Die Burg sieht nur noch trutzig aus

FAZ am Sonntag vom 25. März 2012

In der Union schwindet der Widerstand gegen ein Gesetz für Frauen in Führungspositionen. Sogar Männer bekennen sich zur Quote. Von Christiane Hoffmann

Marco Wanderwitz muss keine Angst haben, als Softie zu gelten. Dafür ist der sächsische Bundestagsabgeordnete viel zu kämpferisch. Seine Gangart ist der Sturmschritt. Die Tonlage ein mit Bestimmtheit vorgetragener leicht sächselnder Schnellsprech. Angst, anzuecken? Kennt er nicht. Im Herbst stimmte Wanderwitz trotz des Drucks der Parteiführung gegen die EFSF. Vor drei Wochen schlug der 36 Jahre alte Vorsitzende der "Jungen Gruppe", eines Zusammenschlusses junger Unionsabgeordneter, eine Sonderabgabe für Kinderlose vor - und erntete zum Teil leidenschaftliche Ablehnung. Und jüngst unterzeichnete Wanderwitz als erster männlicher Unionspolitiker die "Berliner Erklärung", die eine Quote von 30 Prozent für Frauen in Aufsichtsräten fordert. Auch parteiintern tritt Wanderwitz für die Quote ein. Vor zwei Wochen sollte in  der Arbeitsgruppe Recht das Thema mit der Bemerkung vom Tisch gewischt werden, man sei doch sowieso einhellig dagegen. Wanderwitz stand gemeinsam mit dem Berliner Abgeordneten Jan-Marco Luczak auf und widersprach. Wie gesagt, die Männer, die heute in der Union für die Frauenquote eintreten, sind keine Softies. Und die Quote ist selbst unter Konservativen kein Frauenthema mehr.

"Wir wollen zeigen, dass es in der Union auch moderne Männer gibt", sagt Luczak. In der Unionsfraktion, so Wanderwitz, sei das Meinungsbild   keineswegs so eindeutig, wie man vielleicht denke. Fast alle Frauen   befürworten die Quote und eben neuerdings auch einige Männer. "Die Befürworter der Quote sind nicht nur eine kleine Minderheit." Wanderwitz, der  seinen Wahlkreis als den "Speckgürtel von Chemnitz" bezeichnet, glaubt, dass vor allem die jüngeren und ostdeutschen Abgeordneten Quotenfreunde sind.  Aber sogar ein Bayer hat inzwischen die "Berliner Erklärung" unterzeichnet, besser gesagt ein Franke: der CSU-Abgeordnete Josef Göppel. Göppel, Jahrgang 1950, gehört keineswegs zu den jüngeren Abgeordneten. Aber was  Frauen und Karriere angeht, weiß er, wovon er spricht: Göppel ist Vater von vier Töchtern, die in Ausbildung und Beruf stehen.

Die Töchterväter sind beim Umdenken in Richtung Quote ein wichtiger Faktor, der, so berichtet eine Unionsfrau, mittlerweile sogar im Wirtschaftsausschuss  mitspielt. Dort ist der Widerstand gegen gesetzliche Vorschriften für die Unternehmen naturgemäß am stärksten. Aber auch dort hören Unionsfrauen  neuerdings hinter vorgehaltener Hand: "Eigentlich habt ihr recht, ich sehe es  an meiner Tochter."

Göppel ist sicher, dass die Quote kommen wird. Selbst in der CSU hält er den Widerstand nicht mehr für wirklich ernsthaft. Das sei wie eine Burg, deren obere Wehrgänge schon verlassen sind, sagt er. "Sie sieht nur noch trutzig aus." Die Zeit sei reif, auch in der CSU wagten immer weniger Männer, sich offen gegen die Quote zu stellen. Derzeit schrecken viele vor einer klaren Stellungnahme zurück. Von zehn angefragten Abgeordneten zog die Hälfte es vor, sich nicht zu äußern, darunter - unter dem Hinweis, er sei mit den Ereignissen im Nahen Osten beschäftigt - auch der Vorsitzende der Jungen Union, Philipp Mißfelder. Wanderwitz fordert, dass sich die Fraktionsversammlung mit dem Thema befassen soll. "Wir brauchen ein Meinungsbild", sagt er.

Mit der Frauenquote werde es kommen wie mit dem Atomausstieg, sagt Göppel: „Wenn die Führung umschwenkt, sind plötzlich alle dafür."

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