Schöne neue Geldwelt

Wie begegnen wir der Globalisierung richtig?


Josef Göppel hat für ein Buchprojekt der Umweltbank Nürnberg einen Beitrag zum Thema "Wie begegnen wir der Globalisierung richtig?" verfasst.

Die Verlockung
Eines Tages werden alle Menschen wohlhabend und glücklich sein. Wie das geht? Alle Grenzen fallen. Güter und Dienstleistungen werden nur noch dort hergestellt, wo sie am günstigsten zu erbringen sind. Dadurch wird alles billiger. Der Welthandel bringt die Segnungen des Fortschritts bis in die hintersten Winkel der Erde. Ökonomen nennen das Ausnutzung des komparativen Kostenvorteils und Vermeidung von Fehlallokationen. Man müsse die Wirtschaft nur laufen lassen und staatliche Eingriffe zurückdrängen, dann stelle sich dieser Zustand bald ein. Bis dahin müssten aber noch schwere Opfer gebracht werden, wie Senkung des Lohnniveaus, Abbau von Sozialleistungen und Beseitigung unproduktiver regionaler Strukturen.
Wer das vertritt? Die Anhänger des liberalistischen Wirtschaftsmodells. Einer ihrer Gründerväter ist der Wirtschaftsprofessor Milton Friedman. Er lehrte in den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts an der Universität Chicago. "Chicago boys" nannten sich seine Anhänger und begannen einen Marsch durch die Institutionen. Deregulierung, Liberalisierung, Flexibilisierung und Umbau des Sozialstaats sollen nach ihrer Meinung ungehemmt ablaufen. Seit dem Ende des Kommunismus um 1990 hat sich das liberalistische Modell rasant als weltweite Wirtschaftsideologie verfestigt. Nach der rauschenden Offensive der neunziger Jahre zeigen sich nun immer deutlicher verblüffende Parallelen. Ferne Heilserwartung und Opfer auf dem Weg dort hin, das hat ideologiehafte Züge. Spätestens hier sollten wir misstrauisch werden. Wo ist die Grenze zwischen notwendiger Entschlackung und Aushöhlung der sozialen Marktwirtschaft?
Die Schattenseiten
Zwei Jahrzehnte an Erfahrungen mit der Globalisierung lassen nun langsam die Schattenseiten hervortreten: Weltweit steigende Arbeitslosigkeit, Absinken des realen Lebensstandards, Auszehrung der Mittelschicht, Armut der öffentlichen Haushalte und Anhäufung privaten Reichtums. Auch in so genannten reichen Ländern nehmen die Wohlstandsunterschiede zu. Die neue Weltordnung nährt sich vielfach von billiger Arbeit und Ausbeutung der Umwelt. Das Kapital genießt schrankenlose Beweglichkeit. Es wandert auf der Suche nach niedrigeren Sozial- und Umweltstandards von einem Land zum andern. Menschen, die dem Reichtum nachwandern, werden mit scharfen Gesetzen im Zaum gehalten.
In den USA sind seit den achtziger Jahren über ein Drittel der Arbeitnehmer aus tariflich abgesicherten Arbeitsstellen in Niedriglohnjobs abgedrängt worden. 18 % (siehe 1) der Menschen im führenden Land der Erde leben unter der Armutsgrenze; über 50 % haben keine gesicherte Altersversorgung. Nach dem UNO-Bericht zur Lage der Menschheit wird die Kluft zwischen arm und reich immer größer. Betrug das Verhältnis zwischen dem reichsten und ärmsten Fünftel der Weltbevölkerung 1960 noch 30 zu 1, so stieg es zur Jahrhundertwende auf 70 zu 1 (siehe 2).
