Intakte Landschaften für erfolgreiche Regionen

Eröffnungsrede beim Deutschen Landschaftspflegetag 2004 im Saarland

Der Deutsche Landschaftspflegetag 2004 fand vom 24. – 26. Juni in Orscholz an der Saarschleife statt.Hauptredner waren der stellvertretende Generaldirektor der DG Landwirtschaft in Brüssel, Dirk Ahner, der saarländische Umweltminister Stefan Mörsdorf und der Präsident des Deutschen Bauernverbandes, Gerd Sonnleitner. Josef Göppel stellte in der Eröffnungsrede besonders den Zusammenhang zwischen einer guten regionalen Wirtschaftsentwicklung und intakten Landschaften heraus. Hier sein Redetext:

Was können wir uns noch leisten?


Die Vertreter von 142 deutschen Landschaftspflegeverbänden, Biologischen Stationen und Stiftungen zum Landschaftserhalt treffen sich im Saarland zu einem Zeitpunkt, an dem überall zum Rückzug geblasen wird. Wir müssen überflüssigen Ballast abwerfen, heißt es und runter von unseren hohen Standards. Können wir uns Landschaftspflege noch leisten? Können wir uns überhaupt Rücksicht auf die Natur derzeit leisten? Können wir uns Kulturförderung noch leisten oder Denkmalpflege? Der saarländische Umweltminister Stefan Mörsdorf beschrieb den politischen Zeitgeist mit den Worten „Wir haben doch wahrlich andere Sorgen!“. Unser neu gewählter Bundespräsident Horst Köhler sagte in vielen Vorstellungsreden, dass wohl in allen Bereichen Einschränkungen kommen müssten, aber nicht alle sozialen, ökologischen und kulturellen Errungenschaften über Bord geworfen werden dürften. Es geht um das rechte Maß und die Unterscheidung zwischen kurzfristiger Rendite und langfristigem Erfolg.

Das Berlin-Institut für Weltbevölkerung und globale Entwicklung gab im April 2004 nach dreijähriger Vorarbeit die Studie „Deutschland 2020“ heraus.

Die wichtigsten Ergebnisse:

  • Schöne Landschaft allein kann fehlende Arbeitsplätze nicht aufwiegen, aber  
  • Im Wettbewerb um Arbeitsplätze entscheiden immer mehr gesunde Natur, attraktive Freizeitmöglichkeiten und das regionale Lebensgefühl.  
  • Immer mehr Menschen suchen als Ausgleich zum hektischen Berufsleben Ruhe und Weite. Naturräume gewinnen einen besonderen Wert.

In diesem Zusammenhang noch einmal Horst Köhler mit einem Zitat von der Jahresversammlung von der Weltbank 2000 in Prag:

  • Globalisierung und Liberalisierung können unsere Wirtschaftsprobleme nicht lösen.  
  • Es ist falsch, das Wirtschaftsgeschehen nur als Exportgeschäft zu betrachten.  
  • Regionale Wirtschaftskreisläufe werden in Deutschland auch in Zukunft für den größeren Teil der Menschen Arbeit und Einkommen bestimmen.    

Neues Schlagwort Cluster-Bildung

Vor allem ländliche Gebiete können immer weniger auf Hilfe von außen hoffen. Sie brauchen regionaltypisches Profil, Herausarbeiten ihrer besonderen Stärken und gutes Zusammenspiel der örtlichen Akteure. Regionale Kooperation als Gegenstrategie zur globalen Konzentration muss das Motto sein.

Nicht zufällig wurde der Begriff Cluster-Bildung zum aktuellen Schlagwort der Wirtschaftspolitik. Leider deuten ihn viele Politiker nur räumlich. Sie verlangen die Konzentration der Förderung auf Schwerpunkte. Was soll dann aber mit dem übrigen Land geschehen? Das englische Wort „cluster“ bedeutet aber Traube, Büschel oder Schwarm und „cluster together“ heißt übersetzt „sich scharen um“. Damit sind wir wieder bei der Ursprungsidee der Regionalbewegung: Kräfte bündeln, aufeinander zugehen, unverwechselbares Profil entwickeln, spezielle Stärken ausbauen und dadurch Wertschöpfung erzielen. Diese Strategie ist unabhängig von Ort und Größe. Cluster-Bildung kann es in abseits liegenden ländlichen Räumen genauso geben wie in Metropol-Regionen.

