Göppel zum Freihandelsabkommen: „Die Lage hat sich entschärft.“

Beschluss des Europäischen Parlaments zu TTIP vom 8. Juli 2015

Straßburg, 8. Juli 2015 - Das Europäische Parlament hat eine Resolution zu den „Verhandlungen über die Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP)“ beschlossen. Darin werden Eckpunkte und Bedingungen für eine Annahme eines ausverhandelten TTIP-Abkommens durch das Europäische Parlament genannt. Das Europäische Parlament muss am Ende dem Verhandlungstext des TTIP-Abkommens zustimmen, ebenso die Parlamente der meisten EU-Mitgliedstaaten, also auch der Deutsche Bundestag.

In der Resolution TA (2015) 0252 heißt es:

Das Handelsabkommen bietet die Gelegenheit „durch verstärkte Regulierungsmaßnahmen auf höchster Ebene einen Rahmen zu schaffen, der den gemeinsamen Werten entspricht und dadurch zur Verhinderung von Sozial- und Ökodumping sowie zu einem hohen Maß an Verbraucherschutz beiträgt.“ Ziel ist es, die „internationale Ordnungspolitik“ durch gemeinsame Standards und Werte eines potentiellen Marktes mit 850 Millionen Verbrauchern zu bestimmen. Die transatlantische Partnerschaft wird „als Teil einer umfassenderen europäischen Strategie für Beschäftigung und Wachstum betrachtet“.

Für die europäische Landwirtschaft sei es entscheidend, „seine Position als wichtiger Akteur auf dem Weltmarkt – ohne Gefahr für die derzeitigen Qualitätsstandards für europäische landwirtschaftliche Erzeugnisse sowie künftige Verbesserungen dieser Standards – auszubauen“. Dazu diene die „strategische Handelspartnerschaft“ mit den USA.

In Bezug auf die politischen Leitlinien von Präsident Juncker wird bekräftigt, dass sich unterschiedliche Produktnormen aufeinander zubewegen können, „die EU dafür aber nicht ihre Normen in den Bereichen (Lebensmittel-)Sicherheit, Gesundheit, Tiergesundheit, Sozialwesen, Umwelt und Datenschutz sowie kulturelle Vielfalt aufgeben wird“. Insofern sollen die Sicherheit der „Lebensmittel, der Schutz der personenbezogenen Daten europäischer Bürger und Dienstleistungen von allgemeinem Interesse nur Gegenstand der Verhandlungen“ sein, „wenn das Ziel darin besteht, ein höheres Maß an Schutz zu erreichen“.

„Eine Einschränkung der gerichtlichen Zuständigkeit in den Mitgliedstaaten durch besondere Regelungen für Investorenstreitigkeiten“ wird nicht zugelassen.

Die weiteren Verhandlungen sollen drei zentrale Bereiche umfassen:

1. eine ambitionierte Verbesserung des gegenseitigen Marktzugangs (für Waren, Dienstleistungen, Investitionen und öffentliche Aufträge auf allen behördlichen Ebenen),
2. den Abbau nichttarifärer Handelshemmnisse und die Verbesserung der Kompatibilität der Regulierungssysteme sowie
3. die Erarbeitung gemeinsamer Regeln, damit besser auf gemeinsame Herausforderungen und Möglichkeiten im internationalen Handel reagiert werden kann.
 

Dabei ist sicherzustellen, dass das Abkommen dem „WTO-Prozess weder vorgreift noch zuwiderläuft“ und „Fortschritte auf der multilateralen Ebene nicht im Wege stehen“. Um einer Umlenkung der Handelsströme von Entwicklungsländern entgegen zu treten, soll in EU-Handelsabkommen mit Drittländern eine „Aussetzungsklausel“ aufgenommen werden.

In „einigen wenigen Fällen“ „von sensiblen landwirtschaftlichen Erzeugnissen und Industrieprodukten“ kann ein Ausschluss aus dem Abkommen vereinbart werden.

