Der CSU-Vorsitzende sieht Gemeinsamkeiten mit den Grünen

Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 5.2.2004

München, 4. Februar. Die Kombination der Worte schwarz und grün hat sich bislang in der CSU wenig Beliebtheit erfreut. Nur vereinzelte CSU-Politiker wagten es, sich dieser Variante des politischen Farbenspiels zu widmen, etwa der Bundestagsabgeordnete Josef Göppel, der ab und an wissen ließ, er stünde einer schwarz-grünen Zusammenarbeit "positiv und offen" gegenüber. „Ja mei, der Göppel", wurden solche Vorstöße in der Partei belächelt. Doch nun steht Göppel, dem schwarz-grünen Vordenker der CSU, ein Mitstreiter zur Seite, der ganz und gar nicht zum freundlichen Abwinken einlädt: der Parteivorsitzende Stoiber.
Nicht, daß Stoiber unzufrieden mit seiner Zweidrittelmehrheit in Bayern wäre und überlegte, noch die Grünen in sein Regierungsboot zu holen, um der Landespolitik ein wenig Schwung zu verleihen. Für Schwung ist durch seine Spar- und Reformpolitik ohnehin gesorgt, vom Umbau der Forstverwaltung bis hin zur Einführung des achtjährigen Gymnasiums. Stoiber hat aber seinen Blick, wie es seine Rolle als Vorsitzender einer Partei mit bundespolitischem Anspruch gebietet, über die Landesgrenzen geworfen - und sich Gedanken gemacht, wie es mit der Schwesterpartei CDU weitergehen könnte.
Die CDU müsse von Land zu Land über schwarz-grüne Optionen entscheiden, dekretierte Stoiber am Mittwoch - nicht im Parteiorgan „Bayernkurier", sondern im Hamburger Magazin "Stern". Von Land zu Land, weil sich die Grünen ganz unterschiedlich entwickelt hätten. „Sie sind in manchen Bereichen pragmatischer, offener geworden, sie haben Führungsleute, die nicht mehr ideologisch argumentieren und ihre bürgerliche Herkunft nicht verleugnen", stellte Stoiber fest - und kam zu dem Fazit: „Daraus kann sich in dem einen oder anderen Land durchaus ein Vorrat an Gemeinsamkeiten ergeben."
Damit CSU-Anhänger, die sich über Stoibers neue Sicht auf die Grünen die Augen reiben, nicht ins Zweifeln geraten, wählte Stoiber noch eine Redewendung, die er bevorzugt, wenn es ernst wird - nämlich, was nicht seine „Auffassung" ist: "A priori zu sagen, Koalitionen mit den Grünen dürfen nicht sein, weil das Schmuddelkinder seien, ist nicht meine Auffassung." Es darf also nachgedacht werden in der CSU, über Schwarz und Grün und ihr Zusammenspiel - und das nicht mehr nur von Josef Göppel , dem als Vorsitzenden des Umweltarbeitskreises der CSU eine denkwürdige Öffnung seiner Partei gelungen ist.
Das Umweltprogramm der CSU liest sich in manchen Passagen jedenfalls so, als sei es schon das Ergebnis schwarz-grüner Konsultationen. Dennoch traf Stoibers Entdeckung der Grünen als bürgerlicher Kraft am Mittwoch manche in seiner Partei mit Wucht; so gab der Bundestagsabgeordnete Geis aufgeschreckt zu Protokoll, er hege "größte Bedenken" gegen schwarz-grüne Regierungsbündnisse. Zwischen der Union und den Grünen lägen "Welten", etwa in der Finanz- und Wirtschaftspolitik. Akkurat auf diesen Feldern hatte vor der Bundestagswahl der damalige Vorsitzende der CSU-Landtagsfraktion, Glück, den Grünen eine größere "Reformfreudigkeit" als der SPD bescheinigt - damals noch ohne Beistand Stoibers.
Die neue Wendigkeit ihres Vorsitzenden könnte einigen CSU-Politikern noch Nachbesserungen an der Software ihres politischen Navigationssystems bescheren. Sie durften sich am Mittwoch damit trösten, daß die schwarz-grünen Worte des Vorsitzenden auch auf Gedankenspiele in der FDP gemünzt waren, in der Bundesversammlung könnte ein FDP-Bewerber mit den Stimmen der SPD und der Grünen zum Bundespräsidenten gewählt werden. In einem solchen Ampelbündnis würde die FDP sich inhaltlich selbst aufgeben, ließ Stoiber grollend vernehmen - und fügte hinzu, daß sich der FDP nur an der Seite der Union wieder ein Weg in die Regierungsverantwortung im Bund öffne. So gesehen, war es ein schwarz-grüner Ordnungsruf an die FDP, der am Mittwoch aus München ertönte; es könnte doch noch ein wenig dauern, bis Josef Göppel als Chefberater in die Staatskanzlei einzieht.
Von Albert Schäffer, FAZ vom 5. Februar 2004