Anonymes Kapital frisst echtes Unternehmertum

Mittelstand und freie Berufe haften - Manager nicht!

Herrieden, 26. März 2008 - Medizinische Versorgungszentren und Call Center statt Hausarzt? Hotline statt persönlicher Rechtsberatung durch den selbständigen Anwalt? Fertighaus statt individueller Architektenleistung? Kapitalgesellschaften verdrängen immer stärker die traditionellen freien Berufe. Die ständig steigende Zahl von Call Centern ist ein Gradmesser für diese tiefgreifende gesellschaftliche Veränderung. Inzwischen ersetzen über 6000 dieser Telefonzentralen die persönliche Beratung durch einen Experten vor Ort.

Zentralisierung verspricht mehr Effizienz. Mehr Effizienz ist gleich mehr Wertschöpfung und niedrigere Preise. Davon profitieren alle, so die neoliberale Weltsicht. Aber sind wirklich alle Folgekosten berücksichtigt? Bieten zentrale Strukturen dieselbe Lebensqualität? Besonderes auf dem Land zeigen sich die Auswirkungen:

Der über lange Jahre vertraute Hausarzt weicht dem Versorgungszentrum in der Stadt. Eine digitale Krankenakte ersetzt aber im Notfall nicht die Erfahrung des örtlichen Mediziners. Die Versorgung muss auch einem menschlichen Maß gerecht werden, denn eine Arztpraxis ist kein Gesundheitsautomat. Das Gespräch mit dem Patienten ist oft sogar der wichtigste Teil der Therapie. Der Mediziner muss die Zeit haben, auch über die körperlichen Symptome hinaus einen Eindruck vom Patienten zu gewinnen. Oft hilft ein veränderter Lebensstil oder der Rat, die Hilfe eines Psychologen zu suchen mehr als Medikamente. So könnten die Krankenkassen am Ende sogar Geld sparen. Die Idee des Hausarztes als Lotsen im Gesundheitssystem muss deshalb gestärkt und entsprechend honoriert werden. Dasselbe gilt für Apotheken: Die persönliche Beratung kann eine Internetapotheke nicht leisten.

Der Bau ist ein weiteres Beispiel: Wenn überall die immer gleichen Fertighäuser gebaut werden, verschwinden regionale Besonderheiten. Vor Ort verwurzelte Handwerksfirmen und Architekten entwickeln die lokale Baukultur weiter. Wenn sie ihre Existenzgrundlage verlieren, geht damit auch das Bewusstsein für eine regionale Identität und ein Stück Heimat verloren.

Die Bürger entscheiden als Verbraucher darüber, ob regionale Strukturen erhalten bleiben oder nicht. Die Politik ist aber gefragt, wenn es um die Rahmenbedingungen geht. Gerade im medizinischen Bereich darf nicht nur wirtschaftlich gedacht werden.

Das Grundproblem geht aber darüber hinaus. Auch aus wirtschaftlicher Sicht sind Zweifel am Trend zur Zentralisierung angebracht. Freie Berufe und mittelständische Firmen zeichnen sich durch die persönliche Verantwortung des Eigentümers aus. Der Mittelstand haftet mit dem Privatvermögen und ist nicht vom Vierteljahresrhythmus der Börsen abhängig. Wer funktionierende regionale Wirtschaftskreisläufe braucht, denkt schon aus Eigeninteresse langfristiger. Hier liegt der wesentliche Unterschied zu anonymen managergeführten Großunternehmen. Selbst wenn die Geschäftsleitung das Unternehmen in eine tiefe Krise führt, werden die Manager mit einem goldenen Handschlag verabschiedet. Die Gesellschaft trägt die Folgekosten der Arbeitslosigkeit oder der Staat muss angeschlagene Unternehmen sogar finanziell stützen. Die persönliche Haftung als Grundprinzip der sozialen Marktwirtschaft wird dadurch ausgehebelt.

In der Bankenkrise wird dieser Irrweg besonders deutlich. Gutbezahlte Banker spekulieren mit riskanten amerikanischen Immobilienkrediten obwohl der damalige amerikanische Notenbankchef Greenspan schon vor Jahren vor zu leichtfertiger Kreditvergabe gewarnt hat. Nachdem schon die angeschlagene IKB-Bank mit Milliarden Steuergeldern gerettet werden musste und die amerikanische Zentralbank mit hektischen Aktionen eine der größten US-Investmentbanken vor dem Zusammenbruch bewahrt hat, fordert Deutsche-Bank-Chef Ackermann nun staatliche Hilfen für alle Banken. Bundeswirtschaftsminister Michael Glos fasst das Problem zusammen: „Aus den gleichen Etagen, aus denen sonst weniger Staat gefordert wurde, klingt jetzt der Ruf nach mehr Staat. Zur Beruhigung der Lage tragen solche Forderungen nicht bei."

Was kann die Politik tun? Der Schlüssel liegt darin, dass auch Manager zu Unternehmern werden müssen. Genauso wie der Chef eines Handwerksbetriebs mit seinem Privatvermögen haftet, sollten neben großen Kapitalgesellschaften auch deren Geschäftsführer die volle Verantwortung für ihr Handeln übernehmen. Dann würden sich auch größere Unternehmen genauso risikobewusst verhalten wie mittelständische Unternehmen und die möglichen Folgekosten einer gewagten Strategie betriebswirtschaftlich berücksichtigen. Dann wird auch der Wettbewerb mit kleineren, selbständigen Konkurrenten wirklich fair. Die Bankenkrise ist der letzte dringende Anlass, Haftungsregeln durchzusetzen, damit der Kapitalismus ohne Verantwortung beendet wird.

Artikel vom: 26.03.2008 14:42