Neue Stärken oder Niedergang

ZEIT vom 14.09.2006

Von Josef Göppel, Michael Kauch, Michael Müller, Margareta Wolf
Wir wollen mit einem gemeinsamen Plädoyer mehr Zukunft wagen. Wir fordern, dass neben der Bildungs-, Forschungs- und Finanzpolitik vor allem die Umweltpolitik eine zentrale Rolle bei der Modernisierung unserer Wirtschaft und Gesellschaft spielt. Denn wenn wir die ökologischen Zukunftsmärkte schnell erschließen, gewinnen wir den Kompetenzvorsprung, den unser Land dringend braucht. Deutschland befindet sich an einer Wegscheide: Entweder wir finden zu neuer Stärke - oder es droht Niedergang.
Made in Germany war lange Zeit das Markenzeichen innovativer Stärke. Doch in den vergangenen beiden Jahrzehnten prägten oftmals ein Mangel an visionärer Kraft und eine zu langsame Umsetzung von Wissen in marktfähige Produkte unser Land; gerade dies zählt aber im internationalen Wettbewerb. Eine positive Ausnahme ist die Umwelt- und Energietechnik. Wir plädieren dafür, uns dieser Stärke mehr bewusst zu werden. Künftig werden eine intakte Natur sowie Wasser, Energie und Rohstoffe die knappen Ressourcen sein und damit auch der Schlüssel für die wirtschaftliche Leistungskraft.
Fest steht: Der Blaue Planet ist im roten Bereich. Die biologische Vielfalt schwindet, die Gletscher schmelzen weg, die Wüsten breiten sich aus, immer mehr Länder leiden unter Wasserknappheit. Der Kampf um Ressourcen wird unser Jahrhundert prägen.
Die Gefahren sind weit größer als bisher angenommen.
Die Folgen des Klimawandels, in erster Linie verursacht durch die Emissionen aus der Energieversorgung, werden immer deutlicher: Dürren, Orkane, Fluten, Wetterextreme. Der Klimawandel hat eine neue Dimension angenommen. Nach neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen droht ein Anstieg um drei Grad bis zum Ende unseres Jahrhunderts. Zwei Grad gelten als noch tolerabel. Die Internationale Energieagentur sagt bis 2050 einen Anstieg der globalen CO2-Emissionen um 137 Prozent voraus, wenn nicht umgesteuert wird.
Billige Energie war ein Motor der Industrialisierung und Internationalisierung. Nun aber werden Gas, Öl und Uran knapp. Und auch andere wichtige Rohstoffe. Die Zukunft der Weltwirtschaft hängt von der schonenden und intelligenten Nutzung der Ressourcen ab. Ansonsten drohen brandgefährliche Konflikte, »Ressourcenkriege« (James Schlesinger) werden denkbar.
Die nachholende Industrialisierung droht zur nachholenden Umweltzerstörung zu werden. Sollten die fünf großen Schwellenländer Brasilien, China, Indien, Mexiko und Südafrika bis Mitte des Jahrhunderts pro Kopf das heutige Wohlstandsniveau von Ungarn erreichen, wird sich das Weltsozialprodukt verdreifachen. Verbunden mit den bisherigen Emissionen, wäre die Aufnahmefähigkeit der Natur überfordert.
Diese Fakten zeigen: Das 21. Jahrhundert muss zum Jahrhundert der Ökologie werden. Notwendig ist nicht weniger, sondern mehr Umweltpolitik. Nur so können das Naturkapital bewahrt, die Wettbewerbsvorteile auf wichtigen Zukunftsmärkten geschaffen und der Frieden gesichert werden.
Auch wenn wir im Bundestag konkurrierenden Parteien angehören, werben wir gemeinsam dafür, die ökologische Modernisierung ins Zentrum der Reformpolitik zu rücken. Wir kennen uns aus einer vertrauensvollen Zusammenarbeit in der Umweltpolitik. Statt krampfhaft die rhetorische Dosis der Abgrenzung zu steigern, setzen wir uns gemeinsam für eine Idee ein, die unser Land voranbringt. Wir werben für mehr Konsens in der Umweltpolitik.
Wir glauben, dass in den nächsten Jahrzehnten der intelligente, das heißt der effiziente und sparsame Umgang mit Energie, Material und Rohstoffen national wie international eine entscheidende Bedeutung für die Wirtschaftsentwicklung haben wird. Hier verfügt unser Land kulturell, technologisch und ökonomisch über beste Voraussetzungen, die in den vergangenen drei Jahrzehnten geschaffen wurden. Diese Chance muss Deutschland für einen Aufbruch nutzen. Dabei geht es nicht allein um eine Entkoppelung von Energie und Wachstum. Notwendig ist eine Effizienzrevolution, die den Verbrauch absolut senkt.
