Kampfeinsatz in Afghanistan?

Zentrale Aufgabe bleibt der Wiederaufbau des Landes

Berlin, 13. Februar 2008 - Tiefe Erschöpfung und Entsetzen stehen dem amerikanischen Soldaten ins Gesicht geschrieben. Sie kennen vielleicht das Bild aus einem Erdbunker am Hindukusch, das vergangene Woche als bestes Pressefoto 2007 ausgezeichnet wurde. Es steht symbolisch für den Scheidepunkt, an dem der Westen in Afghanistan steht. Die Erfolge im Wiederaufbau, wie neue Schulen, ein Aufschwung im traditionellen Handwerk und neues Selbstbewusstsein bei Frauen stehen im Schatten des andauernden Krieges.

Macht es überhaupt noch Sinn, dass wir das Leben unserer Soldaten und Entwicklungshelfer riskieren, wenn die Kämpfe in weiten Teilen des Landes jede wirtschaftliche Erholung wieder zunichte machen? Die Antwort der Afghanen auf diese Frage ist eindeutig: Laut Umfragen sprechen sich 80% dafür aus, dass der internationale Militäreinsatz weiter geht. Afghanen, ausländische Entwicklungshelfer und Soldaten der ISAF-Schutztruppe sind sich auch einig, dass das Land ohne die militärische Hilfe aus dem Ausland wieder in einen Bürgerkrieg stürzen würde. Eine Rückkehr der Taliban an die Macht wäre dann nicht ausgeschlossen. Deshalb ist der Einsatz der Bundeswehr auch in unserem Interesse. Wenn in Afghanistan wieder Ausbildungslager für Terroristen entstehen würden, bedroht das die Sicherheit auch in Deutschland.

Die Nato-Partner fordern von Deutschland mehr Unterstützung bei den verlustreichen Kämpfen im Süden Afghanistans. Es würden insgesamt mehr Soldaten gebraucht, um die Region zu stabilisieren. Die Gegner eines demokratischen und rechtsstaatlichen Afghanistan haben den Westen erfolgreich in eine Zwickmühle gebracht. Taliban und Al-Kaida nehmen nach irakischem Muster bei ihren terroristischen Anschlägen und im Guerillakrieg gegen die internationalen Streitkräfte skrupellos zivile Opfer in Kauf. Jedes getötete Kind, jede getötete Frau hat aber Angehörige, die verständlicherweise nach einem Schuldigen suchen. In den Augen der Afghanen sind diese Opfer auch mit dem ausländischen Militäreinsatz verbunden. Die Bundeswehr muss alles tun, um nicht in diese Spirale von Gewalt und Gegengewalt gezogen zu werden. Die jüngsten Erfolge der Amerikaner bei der Stabilisierung in Bagdad haben gezeigt, dass auch eine stärkere Präsenz ein Ausweg aus dieser Falle sein kann. Eine gut ausgestattete Truppe reagiert souveräner auf Provokationen.

Ein stärkeres militärisches Engagement muss aber untrennbar mit neuen Anstrengungen im Wiederaufbau verbunden sein. Ein Afghane, der Erfolge beim Wiederaufbau sieht und auf bessere Lebensbedingungen hoffen darf, wird die Taliban nicht unterstützen. Die Nato und besonders die Bündnispartner im Süden müssen sich deshalb kritisch fragen, ob das Militärische in den letzten Jahren nicht zu viel Gewicht hatte. Wir brauchen vor Truppenaufstockungen eine Gesamtstrategie, die den Schwerpunkt auf Wiederaufbau und eine Stärkung des demokratischen Afghanistan legt. Nur so kann die Wende zum Besseren gelingen.

Al-Kaida droht in seinen Internetbotschaften mit Anschlägen in unserem Land. Die Terrororganisation sucht unter den deutschen Muslimen nach Attentätern. Das perfide Kalkül: Die Deutschen sind besonders skeptisch gegenüber allem Militärischen und deshalb als schwächstes Glied der Nato am ehesten zum Rückzug zu bewegen. Dagegen hilft nur eine maßvolle, aber entschlossene Antwort. Solange die Afghanen unsere Hilfe beim Wiederaufbau brauchen, müssen wir zu unserer Verantwortung stehen. Da kommt die deutsche Integrationsdebatte zur rechten Zeit: Die hier lebenden Muslime müssen sich als Teil der deutschen Gesellschaft verstehen. Deshalb ist der Streit nach dem Besuch des türkischen Ministerpräsidenten gut. Miteinander reden und den anderen ernst nehmen ist die wichtigste Voraussetzung für Zusammenhalt. Zu lange haben Einwanderer und Mehrheitsgesellschaft nebeneinander her gelebt. Die freie, demokratische und rechtsstaatliche Gesellschaft wird nicht nur am Hindukusch, sondern auch im eigenen Land verteidigt.

Artikel vom: 13.02.2008 14:48