Biologische Vielfalt für künftige Generationen bewahren

Bundestagsrede vom 7. Oktober 2010

„Wir müssen Klimaschutz und Biodiversität gemeinsam denken“, hat Frau Bundeskanzlerin Merkel gestern in ihrer Rede auf der Konferenz zu Klimaschutz und Biologischer Vielfalt hier im Bundestag gesagt und Sie hat es mit einem eindrucksvollen Beispiel belegt: Durch den klimawandelbedingten Anstieg der Meeresspiegel stehen die Korallenriffe buchstäblich vor dem Untergang. Dieses Beispiel zeigt, wie die Dinge zusammenhängen. Frau Merkel hat zugleich deutlich gemacht, ich zitiere: „Mit jedem Jahr, das wir verlieren, ist die Anstrengung nachher um so größer. Nichtstun wird sich bitterlich rächen“. Wir alle wissen, die Ursachen und Folgen des Artenschwundes sind auf vielfache Weise mit den Ursachen und Folgen des Klimawandels verbunden. Ein im Aufbau befindlicher Atlas der UNEP zeigt, wie Gebiete mit besonders hohem Artenreichtum und Gebiete mit überdurchschnittlicher CO2-Speicherung zusammenhängen und überdecken. Es gilt deshalb dem Verlust an biologischer Vielfalt mit gleicher Priorität entgegenzutreten, wie den Ursachen für den Klimawandel.

Ich halte es für äußerst bemerkenswert, in Zeiten massiver Auseinandersetzungen und Konflikte in der Atom- und Energiepolitik, dass es in kürzester Zeit gelungen ist, einen so umfassenden und fundierten gemeinsamen Antrag zur Bewahrung der Biologischen Vielfalt und zum Schutz unserer Lebensgrundlagen auf den Weg zu bringen. An dieser Stelle möchte ich mich bei allen bedanken, die konstruktiv zu diesem Erfolg beigetragen haben. Der gemeinsame Antrag ist nicht nur ein gutes Zeichen für das Deutsche Parlament, er ist auch ein eindeutiges Signal an unsere Partner im Kampf gegen den Klimawandel und den Artenschwund. Ich bin der festen Überzeugung, dass der Erhalt der Artenvielfalt nicht nur eine ethische Verpflichtung zur Bewahrung der Schöpfung ist, sondern auch eine existentielle Bedeutung für das Wohlergehen heutiger und künftiger Generationen hat.

In wenigen Tagen wird die internationale Konferenz zum Übereinkommen über die Biologische Vielfalt in Nagoya, Japan, statt finden. Der gemeinsame Antrag kommt somit genau zum richtigen Zeitpunkt. Lassen Sie mich drei Punkte herausgreifen, die zeigen, warum dieser Antrag so bedeutend ist.

Erstens: Wir brauchen ein klares Biodiversitätsziel im strategischen Plan der Konvention. Der strategische Plan ist der Teil der Konvention, in dem verbindliche Ziele definiert werden.

Zweitens: Wir brauchen eine wirksame, gerechte und völkerrechtlich verbindliche Übereinkunft für den Zugang zu genetischen Ressourcen und den Vorteilsausgleich. Ein Großteil der natürlichen Vielfalt befindet sich in den Entwicklungsländern, die nicht über die notwendigen Finanzmittel verfügen, um die Artenvielfalt mit all ihren Wohlfahrtsleistungen aus eigener Kraft zu schützen. Zugleich ist die Biologische Vielfalt der Regenwälder ein Schatz für die Forschung und Wirtschaft in vielen Industrieländern.

Drittens: Wir brauchen einen langfristigen und verlässlichen Finanzierungsmechanismus für die Errichtung und dauerhafte Sicherung eines weltweiten Schutzgebietsnetzes. Dazu gehört elementar auch der Waldschutz. Deutschland hat 500 Millionen Euro bis 2012 und ab 2012 jährlich 500 Millionen für den Erhalt und die nachhaltige Entwicklung bedrohter Ökosysteme, insbesondere Wälder, zugesagt. Diese Mittel müssen nun auch eingesetzt werden!