Leider zeichnet sich aber ab, dass Deutschland seinen Umsetzungs- und Kompetenzvorsprung bei technischen Neuerungen verliert. Zuletzt wies die Europäische Zentralbank darauf hin, dass die Innovationsdynamik im hochtechnologischen Bereich deutlich schwächer wurde und die Investitionen nur noch zwei Drittel des Niveaus von USA oder Japan erreichten. Zudem gab es 2005 in unserem Land weniger Neugründungen in diesem Sektor als Mitte des vergangenen Jahrzehnts. Auch die Versäumnisse in der Automobilbranche, dem stärksten Industriezweig, waren alarmierende Signale. Beim Dieselfilter oder in der Antriebs- und Hybridtechnik wurden die Zeichen der Zeit verkannt.
Die Schwäche ist allerdings nicht nur ein deutsches Problem, auch in der EU kommt der Lissabon-Prozess, der Europa bis zum Jahr 2010 zur »stärksten wissensbasierten Region der Welt« machen soll, nur langsam voran. Nur in Schweden und Finnland übersteigen die Ausgaben für Forschung und Entwicklung die angestrebten 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Trotz der verstärkten Anstrengungen der vergangenen Jahre erreicht der deutsche Anteil erst 2,48 Prozent. Beides hängt eben zusammen: die Stärkung unseres Landes und die Behauptung Europas.
Die Innovationsstärke war die Grundlage unserer sozialen Marktwirtschaft. Mit ihrer Schwächung wächst die Unzufriedenheit mit der Politik; viele Menschen glauben nicht, dass es wieder aufwärts geht. Auch deshalb braucht unser Land ehrgeizige, aber konkrete Perspektiven, welche begeistern und für eine gemeinsame Kraftanstrengung zur Modernisierung unseres Landes motivieren. Eine innovative Umweltpolitik kann dies leisten. Sämtliche Studien weisen Effizienz- und Umwelttechnologien als wahrscheinlich wichtigste Zukunftsmärkte aus, mit hoher Bedeutung für Wirtschaft, Beschäftigung und Lebensqualität.
Unsere Vision ist Deutschland als Technologie- und Weltmarktführer bei Energie- und Ressourceneffizienz, moderner Umwelt- und Kraftwerkstechnik, neuen Antriebstechniken, Speichertechnologien und erneuerbaren Energien. Das erfordert ökonomisch wie ökologisch effiziente und sozial verträgliche Instrumente. Es gehört zur Ehrlichkeit unserer Initiative einzuräumen, dass wir in dieser Frage noch nach einem Konsens suchen.
Einig sind wir uns über Folgendes:
Die privaten und öffentlichen Ausgaben für Forschung und Wissenschaft sollen bis zum Jahr 2012 auf möglichst fünf Prozent vom Bruttoinlandsprodukt gesteigert werden. Dafür müssen auch Umschichtungen im Haushalt vorgenommen werden.
Der Wissenstransfer muss effizienter und schneller werden. Forschung, Entwicklung und Markteinführung müssen zusammengeführt und neu geordnet werden.
Mit aller Kraft müssen die Weichen für eine Effizienzrevolution gestellt werden, damit sich die Energie-, Material- und Ressourcenproduktivität in den nächsten zehn Jahren mindestens verdoppelt. Dafür müssen sämtliche Instrumente genutzt werden: Aufklärung, ein modernes Ordnungsrecht und ökonomische Anreize.
Wir erwarten von einer solchen Initiative einen vierfachen Ertrag. Eine ökonomische Dividende, weil neue Märkte erschlossen und die Konkurrenzfähigkeit gesteigert werden. Eine soziale Dividende, weil mehr Ressourcenproduktivität mehr Arbeitsplätze schafft. Eine ökologische Dividende, weil der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen die Lebensqualität verbessert. Und eine Friedensdividende, weil der schonende Umgang mit Energie und Rohstoffen die Gefahr von Ressourcenkriegen vermindert.
Dennoch tut sich unser Land schwer, den großen Schritt nach vorn zu machen. Mehr Umweltschutz wird häufig noch immer als Belastung gesehen, nicht als Antrieb zu Innovationen. Dabei steht fest, dass vernachlässigter Klimaschutz künftig sehr viel teurer käme. Und es würde sich bitter rächen, wenn die hohe Abhängigkeit von Energieimporten nicht verringert würde.
Wir brauchen einen Aufbruch nach vorn, zumal die lange Zeit fest gefügte Ordnung der Nationalstaaten zusammengebrochen ist. Die Internationalisierung der Kapitalmärkte setzte unser Land unter einen hohen Anpassungszwang an eine »Ökonomie der Kurzfristigkeit«. Hinzu kamen neue Herausforderungen wie der demografische Wandel oder die Verschuldung der öffentlichen Kassen. Die Politik geriet in die Defensive, statt die Agenda zu bestimmen und neue Chancen zu nutzen. Damit kein Missverständnis aufkommt: Wir sehen die Notwendigkeit, die Rahmenbedingungen der Unternehmen zu verbessern, die Sozialsysteme zukunftsfest zu machen und eine wuchernde Bürokratie zu beschneiden. Aber unser Land hat längst nicht »nur« ein Kostenproblem, sondern immer stärker auch einen Mangel an Innovationskraft.
