Zwischen den Welten

Portrait von Josef Göppel im Magazin "Neue Energie" Dezember 2014

Josef Göppel braucht gute Nerven: Seit mehr als 40 Jahren, zwölf davon im Bundestag, tritt er in der CSU für die Bewahrung der Schöpfung ein. Für ihn heißt das: Umweltschutz, dezentrale Energiewende, das immerwährende Wachstum hinterfragen. Zur Not auch als einziger im Saal.

Von Tim Altegör

Nun ist also passiert, wovor sich Windkraftfreunde im Süden der Republik seit Monaten fürchten: Mit ihrer absoluten Mehrheit im Bayerischen Landtag hat die CSU den Mindestabstand von Windrädern zu Wohngebäuden drastisch erhöht (siehe Seite 10). Kein einziges Mitglied der CSU-Fraktion verweigerte der berüchtigten 10H-Regel die Zustimmung. Zumindest das wäre nicht geschehen, wenn Josef Göppel noch im Landtag säße. Acht Jahre lang, von 1994 bis 2002, hat Göppel in München Politik gemacht, dann wechselte er nach Berlin. Dass er auf seinen Positionen besteht, und dazu gehört die Ablehnung der neuen Abstandsregel, hat er seitdem im Bundestag zur Genüge bewiesen: Gegen die schwarz-gelbe Laufzeitverlängerung für Atommeiler hat er gestimmt, gegen die EEG-Novelle im Sommer dieses Jahres ebenso.

„Parteiintern gilt Göppel als manchmal unbequemer und hartnäckiger Querdenker“, steht auf seiner Internetseite. Das ist freundlich formuliert, während seines jahrzehntelangen Kampfes für mehr Umweltschutz und erneuerbare Energien in der Union durfte sich Göppel einiges anhören. Er sei wohl ein „verkappter Grüner“ hieß es schon 1991 in einem Spiegel-Artikel über ihn aus CSU-Kreisen. Damals wurde Göppel Vorsitzender des Umweltarbeitskreises der Partei, den er bis heute leitet, und schreckte die Parteispitze unter anderem mit der Forderung nach einem allgemeinen Tempolimit auf.

„Ich bin von meinem Wesen her eigentlich kein Rebell“, sagt Göppel selbst. „Aber ich möchte ein Leben und Wirtschaften im Einklang mit der Natur. Ich fordere das in einer christlichen Partei. Und natürlich tut es den anderen manchmal weh, wenn man den Finger in diese Wunde legt: Das C im Namen zu tragen und dann in der konkreten Politik die Lebensgrundlagen oftmals an den Rand zu schieben.“

Wie ein Rebell wirkt Göppel tatsächlich nicht. Im Gespräch ist er freundlich und nimmt sich vor allem Zeit, bei der Begrüßung genauso wie für seine Antworten. Man merkt: Er denkt die Dinge gerne gründlich durch. Aber wenn er sich mit etwas sicher ist, dann lässt er sich von seinem Weg kaum mehr abbringen. Seit mehr als 40 Jahren macht er jetzt Politik, vor dem Landtagsmandat in seiner Heimat Mittelfranken, immer für die CSU, immer für die Umwelt. Dafür braucht man Geduld und Zähigkeit. „Ein stabiles Nervenkostüm“, nennt es Göppel. „Wenn man in einem Saal mit 300 Leuten als einziger eine bestimmte Position vertritt, dann ist das eine Nervensache.“

Bekannt ist zum Beispiel die Geschichte mit der Fichte. Göppel ist von Beruf Förster. Damit landete er bereits in der Jungen Union (JU) beim Umweltthema, mit 19 Jahren trat er 1970 in den Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) ein. Zeitgleich mit dem ersten europäischen Naturschutzjahr wurde damals in Bayern das erste Umweltministerium gegründet. Es habe eine „echte Aufbruchstimmung“ in der CSU gegeben, sagt Göppel. Als es Anfang der 1980er bei einer JU-Konferenz um das Waldsterben geht, schnallt Göppel kurzerhand eine zimmerhohe, kranke Fichte aus seinem Forstrevier auf das Dach seines VW-Käfers und stellt sie in den Saal – als Anschauungsmaterial für alle, die der Natur sonst nicht so nahe kommen.

Für ähnliche Aktionen wurden etwas später auch die Grünen bekannt. Ein Parteiwechsel kam für Göppel aber nicht in Frage, er wollte seine Parteifreunde lieber davon überzeugen, dass konservativ auch heißt, sich für den Erhalt der Natur einzusetzen. „Ich nehme den Konservatismus sehr ernst, das heißt, das Gute zu bewahren“, sagt er. Dass sich stattdessen eher Menschen aus dem linksalternativen Spektrum für Umwelt- und Klimaschutzeinsetzen, wurmt ihn, er hält das für ein „schweres politisches Defizit der Konservativen“. Dabei ist schon einiges anders geworden, seitdem Göppel sein Herzensthema in der Union beackert – ein Atomausstieg, auch mit den Stimmen der CSU, etwa wäre damals in den 1970ern beinahe futuristisch erschienen.

