Kühn, tollkühn, Seehofer

Süddeutsche Zeitung vom 19. März 2009

"Rechtzeitig muss a Ruah sein, sagt der Bayer": Die CSU-Basis freut sich über ihre neue Stärke, fürchtet aber, dass ihr Parteivorsitzender beim Sticheln gegen die CDU überzieht.

Von K. Stroh, S. Mayr, H. Effner, C. Sebald

Horst Seehofer (CSU) hat Spaß daran, Kanzlerin Angela Merkel (CDU) zu ärgern. Nicht alle in seiner Partei sind davon begeistert.

Am Samstag saßen sie im Florian-Stadl von Andechs beisammen: die Delegierten des Arbeitskreises Umwelt der CSU. 130 waren gekommen. Eigentlich ging es dort um das Thema "Nachhaltiges Europa", doch in der Diskussion meldeten sich immer wieder Delegierte zu Wort, um ihren Unmut zu bekunden - und zwar über die eigene Parteispitze.

Die ständigen Sticheleien der CSU gegen die Bundeskanzlerin müssten ein Ende haben, so fasste der Bundestagsabgeordnete und Arbeitskreis-Chef Josef Göppel hinterher das Stimmungsbild zusammen. "Frau Merkel ist die Kanzlerkandidatin der Union, von ihrem Ansehen hängt auch der Erfolg der CSU ab."

Deshalb könne die CSU nur im Schulterschluss Profil gewinnen, "und nicht, indem man permanent gegen die Kanzlerin vorgeht", warnt Göppel. "Das war eine sehr deutliche, spontane Meinungsbildung."

Seit Horst Seehofer Parteichef ist, setzen sich er und andere CSU-Obere immer wieder von der CDU ab - und selten so deutlich wie in den vergangenen zehn Tagen.

Mehr konservatives Profil, mehr Augenmerk für die Stammwähler - das haben sie von Merkel eingefordert. Mit seinen Forderungen weicht Seehofer oft von der Linie der Union ab, zum Teil auch von der Politik der CSU. Zuletzt versuchte er, Merkel eine baldige Mehrwertsteuersenkung für Handwerk und Gastronomie abzutrotzen, musste aber klein beigeben. An der christsozialen Basis wird dieser Kurs zwiespältig beurteilt. Sie freut sich über das demonstrative Selbstbewusstein der CSU, doch manchen geht Seehofer in Form und Inhalt manchmal zu weit.

Sonst schlafen die Wähler

Das wird zum Beispiel deutlich, wenn man mit Maximilian Schober spricht, dem CSU-Ortsvorsitzenden von Hausen bei Kelheim. "Jetzt wird so getan, als ob unser Vorsitzender die Kanzlerin brüskieren will. Dabei will er nur Sachen abarbeiten." Das mit der Mehrwertsteuer etwa, das sei ein echtes Anliegen der Basis, berichtet Schober.

Andererseits räumt er ein, dass manche Parteifreunde bei ihm daheim der Meinung seien, Seehofer solle "nicht so hart rangehen. Aber das ist halt seine Art". Wahrscheinlich hätten Merkel und der CSU-Chef gar kein Problem miteinander, glaubt Franz Wöhrl, CSU-Stadtrat in Seehofers Heimatstadt Ingolstadt. "Beide wissen, dass man sich vor einer wichtigen Wahl profilieren muss. Man muss doch die Aufmerksamkeit der Wähler erreichen, sonst schlafen die ja ein."

Auch Oliver Schulte, CSU-Stadtrat in Schweinfurt, sagt, Seehofers Auftreten "beruhigt und beseelt die Mitglieder". Insgeheim toleriere wohl auch Kanzlerin Merkel Seehofers Aktionen, da sie wisse, dass sie nur Kanzlerin werden könne, wenn die CSU in Bayern gut abschneide.

