Modelle der Förderung ländlicher Räume in Europa

Neue Ausarbeitung des wissenschaftlichen Dienstes im Bundestag

Berlin, Dezember 2003 - Der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages erstellte im Auftrag von MdB Göppel eine Ausarbeitung zum Thema „Modelle der Förderung ländlicher Räume in Europa“ (Register Nr. WF V G 246/03).
Hier im Anschluss finden Sie die Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse. Falls Sie Interesse am Originaltext haben, wenden Sie sich bitte an das Berliner Büro von Josef Göppel.

1. Ausgangslage

Die Ausdünnung ländlicher Räume ist ein weltumspannendes Problem. Die Ursachen sehen wirtschaftliche Analysen nahezu einhellig in einem Marktversagen (Machtverteilung, Transportkosten). Unterschiede gibt es in der Bewertung der Rolle, wie stark der Staat als Moderator einzugreifen habe.
Die soziale Infrastruktur (Schulen, Arztpraxen, Einzelhandel) dünnt rapide aus. Die Liberalisierung von Dienstleistungen der Daseinsvorsorge (Post, Telekommunikation, Energieversorgung, Verkehr) verstärkt diese negative Entwicklung. Niedrige Bodenpreise, Zinsverbilligungen oder die Verfügbarkeit von Arbeitskräften können den Abwärtstrend nur beschränkt ausgleichen. Unternehmen der Massenfertigung tendieren ohnehin verstärkt zur Ansiedelung im osteuropäischen Ausland. Neuere Analysen bemessen die Größenordnung des Problems so, dass es nur mit einem grundlegenden Wandel des politischen Instrumentariums zu bewältigen sein wird. Auffällig ist, dass die Förderinstrumentarien in den Mitgliedsländern der EU sich weniger im Grundsätzlichen unterscheiden als in der Handhabung.

Erfolgreiche Regionalentwicklungen sind vor allem dort zu verzeichnen, wo Bereitschaft zu einer dezentralen, auf die Belange der jeweiligen Region abgestimmten Vorgehensweise vorhanden ist. Erfolglose Regionalprojekte basieren hauptsächlich auf zentral formulierten Vorgaben mit sektoral gegliederten und nicht aufeinander abgestimmten Ansätzen. Das bislang dominierende, nach Fachressorts differenzierte Instrumentarium verleitet die örtlichen Akteure zur Ausschöpfung vorhandener Töpfe, die oft wenig Verbindung zu den konkreten Bedürfnissen ihres Wirkungsbereiches haben.

2. Förderinstrumente der ländlichen Entwicklung

Nach jahrzehntelangen Bemühungen um das Schließen der Schere zwischen ländlicher und städtischer Entwicklung ist ein Ansatz, der von den lokal vorhandenen Ressourcen ausgeht, nahezu unumstritten. In den dichter besiedelten Industrieländern Europas sind die sogenannten harten Standortfaktoren, wie Verkehrserschließung, meist im Großen und Ganzen gegeben. Defizite sind häufig bei den weichen Faktoren festzustellen. Die Entwicklung dieser Faktoren vernachlässigen die Förderprogramme bisher weitgehend.

Die wichtigsten Erfolgsfaktoren für die Entwicklung ländlicher Regionen sind:

  • Attraktivität von Natur und Kulturlandschaft
  • Verkehrswege und Transportmittel
  • Reiches kulturelles Leben
  • Ein Netzwerk örtlicher Akteure
  • Public – Private - Partnership
  • Fachkenntnisse der vorhandenen Arbeitskräfte
  • Telekommunikationseinrichtungen

Die Ausgleichszahlungen für Einkommensverluste der Landwirtschaft machen in der EU den größten Anteil der in ländliche Räume fließenden Mittel aus. Die sogenannte zweite Säule der Agrarpolitik umfasst bisher 20 Prozent der Mittel. Zwei Drittel der Zahlungen sind aber zum Ausgleich von Nachteilen bestimmt (Abteilung Garantie). Sie haben also überwiegend statische Wirkung. Die Verstärkung der Mittel in der Abteilung Ausrichtung – erstmals niedergelegt in der Regierungskonferenz von Cork 1996 – lässt auf sich warten. Ähnliches gilt für die Agrarumweltmaßnahmen, die zur Förderung der gesellschaftlich immer höher bewerteten landschaftspflegerischen Leistungen bestimmt sind. Die Bewertung der Leistung bemisst sich hier überdies nach dem Einkommensverlust und nicht etwa nach einem eigenen Preis, der am ehesten durch Entscheidungsträger der betreffenden Region festgelegt werden könnte. Die so erbrachten Leistungen fügen sich deshalb nicht in regionale Konzepte ein,sondern sind durch administrative Vorgaben der Kommission festgelegt. Außerdem haben zentral festgelegte Vergütungssätze keinen Bezug zu den realen Kosten, so dass eine Marktbildung kaum möglich ist.

Gelungene Beispiele der integralen Entwicklung von Regionen sind bislang auf Gebiete beschränkt, in denen es zu einer Bündelung lokaler Zusammenschlüsse und Gebietskörperschaften mit sektorübergreifender Wirkung kam. Die Bereitschaft der nach Fachressorts gegliederten Behörden, die Planungseinheit „Region“ in den Mittelpunkt zu stellen und Entscheidungsmacht an regionale Akteure abzutreten, ist allgemein ein größeres Hindernis als die Knappheit der Mittel.

In Deutschland sind die Bezugsregionen leider nicht naturräumliche oder verwaltungsbezogene Einheiten, sondern Arbeitsmarktregionen. In der Konsequenz fließen 50 % der Mittel in strukturschwache städtische Gebiete, wo sie überwiegend konsumtiv ausgegeben werden.

In allen EU-Ländern resultieren die positiv vom Durchschnittstrend abweichenden Entwicklungen aus einem spezifisch auf die Belange der Regionen abgestimmten Management, in welchem die sektorübergreifende Kooperation und die Beteiligung lokaler Akteure eine wichtige Rolle spielen. Dies muss einhergehen mit einer Konzentration der Mittel auf die besonderen Stärken der jeweiligen Region anstelle eines breit gestreuten Nachteilsausgleichs.

Abschließend ein Blick auf die Schweiz. Dort werden große Teile der staatlichen Fördermittel in Form von Globalzuwendungen an die Kantone gegeben. Der Bund zog sich auf die Bereiche Verkehrsinfrastruktur und Agrarförderung zurück. Die gesellschaftliche Rolle der Landwirtschaft als Erhalterin der Kulturlandschaft wurde 1998 in die schweizerische Verfassung aufgenommen. Seitdem konzentriert sich die Agrarförderung auf Zahlungen für landschaftspflegerische Leistungen, die nach realen Aktivitäten und Kosten bemessen sind. Die Erzeugung von Lebensmitteln wird zunehmend den Kräften des Marktes überlassen.

Artikel vom: 07.12.2003 16:35