Die im Deutschen Verband für Landschaftspflege zusammengefassten Organisationen arbeiten genau nach diesem Prinzip.

  • Sie vereinen Kommunalpolitiker, Landwirte und Naturschützer auf freiwilliger Basis,  
  • Sie verknüpfen den Erhalt der Kulturlandschaften bewusst mit regionaltypischen Produkten und naturbetontem Tourismus,  
  • Sie achten auf konsequente Kostensenkung, zum Beispiel durch Landschaftspflege mit Weidetieren statt mit Maschinen,  
  • Sie sorgen dafür, dass aus jedem Förder-Euro zusätzliche Wirtschaftskraft mit Arbeit und Einkommen vor Ort entsteht.  

Das ist nachhaltiges Wirtschaften im besten Sinn. Es hilft in ländlichen Gebieten mit, junge Menschen zum Bleiben zu veranlassen und es erhöht in städtischen Räumen die Lebensqualität durch ein attraktives Wohnumfeld.

Die Frage, ob wir uns Landschaftspflege auch heute noch leisten können, lässt sich aus guten Gründen mit Ja beantworten.   

Vereinte Kraft

Die turbulenten Debatten der letzten Monate erbrachten sogar einige Erfolge, die aber jetzt noch umgesetzt werden müssen.

  • Lokale Partnerschaften zur nachhaltigen Entwicklung ländlicher Räume werden künftig von der Europäischen Union kofinanziert. Am Zustandekommen dieser Regelung war der DVL maßgeblich beteiligt. Ich bitte deshalb darum, dass die deutschen Bundesländer in ihren Entwicklungsplänen die Landschaftspflegeverbände auch ausdrücklich als solche Partnerschaften benennen.  
  • In der europäischen Durchführungsverordnung zur Agrarreform ist nun klargestellt, dass Landschaftselemente wie Einzelbäume und Hecken auch in der Ackerflur zur prämienberechtigten Fläche für den Landwirt zählen. Die Durchführungsverordnung des Landwirtschaftsministeriums fehlt allerdings noch.  
  • Die Abschaffung nationaler und regionaler Herkunftsangaben für Rindfleisch zugunsten der einheitlichen Angabe „Aus der EU“ konnte abgewendet werden. Das Bundeslandwirtschaftsministerium unterstützte in diesem Fall den gemeinsamen Vorstoß von DVL und NABU uneingeschränkt.  
  • Die neuen Fördergrundsätze der Gemeinschaftsaufgabe zur Förderung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes bauen den Gedanken der integrierten Entwicklung aus und unterstützen künftig auch maßgeschneiderte Regionalkonzepte so wie das zugehörige fachliche Management. Diese Gemeinschaftsaufgabe darf nicht einer theoretischen Föderalismusdiskussion zum Opfer fallen. Die Zielsetzung gleichwertiger Lebensbedingungen in ganz Deutschland wäre damit massiv gefährdet. Besonders in finanzschwächeren Ländern käme die Unterstützung von Initiativen zur umweltgerechten Landbewirtschaftung und nachhaltigen Regionalentwicklung  zum Erliegen.  
  • Das Gesetz über erneuerbare Energien vom 2. April 2004 verbessert die Bedingungen für die Energiegewinnung aus Biomasse deutlich. Grüngut aus der Landschaftspflege wurde ausdrücklich in den Bonus für nachwachsende Rohstoffe einbezogen. Wer Strom und Wärme gleichzeitig erzeugt, erhält einen Zuschlag von 2 Cent pro Kilowattstunde.  
  • Die Zusammenarbeit mit dem Deutschen Bauernverband hat sich vertieft und verbreitert. In Bayern korrigierten Landschaftspflegeverbände und Bauernverband gemeinsam die Vollbremsung beim Vertragsnaturschutz. In Brandenburg gibt es einen gemeinsamen Vorstoß zur Übertragung der Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen auf die Landschaftspflegeverbände. Auch in anderen Bundesländern kommt es immer wieder zu gemeinsamen Positionen und Projekten.  
  • Mit den Landesjagdverbänden führt der DVL das Projekt „Lebensraum Brache“ durch. Ziel ist die wildtiergerechte Gestaltung der Flächenstilllegung.  
  • Besondere Breitenwirkung erzielt das Projekt „Nähe schafft Vertrauen“, das zum Kauf regionaler Lebensmittel anregt. Die Zusammenarbeit mit dem Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) erleichtert den Zugang zu städtischen Bevölkerungsschichten. Finanziell wird das Proje kt vom Bundesverbraucherministerium unterstützt.  
  • Die Deutsche Bundesstiftung Umwelt hat dem DVL vor kurzem den Zuschlag für das Projekt „Entwicklung kooperativer Nutzungsformen in europäischen Schutzgebieten“ erteilt. Damit wollen wir Beispiele geben, wie die Konflikte in FFH-Gebieten durch mehr vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Naturschutz und Landwirten entschärft werden können.