Auch soll eine Schutzklausel für (heimische) „Lebensmittelproduktion und Energieintensität, Emissionsverlagerungen, chemische Stoffe sowie den Rohstoffsektor und die Stahlindustrie in der EU“ aufgenommen werden. Durch das Positivlisten-Verfahren werden „die Dienstleistungen, die ausländischen Unternehmen offen stehen sollen, ausdrücklich angegeben und neue Dienstleistungen ausgeschlossen“. Eine automatische Deregulierung findet in den Bereichen der Daseinsvorsorge nicht statt, da diese Bereiche nicht auf der Positivliste aufgeführt werden.

Stillstands- und Ratchet-Klauseln sollen nur sehr eingeschränkt gelten, sodass „genügend Spielraum besteht, um Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse wieder unter öffentliche Aufsicht“ zu stellen. In einer Liste soll vereinbart werden, wo Inländer z.B. bei der Vergabe öffentlicher Dienstleistungen, bevorzugt behandelt werden dürfen (Negativlisten-Ansatz für die Inländerbehandlung). Hierzu gehören die Wasserversorgung, Gesundheits- und Sozialdienstleistungen, Sozialversicherung und Bildung.

Die EU behält sich auch das Recht vor „bestimmte Finanzprodukte und -tätigkeiten zu verbieten“ und es sollen strengere Standards zur Bekämpfung der „Finanz- und Steuerkriminalität sowie Korruption“ vereinbart werden. „Staatliche Subventionen“ sollen „reguliert werden und einem transparenten Kontrollsystem unterliegen“. Ein besonderes Augenmerk wird auf Datenschutzrechte und Telekommunikationsdienstleistungen gelegt.

Staatliche Regulierungs- und Finanzierungsmaßnahmen zur Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen bleiben uneingeschränkt zulässig, öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten sollen von TTIP unberührt bleiben. Auch werden weder die „Buchpreisbindung noch die Preisfestsetzung für Zeitungen und Zeitschriften“ durch TTIP beeinträchtigt. Geistiges Eigentum ist zu schützen und TTIP darf „der notwendigen Reform des EU-Urheberrechts nicht im Wege stehen“.

Die EU-Richtlinien über die Vergabe öffentlicher Aufträge und Konzessionen sollen der Maßstab „für Baudienstleistungen, im Hoch- und Tiefbau, für Verkehrs- und Energieversorgungsinfrastruktur sowie für Waren und Dienstleistungen“ … „und das öffentliche Beschaffungswesen“ werden.

Für die „regulierungstechnische Zusammenarbeit“ gilt es sicher zu stellen, „dass das Abkommen sich nicht auf noch festzulegende Normen in jenen Bereichen auswirkt, in denen in den USA im Vergleich zur EU völlig andere Rechtsvorschriften oder Normen gelten, wie im Fall der Umsetzung geltender (Rahmen-)Vorschriften (wie REACH) oder beim Erlass neuer Rechtsvorschriften (z. B. für das Klonen) oder bei neuen Begriffsbestimmungen mit Auswirkungen auf das Schutzniveau (z. B. für chemische Stoffe mit endokriner Wirkung)“. Das europäische Vorsorgeprinzip nach Artikel 191 AEUV und die uneingeschränkte Autonomie in Regelungsfragen darf nicht angetastet werden.

Verhandlungen zu gesundheitspolizeilichen und pflanzenschutzrechtlichen Maßnahmen dürfen die hohen Schutzstandards in der EU in keiner Weise beeinträchtigen (Stichwort: Chlorhühnchen).

