Die Furcht vor dem Atommüll verwischt Parteigrenzen

Donauzeitung vom 15.05.2006

Von MatthiasAislingen – Im Saal des Landgasthauses „Adler“ in Aislingen wurden schon viele Hochzeiten und Bälle gefeiert. Hier tagt die Freiwillige Feuerwehr und der Maschinenring der Landwirte. Ärzte sprechen auf Einladung des Sozialverbands VdK über Rheuma und Herzleiden. Ein Gasthaus, wie es noch viele gibt in Schwaben. Vielleicht ist es deshalb genau die richtige Bühne um zu zeigen, wie sehr sich die Grenzen der Parteipolitik in der Region verschoben haben, seit in Gundremmingen das Zwischenlager für Atommüll geplant und gebaut wurde.
Der Mann, der da hinter dem Rednerpult steht, spricht davon, dass der Energieverbrauch dringend gesenkt werden müsse.  Er redet davon, dass am Ausstieg aus der Atomenergie nicht mehr gerüttelt werden dürfte. Er trägt ein Trachtenjanker, wie es sich für einen gelernten Förster gehört und spricht mit ruhiger, nachdenklicher Stimme. Josef Göppel heißt er. Und er ist nicht etwa ein Politiker der Grünen, sondern der Obmann von CDU und CSU im Umweltausschuss des Bundestags. „Wer jetzt am Atomausstieg rüttelt“, sagt er, „der verlängert die Existenz der Zwischenlager und verschiebt den Termindruck für ein Endlager weit in die Zukunft.“ Damit trifft er den Nerv der kleinen Gruppe von Menschen, die auf Einladung des CSU-Arbeitskreises für Umweltsicherung und Landesentwicklung am Freitagnachmittag trotz bestem Ausflugswetter in den „Adler“ gekommen sind. Alle hier treibt die Sorge um, dass das Zwischenlager am Kernkraftwerk Gundremmingen zu einer Dauereinrichtung wird. Deshalb regen sie sich auch auf über Forderungen von CSU-Politikern, den Ausstieg aus der Kernkraft zu bremsen – obwohl viele hier selbst Mitglied der CSU sind und grundsätzlich nichts gegen Atomenergie einzuwenden haben.
Was die Endlager-Frage anbelangt, da begibt sich der grüne CSU-Mann Josef Göppel wieder ganz auf Parteilinie. Auch er spricht sich vehement für den Standort Gorleben aus. Und er will eine schnelle Entscheidung. „Noch in dieser Legislaturperiode“, hofft er. Je schneller das Endlager komme, umso schneller könne auch das Zwischenlager in Gundremmingen wieder ausgeräumt werden. Den Klagen von mehreren Gemeinden und Privatpersonen gegen das Lager räumt er allerdings nur wenig Erfolg ein. „Rechtlich wird sich das wohl nicht mehr stoppen lassen“, sagt er. Im Juli sollen bereits die ersten Castor-Behälter mit Atommüll in der neuen Halle auf dem Kraftwerks-Gelände eingelagert werden.
Alfred Schneid, für die CSU Vize-Landrat im Kreis Dillingen, ärgert sich darüber noch immer. „Diese Region ist geschlossen dagegen“, sagt er. Auch für ihn spielt die Parteipolitik beim Thema Atommüll nur eine nachrangige Rolle. Ihn stört es, dass sich seine Partei auf Bundes- und Landesebene „nicht deutlicher gegen das Zwischenlager einsetzt“. Und er, eigentlich kein Gegner der Atomkraft, gibt sich sehr selbstkritisch. „Eine Energiequelle, bei der man es in über 40 Jahren nicht schafft, die Frage der Endlagerung technisch und gesellschaftlich zu klären, ist auf Dauer nicht zu halten“, sagt er.
