Regionalbewegungen als Korrektiv zur Globalisierung

Referat vor der Studiengruppe Entwicklungsprobleme der Industriegesellschaft

Würzburg, 01.02.2002 - Eine aktuelle Ausprägung der Fortschrittsbewältigung im Zusammenhang mit der Globalisierung sind die Regionalbewegungen. Sie keimen seit etwa 10 Jahren überall auf, in Europa aber auch in Entwicklungsländern. Den Regionalbewegungen geht es um die Pflege unverwechselbarer Eigenarten des jeweiligen Gebietes um den Menschen Heimatgefühl und Verwurzelung zu geben.

Europa soll nicht werden wie Amerika! Das europäische Kulturmodell soll der Welt zeigen, dass Einheit auch in Vielfalt möglich ist und eben nicht zu einer Gleichmacherei der Lebensformen führen muss. Damit verbindet sich höherer Lebensgenuss. Der Reiz des Reisens liegt ja zum Beispiel gerade darin, das Andersartige zu entdecken in der Sprache, bei den Speisen, in der Architektur oder im Verhalten. Europa ein Kontinent pulsierender Regionen, die über eine gemeinsame Rechtsordnung, Währung und politische Vertretung miteinander verbunden sind - das ist das Ziel. Ein solches gesellschaftliches Leitbild wirkt der Anonymität entgegen. Es gibt den Menschen Selbstbewusstsein und fördert den gesunden Wettbewerb zwischen den Regionen.

Der von manchen befürchteten Abschottung wirken die technischen Möglichkeiten unserer Zivilisation entgegen, Internet, Mobilität. Regionen etwa wie Bayern, Schottland oder Andalusien sind andererseits so klein, dass sie das schützende Dach der europäischen Institutionen brauchen. So wirkt gerade die Pflege der Regionalkulturen einem Rückfall in nationalstaatliches Denken entgegen.

Stellen wir uns ein Europa mit 30 Mitgliedsstaaten vor. Wie wollen wir verhüten, dass die Parole unserer Enkel einstmals nicht "los von Brüssel" heißt? Am ehesten geht das wohl doch wohl mit der Beheimatung der Menschen in überschaubaren Lebensräumen, in denen sie ihre Angelegenheiten weitestgehend autonom regeln können. Auf der anderen Seite ermöglicht ihnen das gemeinsame europäische Dach, sich auf dem ganzen Kontinent frei zu bewegen, niederzulassen, sich auszubilden, zu arbeiten. Der Spannungsbogen zwischen ausgreifendem Leben in einem großen Raum und der Rückzugsmöglichkeit ins Vertraute wird ein Merkmal der Informationsgesellschaft sein.

Schauen wir uns an, wie Netzwerke in der Natur beschaffen sind. Ein Wald, ein See mit seinen Ufern oder eine Wiese weisen immer die gleichen Merkmale auf: alles ist funktional mit allem verbunden. Es gibt aber im Gesamtgefüge Bereiche mit intensiveren Verflechtungen zueinander. Das Leben in diesen verdichteten Knoten funktioniert auch dann noch, wenn in den Außenbeziehungen Störungen auftreten.

Der globalisierte Welthandel zeigt ein anderes Muster. Auch hier ist alles mit allem verbunden, jedoch auf eine einschichtige, monotone Weise. Reißt ein Faden, so zittert leicht das ganze Netz. Streikende Lkw-Fahrer, die einen Pyrenäen-Pass blockieren und so das VW-Werk in Wolfsburg zum Stehen bringen, mögen dafür ein Beispiel sein.

Ob in wirtschaftlicher, sozialer oder ökologischer Hinsicht - das natürliche Organisationsmuster ist stabiler, ressourcenschonender und effizienter!

In der Gedankenwelt solcher Strukturen findet sich auch eine Antwort auf das politische Grundproblem des Wirtschaftswachstums. Das Wachstum der Wirtschaft soll immer weitergehen, aber in der Natur gibt es kein unendliches Wachstum. Nehmen wir als Maßstab doch uns selbst. Unser Gehirn wächst quantitativ nur eine kurze Zeit. Schon in jungen Jahren hat die Hirnschale ihre endgültige Größe erreicht. Von jetzt an findet Wachstum als Differenzierung statt. Die Synapsen des Gehirns und ihre Kombinationsmöglichkeiten sind so zahlreich, dass kein Mensch sie je ausschöpfen könnte.

Individualität, Differenzierung, Losgröße eins sind Stichworte, die das nachindustrielle Wirtschaften prägen werden. Es schimmert hier auch ein Zusammenhang auf zwischen der Beschaffenheit natürlicher Netzwerke, der Vielfalt von Kulturen und einem dauerhaft naturverträglichen Wirtschaftsmodell. Darüber eine breite gesellschaftliche Diskussion zu führen ist aller Anstrengung wert.