Von der Energiewende zur Lebensstilwende

Beitrag von MdB Josef Göppel in Paulinus, der Wochenzeitung des Bistums Trier vom 7. September 2014

Herrieden, 7. September 2014 - Als im japanischen Fukushima die Meereswellen den technischen Machbarkeitswahn unter sich begruben, zog Deutschland die weitreichendsten Konsequenzen. Der Ausstieg aus der Atomenergie sollte eine umfassende Energiewende einleiten. Im allgemeinen öffentlichen Bewusstsein bedeutete das die Stromerzeugung aus erneuerbaren Quellen. Schon damals verlangten Umweltorganisationen einen weiteren Blick. Die Energiewende müsse zu einem anderen Umgang mit Energie und damit zu einer Wende des verschwenderischen Lebensstils führen.

In einem Punkt haben die Kritiker unbestritten Recht: Bei der Energiewende geht es nicht nur um Strom. Ein deutscher Durchschnittshaushalt braucht 33 % seiner Energie für Kraftstoffe 49 % für die Heizung und 18. % für den Strom. Praktische Konsequenzen daraus gibt es bisher jedoch kaum. Die Elektroautos kommen nicht wirklich voran. Die Idee, Autos tagsüber auf dem Firmenparkplatz mit Solarstrom aufzuladen und sie abends und nachts als Speicher zu nutzen, ist bisher auf wenige Modellfälle beschränkt. Bei der Steuerabschreibung für energetische Sanierungen an Altbauten blockieren sich Union und SPD im Bundesrat bis heute. Das hat sogar die Europäische Kommission auf den Plan gerufen. Sie hat Deutschland angeklagt, weil es die europäische „Energieeffizienz-Richtlinie“ nicht umsetzt.

Warum ist die Energiewende stecken geblieben? Ein kurzer Blick in die Geschichte macht die heutigen Motivationen sichtbar. Nach dem Ersten Weltkrieg begann die Versorgung mit Elektrizität auf der Ebene der Gemeinden. Stadtwerke wurden gegründet und das örtliche Handwerk brachte die neue Technik in jedes Haus. Ab den fünfziger Jahren wurden die Kraftwerke größer. 1970, als auf breiter Front Atomkraftwerke entstanden, ging die Unternehmenskonzentration rasant weiter. Zum Zeitpunkt von Fukushima teilten sich vier Stromkonzerne das Bundesgebiet auf. Jahresrenditen von über 20 % waren damals die Regel.

Die erneuerbaren Energien wendeten das Blatt. Nun konnten sogar abseits gelegene Dorfprojekte und Wohngemeinschaften in Stadtquartieren selbst Strom erzeugen. Von allen erneuerbaren Anlagen, die heute in Deutschland stehen, sind 52 % von Bürgerprojekten und Landwirten finanziert. Diese Wertschöpfung fehlt in den Büchern der Konzerne. Deshalb wurde die Kampagne gegen den teuren Strompreis aus erneuerbaren Energien entfacht; deshalb erhalten Windräder auf See mehr als doppelt so viel Vergütung wie an Land und deshalb wird die Vergabe neuer Energieanlagen ab 2016 auf Ausschreibungen umgestellt, bei denen Großanbieter bessere Chancen haben. Nicht die Weiterführung der erneuerbaren Energien ist also gefährdet, sondern die Beteiligung breiter Bevölkerungsschichten!

Wer das achselzuckend hinnimmt, hat den Wesenskern der erneuerbaren Energien nicht verstanden. Sie sind wirtschaftsgeschichtlich das Gegenstück zum Internet. Nur durch die Computertechnologie können Millionen von Erzeugern und Verbrauchern netzartig miteinander verbunden werden. Früher war das technisch nicht möglich und da hatten Großkraftwerke auch ihren Sinn. Heute ist am Strommarkt derjenige am erfolgreichsten, der eine bedarfsgerechte Mischung aus Wind, Solar, Biogas und Wasserkraft bereitstellen kann und die präzisesten Wetterprognosen zur Verfügung hat. Daraus erwachsen neue Chancen für Stadtwerke und regionale Verbünde, bei denen die Stromüberschüsse ländlicher Gebiete im Mittelspannungsnetz direkt zu den Endverbrauchern der Städte geleitet werden. Daraus können neue stabile Stadt-Land-Partnerschaften entstehen. Im Vorteil sind dann regionale Stromanbieter, die ihre Kunden kennen und durch Lastverschiebungen auch den Verbrauch ein wenig an die Erzeugung anpassen können.

Am Ende dieser Betrachtung geht es wieder um Klein und Groß, persönlich oder anonym. Eine Wirtschaftsordnung mit überschaubaren Kreisläufen bietet dem Einzelnen mehr aktive Mitwirkung und löst ihn aus der Anonymität des bloßen passiven Konsums. Hier schimmert die christlich-soziale Werteordnung von Kolping oder Ketteler durch. Ideen wie „Jedes Haus ein kleines Kraftwerk!“ sind auch konservativ im besten Sinn. Sie stärken die örtlichen Gemeinschaften, bringen Eigenständigkeit und sind doch vernetzt mit der Welt. Daraus erwächst dann ganz allmählich die Verhaltenswende im Alltag, zum Beispiel zu einer überlegteren Mobilität und damit Achtung vor der Schöpfung.

Artikel vom: 27.08.2014 09:17