Die Globalisierung schießt über ihr Ziel hinaus. Sie vereinheitlicht die Welt. Evolution braucht aber Vielfalt. Bessere Lösungen entstehen am besten aus einer Vielfalt eigenständiger Herangehensweisen. Die Entwicklungsländer leiden zum Beispiel am meisten unter dem System der Lizenzvergabe. Multinationale Konzerne erlangen damit die Kontrolle über lokale Märkte. Das beginnt mit Paketen von Saatgut / Pflanzenschutz / Düngung und reicht bis zu industriellen Fertigungstechniken oder bestimmten Managementverfahren. Der Schutz geistigen Eigentums im WTO-Vertrag macht es möglich. Erzeugnisse aus den Industrieländern überschwemmen lokale Märkte in den Entwicklungsländern und verdrängen dort das traditionelle Kleinunternehmertum. Internationales Großkapital zerstört regionales Kleinkapital. Wir sind Zeitzeugen einer neuen Kolonisierungswelle. Diesmal kolonisieren aber nicht Staaten, sondern Konzerne. Die Gewinner des Systems sind die globalen Finanzorganisationen, Öl- und Energiekonzerne, der militärisch industrielle Komplex, Biotech-Konzerne sowie Medienunternehmen. Am meisten leiden die Rohstoffproduzenten. Unsere Bauern können ein Lied davon singen. 1980 kostete ein Doppelzentner Weizen noch 23 Euro, heute liegt der Marktpreis bei 9 Euro. Auch Kaffee ist so billig wie noch nie. Seit 1995 fiel der Erzeugerpreis um zwei Drittel auf rund 5 Cent für 500 Gramm. Wer in Europa dafür 2 bis 5 Euro bezahlt, denkt kaum daran, dass den Bauern nur 1 bis 2 % bleiben. In den Industrieländern fangen Stützungszahlungen aus dem allgemeinen Steuertopf einen Teil davon auf; in den Entwicklungsländern führt der Preisverfall zu bitterer Armut.
Immer mächtiger ertönt deshalb der Ruf, den natürlichen Gütern dieser Erde einen gerechten Preis zu geben. Für sauberes Wasser, Rohstoffe oder die genetische Vielfalt, so verlangten es die Entwicklungsländer beim Johannesburger Weltgipfel 2002, müsse ihnen ein gerechter Anteil bleiben. Typisches Beispiel: Pharmakonzerne entsenden Botaniker in den tropischen Regenwald, um eine Geranienart zu sammeln, die antibiotisch wirkende Stoffe enthält. Daraus entstehen dann hochwirksame Arzneimittel. Die Menschen im jeweiligen Land bekommen von dieser Wertschöpfung bisher jedoch nichts ab. Das soll sich nun durch Lizenzgebühren für die genetische Vielfalt und freie Güter ändern. Für importierte Industriegüter müssen die Entwicklungsländer schon lange hohe Preise oder Lizenzgebühren bezahlen.
Globalisierung und Demokratie
Der ungeregelte globale Markt untergräbt darüber hinaus zunehmend die demokratische Kontrolle von Entscheidungen. Multinationale Konzerne erheben sich über die nationalen Rechtsnormen und spielen Staaten gegeneinander aus. Konzernführer lassen Ministerpräsidenten bei Standortentscheidungen zappeln - und kräftig zahlen. Weltweit agierende Unternehmen können ihre Interessen an den nationalen Regierungen vorbei durchsetzen. Der Satz eines entlassenen Arbeiters gegenüber einem deutschen Ministerpräsidenten macht das deutlich: "Sie habe ich gewählt, aber Sie haben keine Macht und diejenigen, die die Macht haben, kann ich nicht abwählen."
Die Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen nimmt dem einzelnen Bürger Mitwirkung und Einfluss. Wahlzettel und Bürgerentscheid greifen nicht mehr, wenn die Wasserversorgung oder das örtliche Altenheim von privaten Unternehmen betrieben werden. Alle Dienstleistungen, bei denen der einzelne Bürger keine echte Wahlmöglichkeit vor Ort hat, eignen sich eben nicht für eine völlige Privatisierung.
Globalisierung und Staatsfinanzen
Die Finanzen der Staaten hat die Globalisierung in eine krasse Schieflage gebracht. Sicher sind fast überall hausgemachte Fehler beteiligt, doch der Trend ist eindeutig. Immer mehr Wertschöpfung entzieht sich der Besteuerung durch übernationale Verflechtungen. Gleichsam auf Stelzen steigen die multinationalen Konzerne über die Ländergrenzen hinweg und bilden ein eigenes Geflecht, auf das die territorial festgebundenen Staaten keinen Einfluss mehr haben. Den Großteil der Steuerlast tragen so Arbeitnehmer und Mittelständler, die andererseits mit den kaum steuerlich belasteten Produkten der Multis konkurrieren müssen. Immer lauter ertönt deshalb der Ruf nach einer Steuerquelle, die der neuen Weltsituation Rechnung trägt. So wie für Waren und Dienstleistungen Mehrwertsteuer gezahlt werden muss, so sollen künftig auch die Kapitaltransaktionen an den Börsen zur Finanzierung der internationalen Entwicklungszusammenarbeit herangezogen werden.
Das europäische Entwicklungsmodell, zurückgebliebenen Regionen über Strukturfonds etwas vom allgemeinen Wohlstand abzugeben und ihnen so hoch zu helfen, ist auch ein Modell für die globale Nord-Süd-Zusammenarbeit. Es ist klar, dass so etwas nur international geht, aber gerade darum muss die Diskussion darüber jetzt auf breiter Front beginnen.
