Reden statt Roden

Financial Times Deutschland vom 29. Dezember 2010

Der Klimagipfel in Cancún hat zunächst nur Papier produziert. Langfristig könnte er Bäume retten, zum Beispiel bei den Maya

Nikolai Fichtner, Carrillo Puerto

Don Felix ist etwas aufgeregt, es kommt selten vor, dass sich Fremde in seinen Wald verirren. Und jetzt ist gleich eine ganze Busladung angerollt mit Studenten, Aktivisten und Politikern aus aller Welt. Don Felix trägt das Hemd offen und das Wetter aus vielen Jahrzehnten im Gesicht. Er ist einer der ältesten Maya in Carrillo Puerto, der stolze „Secretario“der Dorfgemeinschaft. Für die Busladung ist er ein Hoffnungsträger im weltweiten Klimaschutz. 180 Kilometer nördlich, in Cancún, ist gerade der Klimagipfel zu Ende gegangen. Die vielleicht wichtigste Entscheidung war der Startschuss für ein weltweites Programm zum Schutz der Wälder.

Die Zerstörung von Wald ist für höhere CO2-Emissionen verantwortlich als der gesamte Verkehr und für fast so viel wie die globale Industrie. Die größten
Waldflächen liegen in Entwicklungsländern. Südlich von Cancún, in der Nähe von Carrillo Puerto liegt der Waldabschnitt, in dem Don Felix lebt und der in der Sprache der Maya Much’ Kanan K’aax heißt. Er könnte zum Pilotprojekt werden.
Dass er einmal die Aufgabe haben würde, das Klima zu schützen, hat Don Felix nie geahnt. Aber eines Tages vor ungefähr vier Jahren kam ein freundlicher junger Mann von einer lokalen Umweltorganisation ins Dorf. Nach und nach erklärte er den Bewohnern, was Kohlenstoff ist, wie er gespeichert wird und dass man damit irgendwann Geld verdienen könnte.

Inzwischen verwendet Don Felix sogar das Wort „Redd“, was in der Uno-Sprache für die Reduktion von Emissionen aus Entwaldung und der Schädigung von Wäldern steht. Wenn es fertig ist, soll Redd einmal so funktionieren: Wenn Staaten am Ende einer Verpflichtungsperiode mehr Wald vorweisen als das unter Normalbedingungen der Fall gewesen wäre, sollen sie für dieses Plus belohnt werden. Ob sie dafür aus einem globalen Fonds bezahlt
werden oder CO2-Zertifikate verkaufen dürfen, soll erst in einem Jahr festgelegt werden. Aber entscheidend soll sein, dass sich eine waldfreundliche Politik für Entwicklungsländer bezahlt macht.

Don Felix hat seine Gäste inzwischen zu einem Urwaldriesen geführt. Mit dem Verkauf des Mahagonistamms könnte man viel Geld verdienen. Aber Don Felix und seine Leute haben einen Metallring um den Stamm gelegt, mit dem sie messen, wie der Durchmesser im letzten Jahr gewachsen ist. Es sind
zwei Millimeter. Dieser Baum bindet ungefähr vier Tonnen Kohlenstoff. Niemand verlangt, dass der Baum nie gefällt werden darf. Schließlich bindet das Holz den Kohlenstoff auch, wenn es in einem Tisch verbaut ist. Die Frage ist nur, wie der Wald bewirtschaftet wird.

Zu den Gästen aus dem Bus gehört auch Josef Göppel, Förster und CSU-Abgeordneter im Bundestag. Immer wieder gräbt Göppel mit den Händen
und riecht an der Erde. „Nur vier Zentimeter Humus und kaum Nährstoffe“, sagt der Besucher aus Deutschland. Wenn hier einmal abgeholzt wird, wächst nichts mehr nach. Josef Göppel hat darum eine dringende Frage an Don Felix. Es ist eine typische Redd-Frage, weil es ja nicht nur um Geld, sondern auch um Kontrolle geht. „Don Felix, wie gehen Sie bei der Ernte vor? Einzelne Stämme oder ganze Flächen?“ Einzelne Stämme sind gut, weil kleine Lücken im Wald sofort zuwachsen, ganze Flächen sind zerstörerisch. Don Felix kann beruhigen: keine Bulldozer, keine breiten Schneisen, die Stämme werden mit Seilen rausgezogen. Göppel ist zufrieden. Sie haben hier sogar Feuerlöschpumpen angeschafft und ein paar Hektar mit Mischwald aufgeforstet. All das sind Maßnahmen, die einmal durch Redd gefördert werden könnten.

Bei den Maya in Carrillo Puerto könnte Redd funktionieren. Seit Generationen haben sie hier den Wald bewirtschaftet, und weil sie gerne von ihm leben, sind sie gut mit ihm umgegangen. Aber ob das auch funktioniert, wenn die Erdverbundenheit schwächer wird und die Not größer? Einer aus dem Bus fragt Don Felix, warum er Redd gut findet. Er sagt: „Wir werden das Geld brauchen,
damit niemand den Wald abbrennen oder abholzen muss. Ich möchte, dass auch meine Söhne von diesem Wald leben können.“ Sonst gehen die Söhne in die Stadt und es gibt keinen mehr, der den Wald erhält. Für Don Felix ist Klimaschutz eine mögliche Einnahmequelle, die er dringend nötig hat, wenn Landwirtschaft, Bienenzucht und Holzverkauf nicht mehr reichen.

Aber für Don Felix ist er nicht das Wichtigste, das unterscheidet ihn von der Busladung um ihn herum. Als die Besucher wissen wollen, wie lange das Waldstück, das er neu gepflanzt hat, denn stehen wird, sagt er: 25 Jahre. „Danach sollen unsere Kinder entscheiden, wie es weiter geht.“ So haben
es die Maya schließlich schon immer gemacht