"Jeder Reaktor muss auf den Prüfstand"

Frankfurter Rundschau vom 21. Januar 2010

CSU-Umweltexperte Göppel stellt den Betreibern harte Bedingungen

Herr Göppel, die neue Bundesregierung will die Kernkraftwerke länger laufen lassen. Sollte das für alle 17 Anlagen gelten?

Eine pauschale Laufzeitverlängerung kann es nicht geben. Die Entscheidung muss in jedem Einzelfall nach dem technischen Zustand der Anlagen getroffen werden. Jeder Reaktor muss vorher auf Herz und Nieren geprüft werden.

Also ist denkbar: Einige AKW bestehen den Test nicht und müssen doch abgeschaltet werden — etwa, weil sie gegen Abstürze größerer Flugzeuge nicht nachrüstbar sind?

Genau das bedeutet es.

Wie viel Jahre "Zuschlag" zu den rund 32 Jahren Laufzeit, die der Atomkonsens vorsieht, halten Sie für angemessen?

Es sollten weniger als zehn Jahre sein. Der Zuschlag muss sich danach bemessen, wie viel Zeit wir noch brauchen, um die Kernkraft durch erneuerbare Energien zu ersetzen. Dafür brauchen wir keine zehn Jahre Laufzeit zusätzlich. Zudem hat die deutsche Energiewirtschaft 2009 netto über 14 Terrawattstunden Strom exportiert das entspricht der Leistung von zwei Kernkraftwerken. Auch unter diesem Gesichtspunkt muss die Notwendigkeit von Laufzeitverlängerungen kritisch überprüft werden.

Welche Bedingungen sollten die Stromkonzerne für das Entgegenkommen der Regierung erfüllen?

Union und FDP sind sich einig, dass der größte Teil der durch die Laufzeitverlängerung entstehenden Gewinne für Zwecke der Allgemeinheit zur Verfügung gestellt werden muss - etwa für die Förderung der erneuerbaren Energien. Das heißt für mich: 75 Prozent. Fällt die Begrenzung der Laufzeiten, dann müssen zudem die Gegenleistungen fallen, die im Ausstiegsvertrag von 2000 stehen - nämlich die steuerliche Begünstigung der Rücklagen für die Atomentsorgung und die Begrenzung der Versicherungspflicht für Reaktoren. Jeder, der ein Windrad aufstellt, muss die Risiken voll absichern, bei Kernkraftwerken aber ist die Schadenssumme auf 2,5 Milliarden Euro begrenzt. Das ist viel zu wenig.

Wenn die Unternehmen darauf nicht eingehen, was dann?

Dann darf es keine Laufzeitverlängerung geben. Die Koalition muss ja ihre Glaubwürdigkeit behalten.

Wie schnell sollte über die Laufzeitverlängerung entschieden werden?

Die Atomkraft soll eine Brückenfunktion übernehmen, bis die erneuerbaren Energien genügend entwickelt sind. Dazu muss ein stimmiges Energiekonzept erarbeitet werden, bis wann die Vollversorgung mit ihnen erreicht werden kann.

Die Stromwirtschaft macht aber Druck, sehr schnell zu entscheiden. Der Konzern EnBW müsste sein AKW Neckarwestheim bald abschalten, weil die genehmigte Strommenge zu Ende geht.

Jede Regierung muss sich an geltendes Recht halten. Der Atomkonsens gilt, es gibt noch kein neues Gesetz.

Also bliebe für die EnBW nur die Möglichkeit, eine Strommengenübertragung von einem neuen auf ihr ältestes AKW zu beantragen?

Das wäre eine Möglichkeit. Aber: Oberstes Kriterium muss die Sicherheit des Reaktors sein.

Das Bundesumweltministerium hat solche Übertragungen immer abgelehnt, als es noch von Sigmar Gabriel (SPD) geführt wurde.

Wenn er das aus Sicherheitsgründen getan hat, war das richtig. Wenn es nur politisch motiviert war, nicht. Die Frage, ob die Sicherheit ausreicht, muss objektiv beantwortet werden - und auch öffentlich nachvollziehbar.

An dieser Frage müsste wohl auch der Abteilungsleiter für Nuklearsicherheit im Bundesumweltministerium, Gerald Hennenhöfer, mitwirken, den führende Juristen hierbei für befangen halten. Er hat beim Atomkonsens auf Seiten der Stromkonzerne verhandelt.

Ich denke, dass Umweltminister Norbert Röttgen diese Probleme sehr genau bedacht hat. Er wird in der Dienstführung von Herrn Hennenhöfer sicher darauf achten, dass es keinen Anlass zu Klagen gibt.

Interview: Joachim Wille