Deutschland im Fieber - Äpfel mit Sonnenbrand, Palmen an der Deutschen Bucht

Die Zeit vom 09.12.2004

Die Erderwärmung ist in der Bundesrepublik längst spürbar - Beweisaufnahme in einem überhitzten Land
Von Fritz Vorholz
Ludwig Ries hat den wohl spektakulärsten Arbeitsplatz Deutschlands. Er erreicht ihn weder zu Fuß noch mit dem Auto, sondern schwebend. Der 50-Jährige musste extra den Seilbahnführerschein machen, bevor ihn sein Arbeitgeber, das Umweltbundesamt, auf Posten im Zugspitzmassiv schickte. Dort, im Schneefernerhaus, 2650 Meter über Normalnull, hat der Naturwissenschaftler zwar nur ein schmuckloses Büro, dafür aber eine grandiose Aussicht: das Alpenpanorama, bei gutem Wetter mit Blick bis nach Italien.
Das Fernsehen hat Ries schon zu Besuch gehabt, den bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber (CSU) ebenso wie Umweltminister Jürgen Trittin (Grüne). Lust auf ein kleines Abenteuer lockte Reporter und Politiker auf den Berg, aber auch Neugier auf das, was Ries dort oben treibt. Der Beamte führt Buch über die Folgen des industriellen Lebensstils.
Nirgendwo in Deutschland geht das besser als auf der Zugspitze, weit weg von Autos und Fabriken. Unverfälscht durch lokale Abgasquellen lässt sich hier oben beobachten, wie sich die Erdatmosphäre verändert. Genau das registriert Ludwig Ries, unterstützt von einer Armada maschineller Helfer.
Ries merkt zum Beispiel, wie die Erde atmet. Im Sommer, wenn die Bäume nördlich des Äquators Blätter tragen und per Fotosynthese Kohlenstoff in Sauerstoff verwandeln, misst er regelmäßig niedrigere Kohlendioxidwerte als im Winter, wenn viele Pflanzen ruhen. Allerdings beobachtet Ries auch eine andere, beängstigende Regelmäßigkeit: Jahr für Jahr, sommers wie winters, entdeckt er mehr Kohlendioxid in der Zugspitzluft – mehr von jenem an sich ungiftigen Gas, das Auspuffrohren, Kaminen, Schornsteinen entweicht, sich in der Atmosphäre ansammelt und maßgeblich für die globale Erwärmung sorgt. Davon sind jedenfalls die meisten Klimaforscher überzeugt. Ries auch.
Alle fünf Minuten wertet sein sensibles Labor, eine Spezialanfertigung, ein Quäntchen Zugspitzluft aus. Ries berechnet daraus Halbstundenwerte, Tageswerte, Monatswerte, schließlich einen Jahreswert, ermittelt aus mehr als 100.000 Einzelmessungen. Es sind winzige Zahlen, mit denen sich Ries beschäftigt, sein Interesse gilt der dritten, vierten Stelle hinter dem Komma, Millionstel Anteilen Kohlendioxid in der Luft. Die unverkennbare Tendenz: Es werden immer mehr Millionstel. Im Oktober 1999, kurz nachdem Ries mit dem Messen anfing, spürte er 365 auf; im Oktober 2004 war der Wert auf 376 geklettert.
11 Millionstel mehr – Laien mag das wenig erscheinen, Experten wie Ries nicht. Luftbläschen im ewigen Eis haben Forschern verraten, wie viel Millionstel CO2 früher in der Luft waren, bevor die Menschen anfingen, Kohle, Öl und Gas in großem Stil zu verbrennen: 280. Seitdem haben die Hinterlassenschaften von Fabriken, Häusern und Autos die CO2-Konzentrationum rund 100 Millionstel steigen lassen, 10 Prozent davon allein während der vergangenen fünf Jahre. Weshalb sich Ries unwidersprochen »Buchhalter des Wahnsinns« nennen lässt.