Europäischer Dachverband

Ähnliche Konstruktionen wie die deutschen Landschaftspflegeverbände gibt es inzwischen in mehreren europäischen Mitgliedsstaaten.  
In Österreich erarbeiten solche Organisationen für jeden Bauern einen betriebsbezogenen Naturschutzplan. Die Österreicher gehen damit weg vom Naturschutz auf Einzelflächen hin zur Integration in den gesamten Betriebsablauf.  
In Großbritannien verfolgt die Farming and Wildlife Advisory Group ebenfalls einen gesamtbetrieblichen Ansatz. Im Zentrum der Naturschutzberatung steht der Betrieb und nicht eine naturschutzfachlich wertvolle Einzelfläche.  
Von anderen Herangehensweisen können wir Deutschen nur lernen. Ich schlage Ihnen deshalb vor, auf diesem Landschaftspflegetag den Anstoß zur Gründung eines europäischen Dachverbandes für nachhaltige Regionalentwicklung und Landschaftserhalt zu geben. Einheit in Vielfalt ist das Motto des europäischen Verfassungsvertrages. Landcare Europe soll der Nivellierung und Auszehrung europäischer Kulturlandschaften das Modell der eigenständigen Regionalentwicklung in Partnerschaftgegenüber stellen.  

Heimat

Mit dem Landschaftspflegetag 2004 sind wir bewusst an eine europäische Nahtstelle gegangen. Das Saarland war immer Übergangsraum. Hier werden auch heute Gedanken formuliert, die uns weiter tragen. Umweltminister Stefan Mörsdorf schreibt in dem Buch „Heimat – die Wiederentdeckung einer Utopie“, es wachse das Bedürfnis nach Haltepunkten, an denen die Menschen Ruhe finden und Kraft schöpfen können. Damit werde die Idee der Heimat ein Gegenentwurf zum Zeitgeist des Ökonomismus mit seinem Zwang zu immer schneller, immer höher, immer weiter. Sie könne dem Naturschutz aus seiner Begründungskrise heraus helfen. Seine rational-naturwissenschaftliche Begründung reiche nicht mehr aus. Die heimatliche Natur sei wesentlich eine Sache des Gefühls und des Herzens. Wenn Naturschutz als Erhaltung der Heimat verstanden werde, könnten auch unter finanziellen Zwängen Mehrheiten für dieses Anliegen organisiert werden.

Herr Minister Mörsdorf, ich danke Ihnen und der Naturlandstiftung Saar für Ihre Gastfreundschaft. Wir wollen von Ihrem Blick über die Grenzen lernen und neue Wege beschreiten.

Artikel vom: 26.06.2004 15:52