Der technische Fortschritt, der lange Zeit als Feind der Umwelt gesehen wurde, muss zum Verbündeten des Umwelt- und Naturschutzes werden. Unser Land verfügt bei der Ökoeffizienz noch immer über beachtliche wirtschaftliche und technologische Stärken. Bei den erneuerbaren Energien sind wir Weltmarktführer, auch in der Abfall- und Wassertechnik, in der Regeltechnik und beim Anlagenbau. Zudem entfällt die höchste Zahl der Umweltpatente auf unser Land. Allerdings sind andere Länder dabei, schnell aufzuholen. In den USA hat ein Nachfrageboom bei erneuerbaren Energien eingesetzt. Das chinesische Investitionsprogramm weist enorme Steigerungsraten bei den Energie- und Umwelttechnologien aus. Japan setzt massiv auf erneuerbare Energien. Wir müssen uns anstrengen, um nicht zurückzufallen. Dazu brauchen wir die Bündelung der Kräfte auf eine konkrete Vision.
Die ETH Zürich hat für die Schweiz die Idee einer 2000-Watt-Gesellschaft bis zum Jahr 2060 entwickelt. Dieses Konzept ist auch für unser Land interessant. Heute liegt der Leistungsbedarf in Deutschland bei rund 5500 Watt pro Kopf. Wenn die ökologische Wissensgesellschaft alle Optionen miteinander verzahnt, kann bis Mitte unseres Jahrhunderts ein durchschnittlicher Leistungsbedarf von 2000 Watt pro Kopf ohne Komfortverluste erreicht werden.
Dieses ambitionierte Ziel braucht ein entschiedenes Handeln von Politik und Wirtschaft. Auch für die Außen- und Sicherheitspolitik ist die Weiterentwicklung der Umweltpolitik ein erstrangiges Thema. Für die Europäische Union müssen Energieeffizienz und erneuerbare Energien zentrale Wege sein, Energiesicherheit regional und weltweit zu organisieren, damit »Energie als politische Waffe« ihre Hebelwirkung verliert. Das bezieht alle wichtigen Akteure ein und richtet sich gegen kein Land. Energiesicherheit braucht mehr Investitionen in die Verbesserung der Energie-Infrastruktur. Sie wirkt dann präventiv gegen Verteilungskämpfe und schafft Win-win-Situationen zwischen Produzenten, Transitstaaten und Verbraucherländern. Eine Vision ist eine Energieallianz zwischen Russland, das über gewaltige Rohstoffreserven verfügt, und der EU, die für mehr Versorgungssicherheit und Umweltverträglichkeit Effizienztechnologien zur Verfügung stellt. Das ist zugleich ein Modell für die Zusammenarbeit mit anderen Weltregionen. Dieser Weg lohnt sich.
Josef Göppel ist Vorsitzender des Arbeitskreises Umwelt der CSU
Michael Kauch ist umweltpolitischer Sprecher der FDP-Fraktion
Michael Müller (SPD) ist Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesumweltministerium
Margareta Wolf ist außenwirtschaftspolitische Sprecherin der Bündnisgrünen. Zuvor war sie Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesumweltministerium.
Mehr Forschung und mehr Effizienz Rezepte für die Revolution
Seit gut 30 Jahren wird Umweltpolitik in Deutschland systematisch betrieben. Viele Aspekte des Umweltschutzes sind inzwischen durch Vorschriften geregelt, Luft und Wasser sauberer als noch vor einigen Jahren. Diese Erfolge haben allerdings dazu geführt, dass die Umweltpolitik mittlerweile an den Rand des politischen Geschehens gedrückt wurde. Als Reformmotor spielt sie kaum noch eine Rolle. Das will die Initiative der vier Bundestagsabgeordneten aus vier Parteien ändern. Sie stellen das gemeinsame Ziel über den trennenden Kampf um politische Mehrheiten. Das Ziel heißt, Deutschland im »Jahrhundert der Ökologie« eine führende Rolle zu sichern - und die Umweltpolitik wieder ins Zentrum der Reformpolitik zu rücken.
Deutschland soll Weltmarktführer bei Umwelt- und Energietechnologien werden, seine Forschungsausgaben bis 2012 verdoppeln und eine »Effizienzrevolution« anzetteln, die die Produktivität von Energie binnen zehn Jahren verdoppeln soll. Aufklärung, Ge- und Verbote sowie finanzielle Anreize - sämtliche Hebel wollen die Parlamentarier in Bewegung setzen, um diese Ziele zu erreichen. Auch wenn sie sich nicht über alle Einzelheiten einig sind: Mit ihrer Initiative legen sie einen Grundstein für das überfällige Comeback der Ökologie.
Von Fritz Vorholz