11000 Flugkilometer südwestlich der Zugspitze, in der argentinischen Hautstadt Buenos Aires, beschäftigt der Wahnsinn in diesen Tagen eine Heerschar Diplomaten und Minister. Vereint sind Abgesandte jener Länder, die der Klimakonvention, dem weltweiten Vertrag zum Klimaschutz, beigetreten sind. 189 Nationen, große und kleine, arme und reiche, genügsame und unbescheidene, haben das getan und sich damit auf etwas Einmaliges geeinigt: Auf das Versprechen, die Konzentration von Treibhausgasen in der Erdatmosphäre – sprich: den Verbrauch von Kohle, Öl und Gas – auf einem Niveau zu stabilisieren, auf dem »eine gefährliche Störung des Klimasystems verhindert wird«.
Verhindert wird? Die Klimakatastrophe findet längst statt. Im Kino, wie in dem Hollywoodfilm TheDay After Tomorrow. In Büchern, wie in Frank Schätzings Ökothriller Der Schwarm. In den Arbeiten von Forschern, die wachsende Wüsten, schmelzende Pole, im Meer versinkende Inseln prophezeien. In der Bild-Zeitung, die neulich schrieb: »Wir räumen unser Wohnzimmer auf – aber wir verwüsten die Welt, in der unser Haus steht.« Im Bewusstsein der Deutschen, die mehrheitlich meinen, der Treibhauseffekt sei »äußerst« oder »sehr gefährlich«, für jeden Einzelnen und seine Familie.
Wenn Ludwig Ries aus seinem Arbeitszimmer schaut, fällt sein Blick auf das Überbleibsel vermeintlich ewigen Eises: auf den sterbenden Schneeferner. Einst bedeckte der Gletscher 300 Hektar, inzwischen ist er auf weniger als 50 geschrumpft. In spätestens 25 Jahren wird er verschwunden sein, aufgeleckt von der sommerlichen Sonne: ein Opfer des Klimawandels.
Früher, zwischen 1961 und 1990, während der letzten so genannten klimatologischen Normalperiode, maßen die Beobachter des Deutschen Wetterdienstes auf dem Zugspitzgipfel sommerliche Durchschnittstemperaturen von 1,5 Grad. Der Schneeferner schrumpfte, aber die winterlichen Schneefälle ließen Eis nachwachsen. Es schneit auch heute noch aufder Zugspitze, aber die Eisverluste im Sommer macht der Neuschnee im Winterlängst nicht mehr wett: 2,2 Grad zeigte das Thermometer im Sommer 1999, in den Jahren darauf 2,3, dann 2,4, schließlich 3,2, im vergangenen Jahr gar 5,2 Grad. Das allein kostete mehrere Meter Eis – und lässt die Tourismusmanager der Bayerischen Zugspitzbahn Bergbahn AG nichts Gutes ahnen: Ihr Kapital schmilzt dahin.
Seit einiger Zeit schon versucht die Betreiberinder Seilbahnen und Skilifte zu retten, was vom Schneeferner vielleicht noch zu retten ist: mit Plastikfolien. Sie sollen das Gefrorene vor der sommerlichen Sonne schützen. Ein Sessellift musste gleichwohl vor zwei Jahren schon aufgegeben werden; seine Stützen, einst im Gletscher verankert, hatten sich im schmelzenden Eis gelockert und den Betrieb unmöglich gemacht. Der still gelegte Lift hieß »Neue Welt«.
Schöne neue Welt. Weltweit ist die Durchschnittstemperatur im vergangenen Jahrhundert um 0,7 Grad gestiegen, in Deutschland um 0,9 Grad. Zwischen Flensburg und Garmisch beträgt der Normalwert jetzt fast 8,3 Grad, Tendenz steigend. 2000 war das wärmste Jahr seit fast 250 Jahren; auf den Plätzen dahinter folgen 1994, 1999, 2002 und 2003. 2002 ereilte den Osten und den Süden Deutschlands verheerendes Hochwasser, 2003 eine ebenso verheerende Dürre. Der Schaden ging jeweils in die Milliarden. Ungewöhnliche Jahre. Alles Zufall?