Dass er den Christdemokraten beitreten würde, war fast schon vorherbestimmt. Göppel stammt aus einer Landwirtsfamilie in Herrieden im mittelfränkischen Landkreis Ansbach, sein Vater war auch schon für die CSU kommunalpolitisch aktiv. Außerdem mangelte es an Alternativen: „Anfang der 70er Jahre war es in Bayern auf dem Land noch so: Katholische Landjugend und Junge Union, das ist dieselbe Truppe. Und mehr gab es nicht“, erinnert sich Göppel. Den Hof führt heute in der vierzehnten Generation sein Bruder Franz. Josef Göppel ging in den Wald und dann in die Politik. Inklusive seiner Ausbildung arbeitete er 28 Jahre als Förster, bis zum Einzug in den Landtag 1994.

Der gläubige Christ Göppel, der die Schöpfung bewahren will, und die CSU, das passt zumindest theoretisch. In der Praxis treffen da wirtschaftspolitisch zwei sehr verschiedene Denkweisen aufeinander. Während viele in der Union, wie Gö0ppel moniert, bei allen Bekenntnissen zum Mittelstand große Konzerne als Maß aller Dinge sehen, setzt er sich wie kaum ein anderer für dezentrale Strukturen ein. Göppel steht der Globalisierung distanziert gegenüber, insbesondere der „Nebenwelt des Finanzsektors“, von der er über eine Transaktionssteuer wenigstens einen Beitrag zum Gemeinwohl fordert. Weil das im Gesetz fehlte, versagte er 2011 sogar dem EU-Rettungsschirm seine Zustimmung, trotz allem politischen Druck. Und überhaupt: Muss es wirklich immer Wachstum sein?

So kommen für Göppel erneuerbare Energien gleich doppelt ins Spiel: Als umweltfreundlicher Ersatz für Kohle und Atom uns als Mittel, von zentralen Großstrukturen wegzukommen: „Wenn wir die Versorgungssicherheit ernst nehmen, dann müssen wir die dezentrale, verkaufsnahe Erzeugung fördern, wo immer es geht.“ Dazu gehört auch, dass die Bürger selbst Energie erzeugen können. Göppel erhofft sich, so noch einen Schritt weiter zu gelangen, hin zu einer „Lebensstilwende“: „Die erneuerbaren Energien können ein Einfallstor für einen verantwortungsvolleren Lebensstil sein: Wenn die Menschen nicht bloß passive Konsumenten, sondern Akteure sind, entwickeln sie mehr Verantwortungsgefühl. Das geht das geht dann bis hin zur Frage: Unter welchen Bedingungen ist mein T-Shirt hergestellt? Und wie ernähre ich mich?“

Die Gefährdung der Bürgerenergie war ein Grund, weshalb Göppel gegen die EEG-Novelle gestimmt hat. Dem geplanten Umstieg auf Ausschreibungen sieht er skeptisch entgegen. Er fürchtet, kleinere Akteure könnten damit nicht mehr zum Zuge kommen, und genau um die geht es ihm. Ausgerechnet jetzt hat die CSU offenbar beschlossen, ein Exempel zu statuieren und Göppel nach Jahren der Widerspenstigkeit abzustrafen. Erst versagte ihm die Fraktion den Sitz im Ausschuss für Wirtschaft und Energie, dem seit der letzten Wahl die Energiewende zufällt. Dann verlor er seinen Posten als Obmann der Fraktion im Umweltausschuss, den er seit Jahren innehatte. „Diese Abservierung ist für die CSU kein Ruhmesblatt“, sagt Göppel. Die Fraktionsführung habe offenbar einen Präzedenzfall schaffen wollen, um potenzielle Abweichler einzuschüchtern. Das hänge auch mit Personen zusammen. Unter den verschiedenen Vorgängen von CSU-Chef Horst Seehofer und der Vorsitzenden der Landesgruppe im Bundestag. Gerda Hasselfeldt, habe mehr innerparteiliche Toleranz geherrscht.

Über die Fachkollegen aus allen Fraktionen könne er jedoch weiterhin auf die Energiewende Einfluss nehmen, man arbeitete da gut zusammen. 2003 initiierte er mir einigen davon den „Zunftssalon Umwelt“ für fraktionsübergreifende Veranstaltungen. In seinem Wahlkreis genießt Göppel zudem nach wie vor viel Rückhalt: Bei Bundestagswahlen schneidet er als Direktkandidat regelmäßig besser ab als die CSU, zuletzt 2013 waren es 53,3 zu 47,6 Prozent. Außerdem sitzt er im Landkreis Ansbach im Kreistag. Bei den Kommunalwahlen 2014 listete ihn die CSU auf Platz 42, am Ende erhielt er die meisten Stimmen von allen Kandidaten.

