Kreisläufe bleibt auch beim sorgfältigsten Zulassungsverfahren ein Restrisiko. Der beste Schutz vor den Risiken von Bioziden ist, wenn sie erst gar nicht zum Einsatz kommen!

CDU/CSU und FDP wollen mehr Transparenz im Zulassungsverfahren. Wir fordern deshalb in unserem Antrag ein europaweites, öffentliches Produktverzeichnis nach dem Vorbild des deutschen Biozidrechts.
Zum Vorsorgeprinzip gehört, dass besonders gefährliche Stoffe, die zum Beispiel Krebs erregen können, von der Anwendung ausgeschlossen werden. Der Verordnungsentwurf sieht hier Kriterien vor, die noch nicht ausreichen. Wir fordern die Bundesregierung deshalb in unserem Antrag auf, sich für einen Ausschluss von Stoffen einzusetzen, die sich in der Natur anreichern, besonders langlebig oder giftig sind.

Das ist ich für mich ein ganz wesentlicher Punkt, warum ich den Antrag unterstütze. Solche Stoffe bergen die Gefahr die natürlichen Kreisläufe nachhaltig zu stören. Wir reden hier von Eingriffen, die nicht einfach durch einen Stopp der Anwendung rückgängig zu machen sind. Als Förster weiß ich um die dramatischen Folgen für das biologische Gleichgewicht. Als christlicher Politiker erinnere ich hier ganz besonders an unsere Verantwortung für die Bewahrung der Schöpfung.

Deshalb halte ich unsere Forderung für richtig, dass die Ausnahmeregelungen in Artikel 5 des Verordnungsentwurfs für diese besonders gefährlichen Biozide präziser gefasst werden müssen. Mir ist es zum Beispiel zu schwammig formuliert, wenn der Ausschluss von Wirkstoffen ohne bekannten Ersatz aufgehoben werden kann, wenn sich – ich zitiere – „verglichen mit dem Risiko für die menschliche Gesundheit oder die Umwelt … nachweislich unverhältnismäßig negative Folgen“ ergeben. Das ist nicht nur ein Schlupfloch, sondern eine riesige Bresche, mit der letztendlich auch der krebserregendste Stoff noch zugelassen werden kann. Die Bundesregierung muss hier dringend auf einer Nachbesserung bestehen.

In diesem Zusammenhang will ich aber auch auf einen Punkt hinweisen, in dem ich mir im Antrag der Regierungsfraktionen eine zurückhaltendere Formulierung gewünscht hätte. Die Kommission sieht im Verordnungsentwurf vor, dass für bestimmte Produktgruppen keine Ausnahmeregelungen für besonders gefährliche Stoffe möglich sind. Für mich haben selbst bei einer eng gefassten Präzisierung der Ausnahmeregelungen krebserregende Stoffe als Desinfektionsmittel im Lebensmittel- und Futtermittelbereich nichts zu suchen! Dieses eindeutige Verbot sollte in der Verordnung erhalten bleiben.
Zum Abschluss meiner Rede möchte ich aber noch auf etwas wirklich Erfreuliches hinweisen: Die Biozid-Verordnung ist ein gutes Beispiel dafür, wie wichtig es ist, dass der Deutsche Bundestag nun durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts und den Vertrag von Lissabon schon zu einem frühen Zeitpunkt die Möglichkeit hat, Entscheidungen auf europäischer Ebene zu beeinflussen. Das deutsche Parlament unterstreicht mit diesem Antrag, dass es beim Schutz der Bevölkerung vor den Gefahren von Bioziden keine Rückschritte zulässt. Das Signal ist klar: Unser Recht auf Mitsprache bei europäischen Entscheidungen werden wir selbstbewusst wahrnehmen!