Klimaforscher wissen, dass schon kleine Veränderungen meteorologischer Mittelwerte extreme Wetterereignisse um ein Vielfaches wahrscheinlicher machen. Nach Feststellung des Deutschen Wetterdienstes wird Deutschland zum Beispiel deutlich häufiger als früher von so genannten Troglagen heimgesucht, einer Wetterlage, die dem Einzugsgebiet der Elbe vor zwei Jahren die heftigen Niederschläge und das verheerende Hochwasser bescherte. Derweil hat der Frankfurter Meteorologe Christian-Dietrich Schönwiese errechnet, dass die Wahrscheinlichkeit für das Eintreten eines Hitzesommers à la 2003 in den vergangenen zwei Jahrzehnten um das Zwanzigfache gestiegen ist.
»Wir spüren die Auswirkungen der globalen Klimaänderung immer deutlicher«, heißt es im jüngsten Naturkatastrophen-Report der Münchener Rückversicherung. Die Hitze des vergangenen Jahres kommentiertdas Unternehmen mit den Worten: »Die Zukunft hat bereits begonnen.«
Die Vögel, die Lieblingstiere der Deutschen, haben sich auf die wärmeren Zeiten am Standort D längst eingestellt. Peter Berthold, Direktor des Max-Planck-Instituts für Ornithologie, studiert das Leben der Vögel schon seit 50 Jahren – und hat erstaunliche Veränderungen festgestellt. »Rückgang des Zugvogel-, Zunahme des Standvogelverhaltens«, fasst der Forscher seine Erkenntnisse zusammen.Stare, Singdrosseln, Rauchschwalben und Mauersegler brechen mittlerweile bis zu sechs Wochen später in ihre Winterquartiere im Mittelmeerraum auf und kehren früher nach Deutschland zurück. Die Bonner Amselkolonie überwintert geschlossen am Rhein. Graugänse, die es früher bis nach Spanien zog, beenden ihre Reise in Holland, Störche in Spanien statt in Nigeria. Das Treibhausklima erspart ihnen den Interkontinentalflug. Mediterrane und nordafrikanische Vogelarten zieht es derweil gen Norden: Silberreiher, Wüstengimpel, Felsenschwalben, Bienenfresser fühlen sich hierzulande schon heimisch. »Es werden immer mehr«,beobachtet Berthold. Er rechnet sogar damit, bald Papageien zu sichten – und zwar im Schwarzwald.
Auch Pflanzen- und Meeresforschern bleiben die Zeichen des Klimawandels nicht verborgen. Eine Palmenart, die chinesische Hanfpalme, überlebt bereits in hiesigen Gärten bis hinauf zur Deutschen Bucht – während sich in der Nordsee Lebewesen tummeln und vermehren, die eigentlich die Wärme lieben: Sardellen, Sardinen und pazifische Austern zum Beispiel, wie der Koblenzer Umweltgutachter und Meeresbiologe Stefan Nehring berichtet.
The Day AfterTomorrow? Katastrophen wie der im Kino vorgeführte Untergang New Yorks fühlen sich anders an als die schlichte Veränderung von Lebensräumen. »The DayAfter Tomorrow« – dennoch beginnt der jüngste Klimastatusbericht des Deutschen Wetterdienstes mit diesen Worten. Klimawandel habe es immer gegeben, heißt es im Vorwort des Reports. Heute aber sei unsicher, ob sich Natur und Mensch schnell genug anpassen können.
Den Vögeln ist die Anpassung bisher gelungen, den Menschen macht sie zu schaffen. Ihre Arbeitsproduktivität sinkt, ihre Aggressivität steigt. Nicht zuletzt, weil sich an heißen Tagen 18 Prozent mehr Verkehrsunfälle als an kühlen Tagen ereigneten, hinterließen Hitzewellen »ihre Spuren auch in der Volkswirtschaft«, berichtet die Münchener Rückversicherung.