 Schlegel
Berlin - Der Ausfall der Stromversorgung im schwedischen Kernkraftwerk Forsmark und die Abschaltung von vier der zehn Atomreaktoren des Landes haben in Deutschland die Debatte über die Atomkraft angeheizt. Während der bayrische Umweltminister Werner Schnappauf (CSU) die Kernkraft verteidigte und sich für den Bau neuer Atomkraftwerke aussprach, warnte sein Parteifreund Josef Göppel am Freitag: „Kernenergie ist keine Dauerlösung." Der Obmann der Union im Bundestags-Umweltausschuss sagte, eine „Verkettung derartiger unglücklicher Umstände kann auch in einem deutschen Kernkraftwerk nicht ausgeschlossen werden". Mit dieser Technik „sitzt unsere Bevölkerung auf einem Pulverfass". Die Bundesregierung müsse am Atomausstieg festhalten.
Auch der umweltpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion Marco Bülow erklärte, der Störfall habe deutlich gemacht, „dass die Atomkrafttechnologie doch nicht beherrrschbar ist". Seine Partei setze sich deshalb weiterhin für den Atomausstieg in Deutschland ein. Die atomkritische Ärzteorganisation IPPNW forderte das Bundesumweltministerium auf, die deutschen Atomkraftwerke „vorsorglich abzuschalten", und kritisierte die Informationspolitik des Umweltministeriums. Die Umweltorganisation Greenpeace verlangte von der Bundesregierung, den Atomausstieg zu beschleunigen. Linkspartei-Fraktionschef Oskar Lafontaine warf der großen Koalition vor, „fahrlässig und gesellschaftlich unverantwortlich" zu handeln, wenn sie die Atomkraft in Deutschland „wieder ins Zentrum der Energiepolitik" rücke.
Die politische Debatte eilte der Faktenlage zunächst voraus. Denn über die technischen Ursachen der Panne ist bislang noch relativ wenig bekannt. Nach Ansicht des Bundesumweltministeriums ist der Ausfall der elektrischen Versorgungen in Forsmark aber „ein sicherheitstechnisch ernstes Ereignis" gewesen.
Über die Frage, ob ein ähnlicher Fall in deutschen AKW denkbar ist, gehen die Meinungen auseinander. Der Atomexperte Christoph Pistner vom Öko-Institut in Darmstadt sagte dem Tagesspiegel, die Sicherheitsniveaus in schwedischen und deutschen Atomkraftwerken seien „ähnlich hoch". Auch das grundlegende Konzept der Stromversorgung mit den drei Ebenen - Eigenbedarfsversorgung, Notstromversorgung, unterbrechungsfreie Stromversorgung - sei in Schweden und Deutschland vergleichbar. Das Problem sei gewesen, dass ein Kurzschluss auf der oberen Ebene offensichtlich auch Auswirkungen auf die untere Ebene, also die Notstromversorgung, hatte. Das hätte nicht passieren dürfen, weil beide Ebenen normalerweise voneinander abgekoppelt sind. „Wenn zwei von vier Notstromaggregaten einfach so ausfallen, können natürlich theoretisch auch mal alle vier ausfallen. Das wäre dann ein sehr, sehr großes Problem." Es müsse jetzt untersucht werden, wie es zu dieser Rückwirkung von der einen auf die andere Ebene kam. Das IPPNW erinnerte an einen wetterbedingten Kurzschluss im AKW Biblis B, bei dem es im Februar 2004 zum Notstromausfall gekommen sei. Es handle sich dabei um eine „ganz grundlegende, nicht lösbare Sicherheitslücke".
Das deutsche Atomforum (DAtF), eine Vereinigung von Unternehmen und Institutionen zur Förderung der Atomkraft, schloss hingegen aus, dass „ein solcher Zwischenfall in deutschen Kernkraftwerken die gleichen Folgen hätte". Das Konzept der unterbrechungslosen Stromversorgung in deutschen AKW „unterscheidet sich signifikant von dem im Kernkraftwerk Forsmark", teilte das DAtF mit. Unterschiede bestünden in der Dimensionierung und der eingesetzten Gerätetechnik.