Die Kraft der Region

Rede von Josef Göppel zur Eröffnung der Wirtschaftsausstellung AGIL am 3. Mai 2003 in Leutershausen

Am 03.05.2003 eröffnete Josef Göppel die Wirtschaftsausstellung AGIL in Leutershausen. Hier sein Redetext:

Diese Ausstellung findet zu einer Zeit statt, in der die Stimmung in der deutschen Wirtschaft so schlecht ist wie seit langem nicht mehr. Wir haben eine schwache Weltkonjunktur. In Deutschland gründet die Krise aber vor allem auf dem Vertrauensschwund gegenüber der Regierungspolitik: Keine klare Linie erkennbar, ständig neu verunsichernde Vorschläge und letztlich doch Stillstand. Die großen Reformen kommen nicht voran.
In den letzten Wochen befragte ich eine Reihe von Mittelständlern, die auf dieser Ausstellung vertreten sind: "Was sind Ihre drei wichtigsten Wünsche an die Politik?" Als Antwort bekam ich immer wieder dasselbe zu hören:
Senkt die Lohnnebenkosten
Baut den bürokratischen Wust ab
Schafft verlässliche Rahmenbedingungen für ein gutes Konsumklima
Die deutschen Nettolöhne sind im europäischen Vergleich eher niedrig, zu hoch liegen wir bei den Bruttolöhnen. Die Reform der Renten- und Krankenversicherung ist ein zentrales Problem, damit es mit den Arbeitsplätzen in Deutschland wieder aufwärts geht. An mehr Eigenvorsorge und Eigenbeteiligung kommen wir nicht vorbei! Freudige Zustimmung wird es bei Einschnitten nie geben. Reformen müssen insgesamt sozial ausgewogen sein. Alle Schichten und Berufsgruppen müssen einen Anteil tragen.
Auf dem Gebiet der Steuerpolitik hat die vor drei Jahren eingeführte einseitige Bevorzugung der international verankerten Unternehmen den Mittelstand schwer benachteiligt: Verrechnung von Gewinnen hier mit Verlusten dort und steuerfreier Verkauf von Anteilen. Durch den Beschluss des Bundesrates vor einem Monat wurde wenigstens teilweise wieder Wettbewerbsgleichheit hergestellt.
Auf lange Sicht geht es darum, die Innovationskraft der Technik so zu lenken, dass sie nicht immer mehr Menschen freisetzt, sondern Material und Energie einspart. Dazu brauchen wir eine europäisch abgestimmte, zielgerichtete Steuerpolitik.
Die Eindämmung des bürokratischen Aufwands ist eine Daueraufgabe. In meinen acht Jahren im Bayerischen Landtag habe ich allein drei Kommissionen zur Verwaltungsvereinfachung miterlebt. Die Neigung der Deutschen, einen Fall, der irgendwo auftritt, allgemeingültig für alle zu regeln, schafft immer wieder neue Vorschriften. Sogar europäische Richtlinien gehen bei genauerem Hinsehen oft auf Forderungen aus Deutschland zurück. Von dieser Mentalität müssen wir weg! Wir brauchen mehr Freiraum für die unteren Ebenen. Es muss nicht jeder denkbare Fall zentral geregelt sein. Ich bemühe mich auf der Ebene des Bundes darum, ein Vergaberecht durchzusetzen, das den Gemeinden und Landkreisen bei Auftragsvergaben mehr Entscheidungsspielräume als bisher einräumt.
Das Vertrauen in die örtlichen Politiker teilt übrigens unsere Bevölkerung. Sonst wäre es nicht möglich gewesen, dass bei der STERN-Umfrage "Wie zufrieden sind Sie mit der örtlichen Politik?" Westmittelfranken von 97 deutschen Regionen auf Platz 1 gelangte. Die Einstellung der Kommunalpolitiker zur örtlichen Wirtschaft ist heute praktisch in allen Gemeinden von Verständnis und Hilfsbereitschaft geprägt. Ich weiß aus nun 31 Jahren Stadtratsarbeit, wie sehr die gemeindliche Politik das Fortkommen ihrer Betriebe fördern oder hemmen kann.