Der Gegenentwurf
Es gibt eine Antwort auf die Frage nach dem optimalen Wirtschaftskonzept - die soziale Marktwirtschaft. Ludwig Erhard erkannte, dass Wohlstand für alle nur möglich ist, wenn man die Menschen mitnimmt. Die Erträge der Marktwirtschaft müssen allen zugute kommen. Erhard war überzeugt, dass die Kräfte des Marktes Regeln brauchen, die sie begrenzen. Eindringlich warnte er vor "liberalistischem Freibeutertum". Sein Konzept bescherte Deutschland das Wirtschaftswunder. Ende der sechziger Jahre hatte unser Land eine weitgehend ausgeglichene Vermögensverteilung, eine starke Mittelschicht und viele Kleinunternehmer. Alle lebten besser, weil dem Eigennutz zugunsten des Gemeinwohls Grenzen gesetzt waren.
Nun drohen die Errungenschaften der sozialen Marktwirtschaft auf dem Umweg über die Globalisierung hinweggespült zu werden. Es sei noch einmal darauf hingewiesen: Die Bewahrung der Marktwirtschaft Ludwig Erhards heißt auch Auswüchse kappen, Regelungen aufweiten, individuelle Lösungen ermöglichen. Das alles aber innerhalb eines rechtlichen Rahmens, über den demokratische verantwortliche Instanzen wachen. Angesichts des Raubbaus des real existierenden Liberalismus an der sozialen Gerechtigkeit, an der natürlichen Umwelt und an der kulturellen Vielfalt haben wir Deutschen keinen Grund, unser Licht unter den Scheffel zu stellen. Wir brauchen einen weltweiten Siegeszug der sozialen Marktwirtschaft, nicht ihren Rückzug! Wir brauchen klar definierte soziale, ökologische und kulturelle Standards innerhalb der Marktwirtschaft, aber nicht schrankenlosen Wettbewerb!
Nur die ökologisch weiterentwickelte soziale Marktwirtschaft ist in der Lage, eine der Zentralfragen des 21. Jahrhunderts zu lösen: Wie können wir mit 20 % des heutigen Material- und Energieverbrauchs gleich gut oder vielleicht sogar besser leben? Der Planet "verbrennt" heute fünfmal mehr Ressourcen als in der Atmosphäre nachhaltig verkraftbar ist. Es braucht - um mit dem österreichischen Wirtschaftler Heinrich Wohlmeyer zu sprechen - eine Zügelung, damit das gute Pferd Marktwirtschaft in die richtige Richtung läuft.
Regionalinitiativen
Je mehr Lebensbereiche von der Globalisierung erfasst werden, desto stärker wird weltweit das Streben nach regionaler Selbsthilfe. In allen Erdteilen bilden sich Regionalinitiativen. Es ist ein kulturelles Aufbegehren gegen den Verlust eigener Traditionen zugunsten einer Einheitszivilisation westlicher Prägung. Allein in Deutschland umfasst das Netzwerk der Regionalinitiativen inzwischen über 300 Gebiete. Die Leute wollen an den Möglichkeiten der weltumspannenden Zivilisation teilhaben, aber gleichzeitig in einem überschaubaren Raum verwurzelt bleiben. Gerade in der immer schneller drehenden Zivilisationswelt brauchen die Menschen Haltepunkte für das Gemüt. Mit mehr regionalen Wirtschaftskreisläufen sollen neuartige Stadt-Land-Partnerschaften entstehen. Zur Versorgung von 1 Million Menschen braucht es in Mitteleuropa ein Agrarumland von rund 2.000 Quadratkilometer, also etwa die Region Westmittelfranken von Uffenheim bis Weißenburg (siehe 3). Es geht dabei jedoch nicht nur um landwirtschaftliche Produkte, sondern auch um eine eigenständige Energieversorgung aus erneuerbaren Quellen, um Handwerk und um Dienstleistungen. Je mehr eigenerwirtschaftetes Kapital in einer Region zirkuliert, desto mehr Wertschöpfung gibt es, desto besser kann die öffentliche Infrastruktur erhalten werden und desto mehr junge Menschen können dort ihre Existenz aufbauen. Vielen Menschen bei uns ist noch nicht bewusst, dass sie mit ihrem Einkaufsverhalten auch über ihr eigenes Vermögen entscheiden. Je mehr Geschäfte und Handwerksbetriebe in einem Ort schließen, desto weniger ist bald auch ihr mühsam erarbeitetes Eigenheim wert!
