Natur und Landschaft als Zukunftsfaktoren ländlicher Räume

Rede bei der Tagung der Verbraucherzentrale Bundesverband in Berlin am 30. Juni 2005 "Hat der ländliche Raum eine Zukunft?"

Das Berlin-Institut für Weltbevölkerung und globale Entwicklung gab im April 2004 nach dreijähriger Vorarbeit die Studie „Deutschland 2020" heraus.

Die wichtigsten Ergebnisse:

  • Schöne Landschaft allein kann fehlende Arbeitsplätze nicht aufwiegen, aber
  • im Wettbewerb um Arbeitsplätze entscheiden immer mehr gesunde Natur, attraktive Freizeitmöglichkeiten und das regionale Lebensgefühl.
  • Immer mehr Menschen suchen als Ausgleich zum hektischen Berufsleben Ruhe und Weite. Naturräume gewinnen einen besonderen Wert.

Neues Schlagwort Cluster-Bildung

Vor allem ländliche Gebiete können immer weniger auf Hilfe von außen hoffen. Sie brauchen regionaltypisches Profil, Herausarbeiten ihrer besonderen Stärken und gutes Zusammenspiel der örtlichen Akteure. Regionale Kooperation als Gegenstrategie zur globalen Konzentration muss das Motto sein.
Nicht zufällig wurde der Begriff Cluster-Bildung zum aktuellen Schlagwort der Wirtschaftspolitik. Leider deuten ihn viele Politiker nur räumlich. Sie verlangen die Konzentration der Förderung auf Schwerpunkte. Was soll dann aber mit dem übrigen Land geschehen? Das englische Wort „cluster" bedeutet aber Traube, Büschel oder Schwarm und „cluster together" heißt übersetzt „sich scharen um".
Damit sind wir bei der Ursprungsidee der Regionalbewegung: Kräfte bündeln, aufeinander zugehen, unverwechselbares Profil entwickeln, spezielle Stärken ausbauen und dadurch Wertschöpfung erzielen. Diese Strategie ist unabhängig von Ort und Größe. Cluster-Bildung kann es in abseits liegenden ländlichen Räumen genauso geben wie in Metropol-Regionen.
Die im Deutschen Verband für Landschaftspflege zusammengefassten Organisationen arbeiten genau nach diesem Prinzip.

  • Sie vereinen Kommunalpolitiker, Landwirte und Naturschützer auf freiwilliger Basis. So kann sich ein vertrauensvolles Miteinander bilden, das es viel leichter macht, Probleme konsensorientiert zu lösen.
  • Die Landschaftspflegeverbände verknüpfen den Erhalt der Kulturlandschaften bewusst mit regionaltypischen Produkten und naturbetontem Tourismus,
  • sie achten auf konsequente Kostensenkung, zum Beispiel durch Landschaftspflege mit Weidetieren statt mit Maschinen.
  • Sie sorgen dafür, dass aus jedem Förder-Euro zusätzliche Wirtschaftskraft mit Arbeit und Einkommen vor Ort entsteht.

Es setzt sich die Erkenntnis durch: Regionale Wirtschaftskreisläufe stabilisieren globale Wirtschaftskreisläufe.

Lebendige ländliche Räume

Auf dem Land kann man gut leben - wenn man einen Arbeitsplatz in erreichbarer Nähe hat. Die tragenden Säulen der Wirtschaft sind hier Mittelstandsfirmen, Handwerksbetriebe und die Landwirtschaft. Sie brauchen die besondere Unterstützung der Politik, damit mehr junge Leute in ihrer angestammten Heimat bleiben und sich dort eine Existenz aufbauen können.
Positionen:

  • Beibehaltung europäischer Programme für ländliche Entwicklung; sie sind unverzichtbar zur Sicherung gleichwertiger Lebensverhältnisse (GG Art. 72 Abs. 2);
  • der Europäische Agrarrat verabschiedete am 21. Juni 2005 die Verordnung zur Förderung ländlicher Räume (ELER) für den Zeitraum 2007 - 2013; die Umsetzung lokaler Entwicklungsstrategien kann künftig durch „public-private-partnerships" erfolgen;
  • Beibehaltung der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur";
  • Mehr Freiraum für die Kommunalpolitiker beim Einsatz der Mittel (Globalbudgets)
  • Privilegierter Marktzugang für Unternehmen, die sich verpflichten, dünn besiedelte Gebiete mit zu versorgen.

Landwirtschaft

Die Einkommen der Bauern sind in den letzten Jahren vor allem für Milchvieh- und Veredlungsbetriebe zurückgegangen. Monatlich stehen je Arbeitskraft nur noch etwa 1.600 Euro brutto für Lebenshaltung, soziale Sicherung und Investitionen zur Verfügung. Knapp die Hälfte der landwirtschaftlichen Haupterwerbsbetriebe liegt außerdem in benachteiligten Gebieten. Der Gewinn je Betrieb ist hier um 50 Prozent niedriger als außerhalb.
Gesetzlich ist das Ziel der Teilnahme der Landwirtschaft an der allgemeinen Einkommensentwicklung festgeschrieben. Die Realität sieht anders aus - über 80 Prozent der Haupterwerbsbetriebe erreichen den gewerblichen Vergleichslohn nicht. In Deutschland hängt immer noch jeder neunte Arbeitsplatz an der Landwirtschaft, sie bildet damit den Kern standorttreuer Arbeitsplätze im ländlichen Raum.

Positionen:

  • Nur solche Produktionsauflagen, die auch für importierte Lebensmittel durchgesetzt werden können;
  • Biomassenutzung als neues Standbein der Landwirte verlässlich weiter fördern;
  • Förderung der Unfall-, Kranken- und Altersversicherung, damit für Bauernfamilien keine höheren Beiträge als für andere Bevölkerungsgruppen zu zahlen sind.

Umwelt

Intakte Landschaften werden als Standortfaktoren immer wichtiger. Sie tragen wesentlich zu einer positiven regionalen Wirtschaftsentwicklung bei. Der Erhalt der Artenvielfalt und Kulturlandschaft ist daher ein zentrales Anliegen. Bei einer Umfrage „Was gefällt Ihnen in Bayern am besten?" wurde kürzlich von zwölf Möglichkeiten mit Abstand am häufigsten „die Landschaft" genannt.
Umweltschutz ist auch ein wirtschaftliches Thema. In der Verknüpfung von Umweltvorsorge und Beschäftigung liegen enorme Zukunftschancen für deutsche Arbeitsplätze. Mehr Wertschöpfung aus weniger Material und Energie - das spart Kosten und verschafft einen Wettbewerbsvorsprung. China hat zum Beispiel ab 2005 Höchstgrenzen für den Spritverbrauch neuer Autos festgelegt. Das Land will damit seine stark wachsende Wirtschaft weniger abhängig von Ölimporten machen. Alle Hersteller müssen nun ihre Motoren anpassen, um weiterhin Autos auf dem chinesischen Markt verkaufen zu können.

Positionen:

  • Umweltschutz gemeinsam mit der Wirtschaft weiter entwickeln;
  • Neue Arbeitsmöglichkeiten mit neuen Verfahren und Produkten, die Material und Energie einsparen;
  • Berechenbare und verlässliche Ziele der Politik schaffen;
  • Güter, die keinen Marktpreis haben, wie Ruhe, frische Luft oder wildlebende Arten über politische Vorgaben in Wert setzen.

Quintessenz

Die wirtschaftliche Wohlfahrt des gesamten Landes steigt, wenn die ländlichen Räume belebt sind und naturverträglich genutzt werden!