Wenn man Josef Göppel dabei beobachtet, wie er in seinem Berliner Büro sitzt und vom Wald in Herrieden erzählt, wird schnell klar, welchen Ort er vorzieht. Er zeichnet dann mit der Hand Baumkronen in die Luft, blickt in die Ferne jenseits des schmucklosen Raums. „Das ist eine andere Welt. Ich komme heim, gehe mit meinem Jagdhund in den Wald und sofort fällt mir wieder etwas ein. In Berlin bin ich nur, wenn ich dort sein muss.“

Dass sich Göppel eine gewisse Distanz zum Politikbetrieb bewahrt hat, hat aber auch gesundheitliche Gründe. Er hat angeborene Zystennieren, einen Gendefekt, durch den die Nierenleistung stark nachlässt. Seine Frau hat ihm bereits eine Niere gespendet, dennoch muss er regelmäßig zur Dialyse. „Dadurch habe ich Politik immer mit leicht angezogener Handbremse machen müssen“, sagt Göppel. „Es ist ein Unterschied, ob Sie sich in die Parteipolitik voll reinwerfen, auch noch samstags und sonntags. Da musste ich einfach meine Grenzen sehen.“ Mitleid will er deswegen nicht, aber auch nicht als Eigenbrötler gelten. Die Erkrankung habe tatsächlich auch einen Vorteil: Wenn die anderen auf einem der unzähligen parlamentarischen Abende Hände schütteln, liest er während der Dialyse Papiere. „Die fachliche Tiefe gewinnt dadurch. Viele Abgeordnete sind zu sehr in der Tretmühle, bei vielen wäre es besser, sie würde mehr in die Grundlagen gehen. Dafür brauchen Sie Zeit.“

Für die Zeit, wenn Göppel Berlin einmal den Rücken kehrt und vollends nach Mittelfranken zurückkehrt, wird es ihm aller Voraussicht nach auch nicht an Aufgaben mangeln. Seit Oktober 2014 ist er ehrenamtlicher Aufsichtsratsvorsitzender der neu gegründeten „Regionalstrom Franken eG“. Göppel hat die Genossenschaft selbst initiiert. Die Idee dahinter: Kleine Erzeuger, in der Region seien das potenziell immerhin 46 000, vermarkten ihren Strom gemeinsam und haben damit auch ein wirtschaftliches Auffangnetz, wenn die 20-jährige EEG-Vergütung für ihre Anlagen endet. Ähnliche Modelle erwartet Göppel auch in anderen Teilen Deutschlands: „Dadurch stellen wir sicher, dass die Stromerzeugung auf viele Schultern verteilt bleibt und kleine Anbieter am Markt Bestand haben.“ Zudem soll so zum beiderseitigen Vorteil eine Kooperation von Städten und dem jeweiligen Umland entstehen. Die ländlichen Erzeuger bekommen einen verlässlichen Absatzmarkt, die Verbraucher in den Städten sparen Netzkosten, weil der Strom aus der Region kommt. Seit dessen Gründung 1993 ist Göppel außerdem Vorsitzender des Deutschen Verbands für Landschaftspflege, der einen Ausgleich zwischen den Interessen von Naturschützern, Landwirten und Kommunalpolitikern schaffen soll. Schon das regionale Vorbild in Mittelfranken hatte er 1986 ins Leben gerufen.

Sorgen um seine politische Nachfolge mache er sich nicht, sagt Göppel, „da wachsen immer wieder welche nach. Man braucht die Gelassenheit zu akzeptieren, dass andere weiter machen werden. Wenn Sie sehen wie der Wind über die Baumwipfel streicht, dann kriegen Sie die Gelassenheit.“ Er berichtet von der Degrowth-Konferenz in Leipzig zur Nach-Wachstums-Ökonomie mit ein paar tausend Teilnehmern, die eine seiner vier Töchter mitorganisiert hat. „Diejenigen, die fragen, unter welchen Bedingungen ihre Kleidung hergestellt wird, das sind die Leute an der Spitze der Entwicklung, während andere noch darüber lachen.“ Allerdings engagieren sich diese Leute meist außerhalb der Parteien. Die Wachstumsideologie in Frage zu stellen grenze in der Union bisher an Gotteslästerung, sagt Göppel. „Mit einer gewissen Belustigung“ habe er gelesen, dass die Partei jetzt eine Online-Mitgliedschaft plant, um für junge Menschen attraktiver zu werden. Seine Lösung ist eine andere, sie passt zu Göppels politischem Wirken: Soziale Gerechtigkeit und Rücksicht auf die Natur in den Vordergrund stellen, Standpunkte auf Basis konservativer Werte vertreten, auch wenn sie unbequem sind: „Den Leuten gefällt es, wenn Politiker ihre Meinung sagen, nicht so glitschig sind. Gerade junge Mensch können sich daran orientieren und dann ihre eigenen Schlüsse ziehen.“