Manche Menschen sterben gar den Hitzetod. Eine epidemiologische Untersuchung in Baden-Württemberg entdeckte einen engenZusammenhang zwischen Hitzewellen und erhöhter Mortalität; es seien keineswegs »nur« ältere Menschen, die der thermische Stress dahinraffe, heißt es im Klimastatusbericht des Deutschen Wetterdienstes (DWD). Laut Gerd Jendritzky, Gesundheitsexperte in Diensten des DWD, erlagen im vergangenen Jahr in Deutschland rund 7000 Menschen verschiedener Alterschichten der Hitze, »konservativ geschätzt«. Gemessen an Mortalitätsziffern sei dies hierzulande die größte Umweltkatastrophe seit mehr als 500 Jahren gewesen.
Das Umweltbundesamt hat untersuchen lassen, ob ein wärmeres Klima den Menschen auch mehr Infektionskrankheiten beschert. Was die Gutachter des Bonner Instituts für Medizinische Parasitologie herausfanden, sind vor allem erschreckende Erkenntnislücken. Dennoch, Jochen Süss, Leiter des Nationalen Referenzlabors für durch Zecken übertragene Krankheiten, gibt »Brief und Siegel«, dass die Gefahr wächst: Neben den traditionellen Infektionsherden in Bayern und Baden-Württemberg seien neuerdings die thüringischen Kreise Saale-Holzland, Saale-Orla und Hildburghausen Zecken-Risikogebiete. Es traue sich nur noch niemand zu sagen, erklärt Süss, dass der Klimawandel an der Ausbreitung der Plage schuld sei.
Jahrzehnte lang gedeihten am Bodensee gute deutsche Äpfel: Cox Orange. Bis die Obstbauern vor rund zehn Jahren merkten, dass ihre Bäume keine ordentlichen Früchte mehr trugen. Immer häufiger wurden die Cox zugroß und zu weich und ließen sich deshalb nicht mehr gut lagern, was schlecht für’s Geschäft war. Der Niedergang der Cox Orange ging einher mit wärmerem Wetter. Immer öfters maß Peter Triloff, der Pflanzenschutzberater der Marktgemeinschaft Bodenseeobst, ungewöhnlich hohe Junitemperaturen; in den vergangenen 14 Jahren lagen sie durchschnittlich drei Grad über dem langjährigen Normalwert. Es musste etwas geschehen – und es geschah etwas: Die Apfelbauern rupften ihre Cox-Orange-Bäume aus dem Boden und pflanzten stattdessen neuseeländische und japanische Apfelbäumchen, Braeburn und Fuji. Nun gehen die Geschäfte wieder besser, abgesehen davon, dass die Bodenseesonne inzwischen auch den wärmeliebenden Äpfeln mitunter zu heiß ist. Immer häufiger ernten die Bauern deshalb Früchte mit Sonnenbrand. »Bratäpfel«, wie Triloff sagt.
Zum Tross der deutschen Delegation, die sich zur Klimakonferenz nach Argentinien aufgemacht hat, gehört auch der CSU-Bundestagsabgeordnete Josef Göppel. Vermutlich ist Göppel der einzige unter den Deutschen, der um den Klimawandel nicht nur aus Büchern weiß. Der Mann ist Förster, und wenn er am Wochenende durch die Wälder seiner fränkischen Heimat streift, fällt ihm so einiges auf. Zum Beispiel Überbleibsel von Eichenblättern, abgefressen von Schwammspinnern, einem Insekt, das es eigentlich hierzulande gar nicht gibt; jedenfalls hat Göppel das vor 30 Jahren auf der Forstschule so gelernt. Göppel hat auch bemerkt, dass Borkenkäfer jetzt schon im März schwärmen und nicht erst, wie früher, im April. Er fürchtet deshalb um die Fichte, den wichtigsten Wirtsbaum des Schädlings, der wegen seines geraden Wuchses auch der »Brotbaum« der hiesigen Waldbauern ist.
Tatsächlich denken Forstleute längst intensiv über den Umbau des Waldes nach. Das klimatische »Superjahr 2003« werde nicht lange außergewöhnlich bleiben, wer sich der unaufhaltsamen Klimaerwärmung nicht anpasse, »muss weichen«, warnt die Bayerische Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft (LWF).