Von TTIP auszunehmen sind die „Bereiche, in denen die EU und die USA sehr unterschiedliche Regelungen haben,“ wie „etwa bei öffentlichen Gesundheitsdiensten, GVO, beim Einsatz von Hormonen in der Rinderzucht, REACH und dessen Umsetzung sowie beim Klonen von Tieren für landwirtschaftliche Zwecke.“ Auszunehmen sind auch Bestimmungen „über das materielle Patentrecht und insbesondere über Patentierbarkeit und Schonfristen“. Das EU-Parlament fordert, dass „über diese Fragen nicht verhandelt wird“.

Eine wesentliche Aufgabe des Abkommens sei, „die Kompatibilität von Regelungen zu fördern, dabei aber weder legitime regulatorische oder politische Zielsetzungen, noch die Zuständigkeiten der Rechtsetzungsinstanzen der EU oder der USA zu beeinträchtigen“.

Auf ein „Gremium für die Zusammenarbeit in Regulierungsfragen“, soll zwar nicht verzichtet werden, „die Aufgaben, die Zusammensetzung und der rechtliche Status“ sind aber so zu umgrenzen, „dass das Recht der nationalen, regionalen und lokalen Behörden, für die eigenen politischen Maßnahmen, vor allem im Bereich der Sozial- und der Umweltpolitik, selbst Vorschriften zu erlassen, vollständig gewahrt wird“.

Es soll ein eigenes „Kapitel über Energie, einschließlich Industrierohstoffe“ geben, damit die Energiemärkte verschmelzen, ohne dass sie die klimapolitischen Ziele der EU untergraben. Es ist sicherzustellen, dass „nichtdiskriminierende, demokratische Entscheidungen über die Energiegewinnung nach dem Vorsorgeprinzip durch keine Bestimmung des Abkommens beeinträchtigt werden.“ Für die kommerzielle Luftfahrt sollen die Kraftstoffsteuerbefreiungen abgeschafft werden. Überhaupt soll TTIP „für die Entwicklung gemeinsamer ehrgeiziger und verbindlicher Nachhaltigkeitsstandards für Energieerzeugung und Energieeffizienz dienen.“

Weiterhin sind „für das gesamte Abkommen geltende allgemeine Streitbeilegungsverfahren“ (ISDS) vorgesehen. Hierfür wird an einem umfassenden Kapitel festgehalten.

Die sogenannten ISDS-Schiedsverfahren für Streitigkeiten zwischen Unternehmen und Staaten sind weiterhin ein Pferdefuß beim US-Freihandelsabkommen. Die öffentliche Konsultation zu ISDS bis Januar 2015 hatte eine überdeutliche Ablehnung der europäischen Bürger gezeigt. Das EU-Parlament fordert für ISDS nun ein reformiertes, transparenteres Verfahren mit öffentlichen Anhörungen und Revisionsmöglichkeiten. In Zukunft sollen unabhängige Berufsrichter ein Urteil in derartigen Streitfällen sprechen. Sichergestellt wird, dass „die Rechtsprechung der Gerichte der EU und der Mitgliedstaaten geachtet wird und die Ziele des Gemeinwohls nicht durch private Interessen untergraben werden können“.

Im Europaparlament wurde diese Resolution zu TTIP mit 448 Ja-Stimmen gegen 247 Nein-Stimmen bei 11 Enthaltungen angenommen. Die Parlamentarier haben der Europäischen Kommission als Verhandlungspartner damit für den weiteren TTIP-Prozess klare Vorgaben gemacht.

Durch diesen Beschluss des EU-Parlaments hat sich die öffentlich kritische Meinung zum US-Freihandelsabkommen Geltung verschafft. „Die Lage hat sich durch die formulierten Bedingungen deutlich entschärft“, so Josef Göppel, "damit sind die Forderungen des Europäischen Parlaments allerdings noch lange nicht vereinbarter Konsens mit den USA. Kritische Wachsamkeit ist weiterhin nötig."

Die 10. Verhandlungsrunde EU-Kommission mit den US-Amerikanern über TTIP startete am 13. Juli zum Kapitel Nachhaltigkeit.

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Artikel vom: 08.07.2015 00:00