Mühsam voran

Eindrücke von der Klimakonferenz in Montreal


Die Stadt Montreal liegt auf der gleichen geographischen Breite wie das Tessin, aber es ist erheblich kälter hier. Ein schneidender Wind fegt durch die Straßen. Kein Wunder, dass die Menschen Schutz suchten und in die Erde gingen. Das unterirdische Montreal mit Einkaufszentren, Gaststätten und Büros dehnt sich kilometerweit aus. Auf Schritt und Tritt spürt man die Wohlhabenheit der Stadt. Das hat seinen Preis.
Aus Kanada stammt der zweithöchste Ausstoß an klimaschädlichen Gasen unter allen Ländern der Erde: 16,5 Tonnen pro Kopf und Jahr.
Damit sind wir schon mitten in den Verhandlungen der Klimakonferenz. Manche Industrieländer, allen voran die USA, wollen sich keinerlei Beschränkungen auferlegen lassen. Die Entwicklungsländer pochen auf ihr Recht, ebenfalls mehr Wohlstand zu erlangen. Ein Vergleich des Klimagasausstoßes einiger Länder macht die riesigen Unterschiede deutlich (Angaben in Tonnen pro Kopf und Jahr):
USA 20,1
Kanada 16,5
Deutschland 9,8
Europa 8,1
Schweiz 5,7
Weltdurchschnitt 3,9
China 2,7
Brasilien 1,8
Indien 1,2
Nigeria 0,3
Äthiopien, Burundi, Tansania je 0,1

Für die deutsche Delegation spiegelt sich das Spannungsfeld schon in der Sitzordnung wider. Allemagne ist eingerahmt von Angola und Algerie.
Das größte Interesse an einem wirksamen Klimaschutz haben die kleinen Inselstaaten. Für sie geht es um die Existenz. Ihrer „Alliance of small islands" gehören 43 Länder an. Meinungsführer sind darüber hinaus die europäischen Länder. Unter den 5 größten Entwicklungsländern der Erde spielen Südafrika und Brasilien eine drängende Rolle. China ist inzwischen problembewusst, Indien zögerlich, Mexiko hält sich in der Mitte. Offene Blockierer sind nach wie vor die OPEC-Länder und die USA. Die Saudis verlangen für das weniger verkaufte Öl Entschädigungszahlungen. Über die rasant gestiegenen Preise wollen sie nicht diskutieren; auch nicht über den weltweit wachsenden Bedarf, der ihnen steigende statt sinkende Einnahmen bringen wird.
Die Bush-Regierung lässt Ihre Verhandlungsdelegation bei jedem Punkt Widerspruch einlegen, der nur irgendwie nach Energieeinsparung aussieht. Inzwischen sind die übrigen Teilnehmer das aber so gewöhnt, dass es den Fortgang der Dinge nicht mehr entscheidend beeinflusst. Dazu tragen auch zahlreiche Initiativen innerhalb der Vereinigten Staaten bei. Pünktlich zu Kongressbeginn am 5. Dezember forderten 24 der 102 Senatoren den Präsidenten in einem Brief auf „seine gesetzliche Verpflichtung ernst zu nehmen und in konstruktiver Weise an den Klimaverhandlungen teilzunehmen". Eine überparteiliche Mehrheit wolle das Anwachsen der Treibhausgase stoppen und umkehren. 18 westliche Bundesstaaten schlossen sich unter der Führung Kaliforniens und New Mexikos zusammen, um den Energieverbrauch bis 2020 um 20 Prozent zu senken. Neun Bundesstaaten des Nordostens haben vereinbart, einen eigenen Emissionshandel nach europäischem Muster einzuführen. 186 Städte mit rund 40 Millionen Einwohnern folgten einer Initiative des Bürgermeisters von Seattle, mit der die für die USA vorgesehene Einsparung von sieben Prozent der Klimagase in den Gemeinden freiwillig umgesetzt wird. In Montreal waren mehrere amerikanische Bundesstaaten mit Informationsständen vertreten und warben vor der Weltöffentlichkeit für ihre von der Regierung in Washington abweichenden Positionen.
Bemerkenswert auch die Präsenz mehrerer Großbanken. Für die internationalen Finanzmärkte wird der Klimaschutz aus mehreren Gründen zu einem Thema: Es geht den Banken um die Sicherheit der eigenen Anlagen, um Risikomanagement und die Bewältigung von Schadensfolgen. Vom Emissionshandel erwartet man sich ein großes künftiges Geschäft. In Montreal wurde auf Vorschlag der EU erstmals auch die Einbeziehung des Flugverkehrs in den Emissionshandel diskutiert.
Ein großer Teil der sogenannten Side Events widmete sich den erneuerbaren Energien. Sie können nach Meinung vieler Politiker aus Entwicklungsländern einen wichtigen Beitrag zur Überwindung der weltweiten Armut leisten, indem sie eine sichere, vom Öl unabhängige Energieversorgung möglich machen. Besonders Interessant sind erneuerbare Energien in vielen Regionen der Erde zur Bewältigung des allgegenwärtigen Problems der nachhaltigen Wasserversorgung.
Am Schluss dieses Treffens steht nun doch etwas Hoffnung. Es gibt Entwicklungen, die den Klimaschutz mit neuen wirtschaftlichen Möglichkeiten verbinden. Es wächst die Einsicht, dass Klimaveränderungen nicht die Natur zerstören, sondern die menschliche Zivilisation in Teilen aller Kontinente. Die davon ausgehenden Wanderungsbewegungen würden niemand unberührt lassen. Vielleicht bewahrheitet sich doch der alte Satz: „Mit der Gefahr wächst das Rettende auch".

Fotos von Montreal finden Sie hier.

Artikel vom: 10.12.2005 15:03