Nicht nur der Wald, die Landschaft insgesamt wandelt sich unter dem Einfluss des Treibhauseffekts. Flüsse führen beispielsweise weniger Wasser, mit der Folge, dass mangels Kühlmedium Kraftwerke gedrosselt werden müssen. Der Karlsruher Stromkonzern Energie Baden-Württemberg rief die Verbraucher im vergangenen Jahr deshalb bereits zur Sparsamkeit auf. Wenig beruhigend ist auch, dass sich inzwischen tropische Algen in hiesigen Gewässern verbreiten. Wissenschaftler haben eine Art namens Cylindrospermopsis raciborskii in der Scharmützelsee-Region aufgespürt, samt des von ihr produzierten Giftes. Der Berliner Wasserversorger Veolia und Fachleute diverser Forschungseinrichtungen untersuchen nun, wie der Einwanderer nach Brandenburg kam – und welche Gefahr womöglich von ihm ausgeht.
»Die meisten Leute«, sagt Manfred Stock, »begreifen die Klimaänderung als etwas, was in ferner Zukunft passiert.« Stock,Physiker, arbeitet im Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung und wundert sich über diese Ignoranz – allenfalls erklärbar aus dem Umstand, dass die meisten Deutschen in Städten leben, dort, wo die Signale der Natur kaum wahrnehmbar sind.
Baufirmen, Wasserwerke, Hersteller von Düngemitteln, Versicherungen und viele andere wettersensible Unternehmen melden sich jedoch immer öfters bei Stock, um zu erkunden, was mit der Warmzeit auf sie zukommt. Zum Beispiel Dürren. Schon heute sickert auf drei Viertel des ohnehin trockenen Brandenburgs merklich weniger Niederschlag ins Grundwasser als noch während der sechziger Jahre. Mancherorts streiten Möhrenzüchter, Fischer und Viehbauern bereits um das kostbare Nass. Auch die Schifffahrt könnte Probleme bekommen, schwant Stock. Er mahnt deshalb zur Zurückhaltung beim Ausbau der Havel. Selbst große Heuschreckenplagen, den Deutschen bisher nur aus dem Fernsehen bekannt, hält Stock für ein »potenzielles Szenario«. Allerdings kennt er auch Gewinner des Wandels. Tatsächlich sprießt mittlerweilein Brandenburg, was dort schon lange nicht mehr gedieh: Wein, Werderaner Wachtelberg. Die englische Königin bekam den Tropfen kredenzt, als sie neulich in Deutschland weilte – unter anderem, um eine deutsch-britische Klimakonferenz zu eröffnen.
»Wenn die kalte Zeit da ist, bleibt oft der Niederschlag aus«, sagt Manfred Huber. Huber findet das nicht besonders bedauerlich, schließlich steht er in Diensten des Unternehmens TechnoAlpin – und das verkauft Schneekanonen. Die Geschäfte laufen gut. »Kein deutscher Liftbetreiber«, sagt Huber, habe nicht schon mit dem Gedanken gespielt, sich eine Beschneiungsanlage anzuschaffen. Kein Wunder. In Deutschland wird es nicht nur wärmer, es schneita uch nicht mehr, jedenfalls nicht zur rechten Zeit. Früher, berichtet Wolfgang Seiler, Leiter des Instituts für Meteorologie und Klimaforschung in Garmisch-Partenkirchen, sei der Schnee im Dezember und im Januar gekommen,heute fällt er eher im März oder April, dann, wenn die Ferien vorbei sind und sich aus dem Schnee kein Geschäft mehr machen lässt. Den Wintersportmanagern hilft da nur Kunstschnee – oder die Erschließung neuer Einnahmequellen. Der Tourismusverband Oberbayern wirbt bereits auch mit dem Motto: »Winter ohne Ski«.
Selbst das österreichische Kitzbühel, traditioneller Treffpunkt der Reichen und Schönen, hat nach einer Studie des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (Unep) seine besten Jahre als Wintersportort hinter sich. Big Business im Schnee war gestern, der Klimawandel, so Unep-Direktor Klaus Töpfer, beschere eben nicht nur armen Ländern Ungemach, sondern auch Wohlhabenden.