Weiß sie das wirklich? "Ich bin mir da nicht sicher", sagt Bernd Gietl, der CSU-Bürgermeister von Bergen im Landkreis Traunstein. Deshalb lobt er Seehofers Auftreten und Wirkung: "Grundsätzlich ist es nicht schlecht, wenn Berlin weiß, dass es Bayern noch gibt." Zu oft lasse die Kanzlerin die Belange der CSU links liegen, klagt Luitpold Braun jr., der CSU-Ortsvorsitzende von Schongau und Sohn des vor einem Jahr dort überraschend abgewählten Landrats.

Ganz am anderen Ende Bayerns, in Schney bei Lichtenfels, sitzt derweil Reinhard Köhlerschmidt und freut sich über das Auftreten seines Parteichefs. "Wir haben dadurch mehr Gewicht bekommen in Berlin", sagt er. Aber ihm schwant auch Übles. Seehofers Profilierung sei gefährlich, "gerade wenn er gegen verschlossene Türen rennt" - sei es nun beim Gesundheitsfonds oder bei der Mehrwertsteuer.

Damit äußert Köhlerschmidt eine Sorge, die in der CSU offenbar viele umtreibt. Schließlich ergebe das "kein gutes Bild von der Durchsetzungsfähigkeit", wenn "viel und laut gefordert wird und hinterher wenig rauskommt", sagt auch der Schongauer Luitpold Braun.

Theo Waigel, der von 1988 bis 1999 der CSU vorstand und damit Seehofers Vorvorgänger ist, drückt es so aus: "Die Linkspartei kann etwas fordern, was nicht kommt; für die CSU ist das schwierig." An der Forderung, die Mehrwertsteuer zu reformieren, hat Waigel, einst als Bundesfinanzminister für die Thematik zuständig, inhaltlich nichts auszusetzen. Nur darauf zu bestehen, dass das sofort kommt, das hätte er nicht gemacht. "Man muss Obacht geben, dass man nicht Sachen fordert, die man nicht durchsetzen kann."

Noch mehr Gas ohne Sinn

So treffe Seehofer zwar die Gefühle der Wähler, die erwarten, dass die CSU eigenständig auftritt, sagt Franz Parzinger, Bürgermeister im oberbayerischen Traunreut. "Ziel sollte aber schon sein, dass man Forderungen auch realisieren kann. Noch mehr Gas geben, macht keinen Sinn." Auch sollte die eigene Politik "Konstanz haben", fordert sein Amtskollege Bernd Gietl aus Bergen im Landkreis Traunstein. "Es ist nie gut, wenn zu schnell hü und hott gesagt wird. Ich würde mir manchmal mehr Ruhe und Gelassenheit wünschen."

Dass Seehofer sich mit diversen Kurskorrekturen unglaubwürdig mache, glaubt man in der CSU indes nicht. "Es ist halt ein Unterschied, ob man in Regierungsverantwortung steht und Koalitionskompromisse mittragen muss oder ob man jetzt seine ureigene Meinung artikuliert", sagt der Oberbürgermeister von Neu-Ulm, Gerold Noerenberg. "Auf den ersten Blick können da zwar beim Wähler Irritationen entstehen, aber das ist keine Frage der Glaubwürdigkeit, sondern der Verantwortung."

Immer sei es die Stärke der CSU gewesen, "rigoros bayerische Interessen zu vertreten", analysiert Christoph Göbel, der Bürgermeister der Münchner Vorortgemeinde Gräfelfing. Wenn Seehofer dies nun tue, könne die CSU nur profitieren - und letztlich auch die CDU. Verglichen mit den Fehden, die Franz Josef Strauß mit Helmut Kohl ausgefochten habe, seien die Auseinandersetzungen heute ja nun gar nichts.

Und da kann ihm Theo Waigel, der diese Fehden einst direkt miterlebte, nur beipflichten: "Das ist heute nicht mehr als das, was wir auch in den Siebzigern und Achtzigern gemacht haben." Sorgen müsse man sich deshalb nicht. Nur: Zu viel Streit goutieren die Menschen auch nicht, mahnt Waigel. "Rechtzeitig muss a Ruah sein, sagt der Bayer."