Man kann die Frage stellen, warum sollen wir hier in Deutschland für den Erhalt der tropischen Urwälder bezahlen?

Die Antwort ist: So wie die europäischen Landwirte erwarten, von der Allgemeinheit für Leistungen des Umweltschutzes entschädigt zu werden, genau so erwarten die Menschen in den Entwicklungsländern finanziellen Ausgleich für den Schutz der Artenvielfalt, deren wirtschaftliche Vorteile hauptsächlich den Industrieländern zugute kommen.

Norwegen gibt für den Schutz der tropischen Wälder seit 2007 jährlich 500 Millionen US Dollar und in diesem Jahr nochmals eine Milliarde US Dollar zusätzlich aus.

Der Biodiversitätsverlust trifft die wirtschaftlich schwächsten Regionen der Erde am stärksten. Die biologische Vielfalt leistet besonders in Entwicklungs- und Schwellenländern einen unverzichtbaren Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung, Armutsbekämpfung, Ernährungssicherung, Trinkwasserschutz, Klimaschutz und Anpassung an den Klimawandel.

Wer Leistungen für die Gesellschaft erbringt, muss dafür besser gestellt sein als derjenige, der nur die gesetzlichen Mindestanforderungen erfüllt oder zur Zerstörung der Artenvielfalt beiträgt.

Auch in unserem Land gibt es Artenverluste. Nur ein Beispiel: Nach dem Auslaufen der EU-Flächenstillegungsprogramme steht heutzutage eine der bekanntesten Vogelarten der offenen Kulturlandschaft, die Feldlerche, auf der Roten Liste. In Deutschland hat der Bestand zwischen 1980 und 2005 um etwa 30 % abgenommen. Bei der Neuregelung der gemeinsamen Agrarpolitik muss deshalb der Schutz der Biologischen Vielfalt berücksichtigt und honoriert werden. Mit dem kooperativen Naturschutz, wie er mit den Landschaftspflegeverbänden heute schon praktiziert wird, haben wir ein brauchbares Instrument, um die Biologische Vielfalt in Deutschland zu stabilisieren.

Ich möchte zum Schluss nochmals auf die Worte von Frau Merkel zurückkommen: „Wir müssen Klimaschutz und Biodiversität gemeinsam denken“. Ich füge hinzu, wir müssen Biodiversität und Waldschutz gemeinsam denken und wir müssen Biodiversität und Landwirtschaft gemeinsam denken.

Das Thema biologische Vielfalt muss deshalb in allen Politik- und Wirtschaftsbereichen wie zum Beispiel der Haushalts-, Wirtschafts-, Agrar-, Fischerei-, Wald-, Klima-, Verkehrs- und Bau- sowie der Bildungs- und Forschungspolitik kooperativ verankert werden.

Erlauben Sie mir an dieser Stelle eine Anmerkung zur europäischen Wasserrahmenrichtlinie (WRRL): Die Wasserrahmenrichtlinie ist ein Positivbeispiel, wie die nachhaltige Nutzung und der Erhalt der Fließgewässer kombiniert werden kann. Die Wasserrahmenrichtlinie sollte deshalb in größerem Umfang für Artenschutzziele genutzt werden.

Der Blick auf die weltweite Verantwortung darf nicht den Blick für das konkrete Verhalten im eigenen Lebensbereich verdecken. Trotz der gigantischen globalen Herausforderungen dürfen wir nicht vergessen, dass Jeder seinen Beitrag zum Schutz des Klimas und der biologischen Vielfalt leisten kann. Auf die konkreten Maßnahmen kommt es an. Wir müssen jetzt handeln.

Ich glaube, dass wir mit dem heutigen Antrag auf dem richtigen Weg sind.
Wir erwarten deshalb von der Bundesregierung, dass den Worten Taten folgen. Ich wünsche Frau Merkel, Herrn Umweltminister Röttgen und der deutschen Delegation viel Erfolg bei den Verhandlungen in Nagoya.