Die baden-württembergische Regierung hat bereits reagiert: Der Klimawandel erfordere es, Investitionen auf »zukunftsfähige Schneesporträume in den schneesicheren Lagen« zu konzentrieren, ließ der Wirtschaftsminister des Landes neulich wissen – nachdem die Deutsche Sporthochschule Köln ihm vorgerechnet hatte, wie rasant die Zahl der schneesicheren Tage im Schwarzwald schwindet: Im Süden des Mittelgebirges um 0,92, im Norden um 0,68 Tage pro Jahr.
Deichgraf oder Deichhauptmann heißt im Norden Deutschlands der ehrenamtlichen Vorsitzende eines Deichverbandes. Michael Schirmer ist solch ein Hauptmann, in Bremen zuständig für die Uferbefestigungen der rechten Weserseite, da, wo die schmucke Altstadt steht. Hauptberuflich lehrt Schirmer an der Universität, obendrein koordiniert er ein Projekt, mit dem ihn die Bundesforschungsministerin Edelgard Bulmahn beauftragt hat. Esträgt den etwas hölzernen Titel Klimaänderung und Unterweserregion, kurz Klimu.
Auch das ist eine Folge des Klimawandels: Mancherorts wappnen die Deutschen sich bereits gegen die große Flut, im Binnenland wie an der Küste. Der bayerische Umweltminister Werner Schnappauf dekretierte kürzlich, dass bei Neuplanungen von Hochwasserschutzanlagen ein »Klimafaktor von plus 15 Prozent« einzurechnen sei. Der Generalplan Küstenschutz der schleswig-holsteinischen Landesregierung sieht vor, die Nord-und Ostseedeiche um bis zu 50 Zentimeter zu erhöhen. Und auch den Niedersachsen rät Schirmer, nicht so zu tun, als gäbe es den Klimawandel nicht: »Er wird uns ziemlich kräftig erwischen«, prophezeit er.
Pech: Während der Meeresspiegel langsam steigt, rund zehn Zentimeter während des vergangenen Jahrhunderts, senkt sich, tektonisch bedingt, die deutsche Küste. Beide Effekte zusammen könnten Land und Meer binnen 50 Jahren rund 55 Zentimeter näher aneinander rücken lassen, schätzt Schirmer – mit dem Effekt, dass große Fluten wahrscheinlicher werden: Statt alle 2500 Jahre, wie derzeit, drohe die Katastrophe in Zukunft alle 250 Jahre. »Ein nicht mehr akzeptables Risiko«, sagt Schirmer.
Schirmer glaubt zwar, ziemlich exakt vorhersagen zu können, um wie viel Zentimeter der Meeresspiegel steigt. Doch vielleicht irrt er, irgendwann wird man das wissen, in 10, in 20, in 30 Jahren. Nur wird es dann zu spät sein, sich vor der Flut zu schützen. Deiche, niemand weiß das besser als ein Deichhauptmann, lassen sich schließlich nicht von heute auf morgen verstärken. »Wir brauchen Platz, wir brauchen Geld, wir brauchen Kleiboden«, sagt Schirmer – und hofft im Stillen auf die nächste Flut. Darauf, dass Kommunal- und Landespolitiker wenigstens aus Schaden klug werden.
Am anderen Ende Deutschlands, im Schneefernerhaus, misst derweil Ludwig Ries seine CO2-Millionstel und sagt, dass er beschlossen habe, »zum Lager der Optimisten zu gehören«. Anlass dafür gibt es bisher wenig – abgesehen davon, dass einmal pro Jahr der Klimaschutz ganz oben auf der internationalen Agenda steht. So, wie gerade im fernen Buenos Aires, wo sich die meisten Diplomaten darüber freuen, dass demnächst endlich das Kyoto-Protokoll in Kraft tritt.
Bislang allerdings hat das Protokoll kaum etwas dazu beigetragen, den Trend zur Warmzeit zu stoppen. Plus 1,4 Grad während der nächsten 100 Jahre erscheint den meisten Forschern unvermeidlich.
Papageien, willkommen im Schwarzwald!