Nicht zuletzt aus dieser gemeinsamen Kraftanstrengung heraus gehört Westmittelfranken heute zu den Aufsteigerregionen in Bayern. Die sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnisse im Wahlkreis Ansbach-Weißenburg-Gunzenhausen stiegen zwischen 1990 und 2002 von 93.000 auf 101.000. Die vier AGIL-Gemeinden Leutershausen, Aurach, Herrieden und Burgoberbach können ihren 12.000 Einwohnern im erwerbsfähigen Alter zwischen 18 und 65  6.000 Arbeitsplätze vor Ort bieten. Das ist ein großartiges Ergebnis für einen ländlichen Raum. Die Steuerkraft je Einwohner in diesen vier Gemeinden stieg in den letzten 12 Jahren um satte 113 Prozent. Im Landkreis Ansbach um 53 Prozent und im bayerischen Durchschnitt um 43 Prozent. Aus diesen Zahlen wird deutlich, warum wir mit Fug und Recht von einer Aufsteigerregion sprechen können.
Bis heute sind auch die Arbeitslosenzahlen hier unter dem bayerischen Durchschnitt geblieben. Den deutschen Durchschnitt kann unsere Region ohnehin weit unterbieten. Damit sind wir wieder beim Wert von Handwerk und Mittelstand. Unsere Betriebe stellen ihre Leute nicht so schnell aus wie ferngelenkte Konzernzweigstellen es tun. Gerade deswegen ist es höchste Zeit, die einstellungshemmende Schwelle beim Kündigungsschutz ab fünf Beschäftigten anzuheben.Ein aktuelles Thema in der Bundespolitik ist auch die Anpassung der Handwerksordnung an europäische Verhältnisse. Ich bin dagegen, die Ausbildereignungsprüfung abzuschaffen oder gar unser Meistersystem über Bord zu werfen. Man kann einem Betriebsinhaber künftig auch in Personengesellschaften ermöglichen, einen Mitarbeiter mit dem großen Befähigungsnachweis einzustellen und damit den Betrieb zu führen, so wie das in Kapitalgesellschaften schon der Fall ist - das ja, aber nicht das deutsche System an sich aufgeben und damit die Qualität senken.
Wer durch regionale Wirtschaftsausstellungen geht, wundert sich immer wieder, was es in seiner Nähe alles gibt. Das zeigt, wie wichtig die regionale Präsentation unserer Firmen als Marktplatz und Schaufenster ist. Virtuelle Marktplätze im Internet sind auch wichtig, aber die echte Begegnung Auge in Auge ist immer noch wichtiger. Deshalb danke ich allen Initiatoren dieser Ausstellung für ihr Engagement. Bei dieser Ausstellung wird auch kein Eintrittsgeld verlangt. Das bedeutet, dass sämtliche Kosten allein von den Ausstellern getragen werden. Deshalb rufe ich allen Besucherinnen und Besuchern der Ausstellung zu: Nutzen Sie die günstigen Messeangebote, lassen Sie sich inspirieren und kaufen Sie von einem regionalen Anbieter, was Sie schon lange anschaffen wollten. Machen Sie sich bewusst: Einkaufen in der Nähe stärkt auch Ihr persönliches wirtschaftliches Fundament. Warum das so ist? Wenn in einem Ort Geschäfte schließen und Handwerksbetrieb zumachen, dann ist plötzlich auch ihr Eigenheim weniger wert, weil es in einer Verliererregion steht. Global denken und regional handeln bekommt vor diesem Hintergrund wieder einen hoch aktuellen Stellenwert. Wir müssen der globalen Konzentration die regionale Kooperation entgegensetzen. Die Devise muss heißen: Wirtschaften mit offenem Blick auf die Welt, aber zusammenhalten in der eigenen Region, wo immer das geht.
Westmittelfranken, das ist die Region der reichen Kultur und der intakten Landschaft. Eine Region der Regsamkeit, aber auch der Weite und Stille; ein Land, in dem immer mehr Menschen Urlaub machen. Erst vor kurzem benannte eine Focus-Umfrage den Altmühlradweg als einen der drei attraktivsten in Deutschland. Hier ist unsere Heimat!
Gerade am Tourismus unserer Region wird der Zusammenhang zwischen örtlichem Wirtschafserfolg und überörtlichen politischen Rahmenbedingungen besonders deutlich. Die wirksamste Förderung für den Urlaub in Deutschland ist, die Steuerfreiheit des Flugbenzins zu beenden und die damit verbundene Wettbewerbsverzerrung zu beseitigen.
Ich wünsche, dass wir nach dieser Ausstellung sagen können, sie hat dazu beigetragen, die allgemeine Zuversicht wieder ein Stück zu heben und erkläre die Ausstellung AGIL 2003 für eröffnet.