AEG-Streik rüttelt Politiker wach

CSU-Abgeordneter Josef Göppel warnt vor "sozialer Sprengkraft". Süddeutsche Zeitung vom 23.01.2006

Von Kassian Stroh
Der unbefristete Streik im Nürnberger AEG-Werk rüttelt die Politik wach. Während eines Besuchs bei der streikenden Belegschaft kündigte Günter Gloser (SPD), Staatsminister im Auswärtigen Amt, am Samstag an, er werde sich an die schwedische Botschaft in Berlin und an den AEG-Mutterkonzern Electrolux wenden. "Ich möchte deutlich machen, welche Dimension die Entscheidung hat, das AEG-Werk zu schließen", sagte Gloser. Ein Vermittlungsangebot von Ministerpräsident Edmund Stoiber schlug die IG Metall aus.
Stoiber hatte am Freitag, kurz nach Beginn des Streiks, angekündigt, mit der Gewerkschaft und der Unternehmerseite in dieser Woche zu reden, um "möglichst bald wieder zu konstruktiven Gesprächen" zu kommen. Die IG Metall lehnte ein solches Treffen jedoch ab: "Es gibt nichts zu vermitteln", sagte Streikleiter Jürgen Wechsler. "Es gibt nur eines: Electrolux soll ein Angebot auf den Tisch legen - bei der IG Metall, nicht beim Ministerpräsidenten." Stoiber äußerte Verständnis für die Streikenden: "Wer lange hier am Standort Deutschland produziert hat, Gewinne gemacht hat, von den Leistungen der Arbeitnehmer profitiert hat, der hat auch ein Stück sozialer Verantwortung für die Mitarbeiter, wenn er aus unternehmerischen Gründen die Produktion verlagert", sagte der CSU-Chef.
Auch am Wochenende blockierten etwa 300 AEG-Mitarbeiter als Streikposten die Werkstore in Nürnberg. Die gesamte Produktion stehe still, sagte ein Gewerkschaftssprecher. Der schwedische Electrolux-Konzern will das AEG-Werk mit seinen 1700 Mitarbeitern Ende 2007 schließen. Die Belegschaft kämpft nun für einen Sozialtarifvertrag. Streikleiter Wechsler bekräftigte, der Streik würde über Wochen durchgehalten. Die AEG hingegen sieht nun die Gewerkschaft am Zug. Ein Firmensprecher sagte, AEG sei "jederzeit" bereit, die Gespräche fortzusetzen, warte aber auf ein Signal der IG Metall. Sollte es zu Verhandlungen kommen, werde man ein Angebot vorlegen.
Staatsminister Gloser, der aus Nürnberg stammt, sagte, er wolle Electrolux-Chef Hans Straberg ermuntern, "einmal nach Nürnberg zu kommen, damit er das Thema nicht nur vom Vorstandstisch aus sieht". Auch internationale Konzerne müssten sich ihrer Verantwortung für Europa bewusst sein, mahnte Gloser, der im Auswärtigen Amt für Europafragen zuständig ist. Es sei nicht nachzuvollziehen, dass Electrolux ein Werk schließe, das schwarze Zahlen schreibe. Er befürchte, dass bei solchen Entscheidungen in der Bevölkerung die Akzeptanz für Europa schwinden werde. Die Politik könne deshalb nicht abseits stehen, sondern müsse nach Vermittlungsmöglichkeiten suchen, sagte Gloser. "Sonst können wir all die Hochglanzbroschüren über Europa in den Müll werfen."
Wegen der Auseinandersetzungen um die AEG forderte der mittelfränkische CSU-Bundestagsabgeordnete Josef Göppel eine internationale Steuer auf Finanzströme. Damit ließen sich "spekulative Geschäfte dämpfen" und Aktienkäufe würden wieder zu dem, "was sie eigentlich sind - nämlich längerfristige Unternehmensbeteiligungen", sagte Göppel der Süddeutschen Zeitung. Die Entscheidung, das Nürnberger AEG-Werk trotz hoher Renditen zu schließen, resultiere aus der Angst, Kapitalgeber könnten sich sonst "lohnenderen Zielen zuwenden", kritisierte Göppel. Aktienkurse dürften aber nicht das Maß aller Dinge sein. "Wer das achselzuckend als freie Marktwirtschaft abtut, verkennt die soziale Sprengkraft, die sich hier aufbaut."
Auch der Vorsitzende der SPD-Landtagsfraktion, Franz Maget, mahnte, die Politik müsse in solchen Fällen deutliche Worte finden und die betroffenen Arbeitnehmer unterstützen. "Die drohende Schließung von AEG Nürnberg ist nicht Globalisierung, das ist eine Schweinerei", sagte Maget.
Nach Angaben der IG Metall wird sich Fritz Schösser, der Landeschef des Gewerkschaftsbundes, heute am frühen Morgen mit den Streikenden treffen. Für Mittwoch werde ein Besuch des Fraktionschefs der Linkspartei im Bundestag, Oskar Lafontaine, erwartet.