Wo lege ich mein Geld an?
Eine weitere Einwirkungsmöglichkeit des einzelnen auf den globalen Gang der Dinge heißt gezielte Geldanlage. Ethisch und ökologisch orientierte Geldanlagen gibt es inzwischen in großer Zahl. Ihre Rendite ist oft nicht schlechter als bei konventionellen Anlagen; ja insgesamt sogar stabiler, wie der Naturaktienindex der Zeitschrift Natur und Kosmos beweist (siehe 4). Noch viel zu wenige Menschen kommen allerdings auf die Idee, beim Abschluss einer Lebensversicherung oder irgendeiner anderen Anlageform nach dem Verwendungszweck ihrer Beiträge zu fragen. Täten es mehr als die derzeit drei Prozent, so würden sich die großen Finanzdienstleister der neuen Nachfrage schnell anpassen. Wo lege ich mein Geld an? - Das ist angesichts des immensen Privatvermögens in Deutschland ein wirkungsvolles Potential, den Kräften der Globalisierung richtig zu begegnen.
Zusammenfassung
Die Globalisierung hat in den letzten 25 Jahren
die Unterschiede zwischen arm und reich vergrößert,
privaten Reichtum bei wenigen angehäuft,
den Anteil der Entwicklungsländer am Welthandel verringert,
Löhne und Sozialleistungen herabgedrückt,
ein Geflecht von übernationalen Konzernen entstehen lassen und
die öffentlichen Haushalte durch Steuerentzug ausgezehrt.
Die liberalistische Ideologie nimmt keine Rücksicht auf gewachsene Strukturen, auf soziales Gefüge und auf intakte Natur. Schrankenloser Freihandel ist auch frei von Verantwortung. Freiheit muss aber in allen Lebensbereichen an Verantwortung gebunden sein, sonst gilt bald nur noch das Recht des Stärkeren. Das wäre dann auch das Ende der Freiheit. Nach der liberalistischen Wirtschaftsdoktrin soll alles der freie Markt bewirken. Dieses Denken übersieht, dass die Hilfsquellen unserer Erde nicht unbegrenzt zur Verfügung stehen. Auch die Wirtschaft kann sich nicht außerhalb der Naturgesetze stellen. Die Behauptung, ein voll liberalisierter Welthandel nütze allen, ist unwahr. Je weiter die ungeregelte Globalisierung voran schreitet, desto größer werden Unterschiede und Ungerechtigkeiten.
Für uns Deutsche hat das noch eine besondere Bedeutung. Bei uns wurde das Konzept der sozialen Marktwirtschaft entwickelt, das mehr Menschen als je zuvor wirtschaftlichen Wohlstand und soziale Sicherheit brachte. Auf dem Umweg über die Globalisierung drohen die Errungenschaften der sozialen Marktwirtschaft nun verloren zu gehen. Die globale Wirtschaftstätigkeit muss dringend menschen- und naturverträglicher gestaltet werden!.
Im Vertrag der Welthandelsorganisation WTO müssen die Staaten mehr Möglichkeiten bekommen, Importe zurückzuweisen, die ihren sozialen, ökologischen und kulturellen Standards nicht genügen. Freihandel ist kein Wert an sich!
Die internationalen Verträge und UNO-Programme zu Entwicklungszusammenarbeit, Umweltschutz, Arbeitnehmer- und Frauenrechten brauchen wirksame Sanktionsmechanismen, damit sie dem Welthandelsvertrag ebenbürtig werden.
Der Kapitalmarkt muss künftig ebenso wie der Markt von Waren und Dienstleistungen zum Steueraufkommen beitragen.
Wie begegnen wir der Globalisierung richtig? Das war die Frage dieser Betrachtung. Die faszinierenden Möglichkeiten weltweiten Austausches nutzen und dabei den Reiz der Vielfalt nicht zerstören; mit dem Kopf im Internet sein und mit den Füßen auf heimatlichem Boden stehen - das ist eine attraktive Lebensvision, die viele Menschen überzeugt. Einerseits hängt die Bewältigung der neuen ökonomischen Weltsituation von der Trendbildung vieler Einzelentscheidungen ab; andererseits braucht es mehr mutige Unternehmer und Politiker, die an ihrem Platz das Nötige tun. Die Umweltbank Nürnberg ist ein Beispiel dafür.
Anmerkungen:
(1) Economic Report of the President 2002, US Bureau of the Census (2) UNEP GEO 3 2002 (3) Berechnungen BUWAL, Bern (4) Natur und Kosmos, Januar 2003

Artikel vom: 11.02.2003 10:40